Geld statt Gutscheine
Harsefelder möchte behördliche Diskriminierung von Asylbewerbern mit Umtausch-Aktion aushebeln.
Sie sehen aus wie Fahrkarten oder Kinotickets: die Wertgutscheine, die der Landkreis an Asylbewerber ausgibt. Wie eine Banknote mit einem fälschungssicheren Hologrammstreifen versehen, sollen diese Gutscheine dem Besitzer vorgaukeln, etwas in den Händen zu halten, das genauso gut wie Bargeld ist.
Doch die meisten Menschen, die Sozialleistungen in dieser Form beziehen, fühlen sich durch das Gutschein-System diskriminiert. Sie müssen sich in den Geschäften als Hilfeempfänger outen und sie dürfen nur bestimmte Waren kaufen. Oft entscheiden Kassiererinnen, was erlaubt ist und was nicht.
Wie berichtet, protestierten vor kurzem Asylbewerber gegen die in ihren Augen menschenunwürdige Gutschein-Praxis. Nach dem WOCHENBLATT-Bericht über diese Aktion empörten sich etliche Leserbrief-Schreiber über die nach ihrer Ansicht dreisten Ansprüche der Flüchtlinge. Tenor der meisten Briefe: Wer bei uns um Asyl bittet, sollte sich mit Forderungen zurückhalten.
"Wieso entzündet sich an diesem Thema der Volkszorn?", fragt sich nun Ralf Poppe. Der Harsefelder engagiert sich vor Ort im "Arbeitskreis Asyl" und steht mit etlichen Flüchtlingen in Kontakt. Es gehe um Menschen, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung suchen, meint Poppe: "Dennoch werden sie von vielen als Schmarotzer angesehen." Verantwortlich für diese Haltung macht Poppe vor allem den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU): "Der übt Druck auf die Städte und Landkreise aus, weiter an der Vergabe von Gutscheinen festzuhalten." Dahinter stehe die Behauptung, Geld stelle einen Anreiz zur Einwanderung dar, so Poppe.
Auf einer Tauschbörse sollen Gutscheine gegen Geld eingewechselt werden
Der Harsefelder ruft dazu auf, Solidarität zu zeigen. Sein Plan ist es, eine Tauschbörse für die Wertbons einzurichten. "Wer als couragierter Bürger Flagge zeigen will gegen das entwürdigende Gutschein-System, kommt vorbei und wechselt Bargeld gegen Gutscheine ein", erläutert Poppe.
Nach Angaben des niedersächsischen Flüchtlingsrates gibt es bereits in mehreren Orten Umtausch-Initiativen. Die Erfahrung mit dem Gutschein-Tausch seien durchweg positiv, erklärt Flüchtlingsrat-Geschäftsführer Kai Weber. Sollte es Probleme beim Einlösen geben, sei man mit einer Vollmacht auf der sicheren Seite. Denn die Gutscheine werden von manchen Geschäften nur angenommen, wenn gleichzeitig eine Legitimation im Scheckkarten-Format vorgezeigt wird.
Die im Kreis Stade aktive "BI Menschenrechte" und der Harsefelder "Arbeitskreis Asyl" unterstützen Poppes Aktion.
Wer mitmachen möchte, kann sich direkt an Ralf Poppe wenden: Tel. 04164-878985 oder per E-Mail an ralf.poppe@gmx.net.
Landkreis hält an umstrittenem Gutschein-System fest
Bis zum Sommer 2012 lagen die Leistungen für Asylbewerber bis zu 40 Prozent unter dem Hartz-IV-Satz. Dann kam das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Flüchtlinge nicht schlechter gestellt sein dürfen. Seitdem werden Gutscheine im Wert von 212 Euro ausgegeben. Dazu gibt es134 Euro in bar. Der Landkreis Stade zahlte in diesem Jahr rund 480.000 Euro in Form von Gutscheinen aus.
Die meisten Bundesländer haben die Ausgabe von Gutscheinen bereits abgeschafft. In Niedersachsen streitet der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam seit Jahren für die Barauszahlung der Sozialleistungen. "Es steht im ermessen der Verwaltungen, ob sie Geld oder Gutscheine ausgeben", sagt Adams. Er fordert, diesen Ermessensspielraum im Sinne der Betroffenen auszulegen.
Französischer Konzern verdient gut am Gutschein-Geschäft
Das Gutschein-System im Landkreis Stade wird von der Firma Sodexo abgewickelt. Der französische Multi-Konzern ist weltweit im Bereich Wertbon-Management, Catering und Gemeinschaftsverpflegung tätig. Sodexo machte zuletzt einen Jahresumsatz von rund 16 Milliarden Euro. Wieviel der Landkreis an Sodexo für dessen Dienstleistungen im Gutschein-Bereich zahlt, will Sozialdezernentin Susanne Brahmst "aus vertragsrechtlichen Gründen" nicht nennen. Sodexo berechnet außerdem seinen Vertragspartnern - dazu zählen große Ketten wie Lidl, Aldi, H&M oder Deichmann - Gebühren für die Abrechnung der Gutscheine. Der Konzern war bis Redaktionsschluss für unsere Print-Ausgabe nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
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