Abschiebung jesidischer Familie in Buxtehude abgebrochen: Kind und Mütter kollabieren
Jesidische Familie soll von Hedendorf nach Portugal zurück / Kritik von Flüchtlingshelfern / Was sagt der Landkreis?
tk. Hedendorf. Familie Mohi, Mutter, Vater und fünf Kinder, sollten in der Nacht zu Donnerstag abgeschoben werden. Sie stammen ursprünglich aus dem Irak und leben in Buxtehude-Hedendorf in einem der Holzhäuser neben dem Sportplatz. Die Abschiebung nach Portugal scheiterte, weil nach Auskunft von Flüchtlingsbetreuern mehrere Menschen, darunter auch ein Kind, kollabierten und ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Die "Bürgerinitiative (BI) Menschenwürde", die Familie Mohi unterstützt, übt Kritik am Landkreis Stade: Die nächtliche Abschiebeaktion sei ein Angriff auf die Menschenwürde der Betroffenen gewesen.
20 Polizisten und ein Arzt standen nach Auskunft der Ehrenamtlichen gegen 0.45 Uhr vor der Tür der Familie. Sie drangen bis ins Schlafzimmer vor. Die Mutter und eine weitere Frau (aus der zweiten dort lebenden Familie Mohi, die von der Abschiebung derzeit nicht betroffen ist) sowie ein zwölfjähriger Sohn kollabierten. "Es waren unausprechliche Szenen", sagt Dieter Kröger von der BI Menschenwürde, der selbst vor Ort war. Er hatte den Zwölfjährigen in dieser Extremsituation betreut. "Auch die anderen Kinder weinten und wimmerten", sagt er. Kröger krisiert, dass kein Dolmetscher dabei war. Eine sprachliche Verständigung sei daher nicht möglich gewesen.
Als die Flüchtlingshelfer in Hedendorf eingetroffen waren, war der Einsatz bereits abgebrochen worden und die Polizei abgezogen. Anschließend kam der Rettungsdienst und die zwei Frauen und der Junge wurden ins Krankenhaus gebracht.
Dieter Kröger erklärt, dass die beiden Mütter aus der Familie Mohi in psychotherapeutischer Behandlung seien. Auch die insgesamt zehn Kinder aus den beiden Familien bräuchten Unterstützung. "Positive, kleine Schritte sind dadurch erkennbar", sagt Kröger. Die beiden Familien, die im Irak zur Minderheit der Jesiden gehörten, seien seit zweieinhalb Jahren auf der Flucht. "Sie haben Traumatisches erlebt", so Dieter Kröger.
Was die Abschiebung vor dem Gesetz rechtens macht: Die beiden Familien haben nach der Flucht im Schlauchboot übers Mittelmeer zuerst Griechenland erreicht. Weil die EU vertraglich mit Griechenland vereinbart hatte, Flüchtlinge umzuverteilen, kamen die beiden jesidischen Familien nach Portugal.
Nach Auskunft von Dieter Kröger lebten sie als einzige Familiengruppe in einer Massenunterkunft mit ausschließlich Männern. "Sie hatten dort Angst", sagt Kröger. Es sei zu Übergriffen gekommen und die Mohis hätten sich in ihren Zimmern verbarrikadiert. Die beiden Familien entschlossen sich daraufhin, weiter nach Deutschland zu flüchten. Hier leben bereits Verwandte. Seit Dezember 2017 ist Hedendorf das vorübergehende Zuhause. Allerdings ergab die Anhörung durch das Bundesamt für Migration (Bamf), dass in Deutschland kein Asylverfahren durchgeführt wird, sondern nur in Portugal. Folge: Weil Familie Mohi nicht freiwillig ausreiste, wurde die Abschiebung angeordnet. Über die Kirche hatten die Flüchtlingshelfer beim Bamf beantragt, dass das Verfahren doch in Deutschland durchgeführt werde. Das wurde Ende der vergangene Woche abgelehnt.
Was diesem Fall Brisanz verleiht: Der Stader Kreistag hatte 2012 beschlossen, dass es keine nächtlichen Abschiebeaktionen mehr geben solle und diese Position auch dem Land mitgeteilt. Hintergrund war damals eine überfallartige Abschiebeaktion, die weit über die Kreisgrenzen hinaus für Empörung gesorgt hatte.
Landkreis-Dezernentin Nicole Streitz erklärt dazu, dass Kreis und Land grundsätzlich an dieser Position festhalten. Allerdings werden in diesem Fall (Rückführung in ein anderes europäisches Land) die Ankunftszeiten - und damit auch der Abflug - vom jeweils aufnehmenden Land festgelegt. Daher würden sich nächtliche Abschiebungen nicht immer vermeiden lassen.
Dass es überhaupt zum Abschiebeversuch kam, hätte nach Ansicht der "BI Menschenwürde" gar nicht geschehen dürfen. Der Landkreis habe Kenntnis gehabt, dass die Betroffenen aufgrund ihrer schweren Traumatisierung nicht als reisefähig gelten.
Fakt ist, dass die Familie jederzeit damit rechnen muss, dass die Polizei wieder vor der Tür steht. Dieter Kröger hat von anderen Flüchtlingshelfern, die ebenfalls in der Nacht vor Ort waren, gehört, dass eines der Kinder gesagt haben soll, dass es nicht zurückgehen werde, sondern sich lieber umbringen werde. "So etwas ist nicht auszuhalten", sagt er.
Das sagt Landkreis-Dezernentin Nicole Streitz: Das sei ein "höchst komplizierter Fall", der zugleich "menschlich bewege". Sie betont, dass der Landkreis Stade nicht Herrin des Verfahrens sei. Die beiden jesidischen Familien seien zuerst in Osnabrück gelandet. Dort habe eine Vorprüfung ergeben, dass nicht Deutschland, sondern Portugal für das Asylverfahren zuständig sei. Und: Es bestehe grundsätzlich die Pflicht zur Ausreise nach Portugal. In einem persönlichen Gespräch im Kreis Stade mit Dolmetschern sei der Familie daher die freiwillige Ausreise nahegelegt worden. Das habe sie abgelehnt.
Laut Nicole Streitz gebe es in diesem konkreten Fall kein psychiatrisches Gutachten, das die Abschiebung wegen psychischer Krankheit der Mutter verhindere. Hinzu komme, dass eine Krankheit, die vor Einreise in Deutschland bereits bestand, kein zwingender Grund sei, die eine Abschiebung automatisch verhindere. Auch habe die Betroffene bei ihrer Einreise nicht auf ihre Probleme hingewiesen, was aber hätte erfolgen müssen, um ein Bleiberecht, etwa aus gesundheitlichen Gründen, zu beantragen.
Wie es jetzt konkret weitergehe, wisse der Landkreis nicht. Zuständig für Ausreise- und Abschiebeverfahren sei das Land. Allerdings gelte eine Frist von sechs Monaten, in der die Ausreise vollzogen werden muss. Ist das nicht der Fall, ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig.
Insider rechnen daher damit, dass die Familie Mohi bleiben kann. Dafür wird sich die "BI Menschenwürde" auf jeden Fall einsetzen.
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