"Macht endlich Schluss mit der Idylle"
mi. Rosengarten. Landwirte haben es nicht leicht. Überall wo ein neuer Schweine- oder Hühnermastastall entstehen soll, treffen sie auf Widerstand bei Anwohnern und Tierschützern. Beispiele gibt es viele: Ob der geplante und schließlich verbotene Maststall im Buchholzer Stuvenwald oder der Kampf gegen den Bau der Hühnermastställe in Heidenau (Samtgemeinde Tostedt). Viele Verbraucher wollen zwar günstiges Fleisch essen, die Produktion aber tolerieren sie nicht. Diese Doppelmoral thematisierte jetzt Prof. Dr. Ulrich Nöhle in einem provokativen Vortrag bei der Landwirtschaftlichen Unternehmungsberatung Harburg Land.
„Massentierhaltung ist in der modernen Landwirtschaft der Normalfall! Das müssen Landwirte offensiv kommunizieren. Dem Verbraucher muss die Werbefernseh-Idylle von der Kuh auf der grünen Wiese endlich ausgetrieben werden. Bio ist nur eine Mode und fast jeder Tier-Skandal ist durch die Medien aufgebauscht.“ Mit einem beinahe religiösen Absolutheitsanspruch knallte der Experte seiner Zuhörerschaft das Weltbild der Agrar-Industrie um die Ohren.
Kritiker dürften ihn als Lobbyisten der Lebensmittelindustrie bezeichnen. Sicher ist: Nöhle kennt sich aus in der Agrar-Branche und damit, wie man Inhalte zielführend kommuniziert. Er saß in der Managementetage des Lebensmittelriesen „Nestle“ und führte bis 2003 den Vorstand der „Nordzucker AG“. Heute hilft er als Krisenmanager Unternehmen aus der Patsche, die mit den Behörden in Konflikt geraten sind. Außerdem arbeitet er für die Welternährungsorganisation (FAO).
In seinem zweistündigen Vortrag brach Nöhle eine Lanze für die konventionelle Landwirtschaft. Sein Hauptargument: Lebensmittel- oder Tierschutzskandale seien vor allem das Produkt einer medialen Überflussgesellschaft. Tierschutzgruppen bedienten sich eines romantisierten Landwirtschaftsbilds beim Endverbraucher, das im Kontrast zur Realität stehe. Dann kämen die Medien ins Spiel. Journalisten, immer auf der Suche nach einer Story, generierten aus diesem Gegensatz moralische Empörung - und schon sei aus der Normalität in der öffentlichen Wahrnehmung ein Skandal geworden.
Nöhle: „Ähnlich wie im Mittelalter die Kirche sind es heute die Medien, die Tabus festlegen und brechen.“ Als Beispiel nannte er ein großes Verbraucherschutzmagazin, das einfach entschied, der gesetzliche Grenzwert für Pestizide sei zu niedrig und nur die Produkte für unbedenklich erklärte, die den Grenzwert um die Hälfte unterboten.
Den Landwirten riet der Experte, ihre Produktionsmethoden nicht zu verstecken, sondern offen zu kommunizieren. „Sagen Sie, dass Tiere Betriebskapital sind, dass wer Fleisch essen will, Tiere töten muss, dass Bio bedeutet, nur Reiche dürfen jeden Tag Fleisch essen“, ermutigte Nöhle die Landwirte. 44.000 Hühner würden täglich allein in der Stadt Hamburg verzehrt. „Ich frage Sie, wie soll das gehen ohne Massentierhaltung?“ Der heilige Gral aller „Ökos“, die Bio-Branche, stagniere seit Jahren bei vier Prozent Marktanteil. Nöhle: „Massentierhaltung ist der Normalfall, sagen Sie das endlich auch dem Verbraucher“. Eine Einschränkung gebe es allerdings: Sollten in einem Betrieb tatsächlich Zustände herrschen, die nicht zu kommunizieren seien ohne die Gefahr eines Skandals, dann, so der Experte, müssten sie verbessert werden.
Kommentar
Der Vortrag von Professor Dr. Ulrich Nöhle war ein perfektes Beispiel für Lobbyarbeit. Keine der Informationen war falsch. Sie waren nur einseitig. Die wissenschaftlich belegten negativen Auswirkungen der „Immer mehr, immer billiger“- Philosophie in der Landwirtschaft erwähnte Nöhle nicht. Die massive Gülleproduktion belastet (laut EU) jetzt schon das Grundwasser. Der Verfall der Fleischpreise nutzt vor allem dem Handel, nicht dem Bauern, der sich verschuldet, weil er die Kredite für seinen Mega-Maststall nicht mehr bedienen kann. Sicher: Hamburger verputzen pro Tag 44.000 Hühner, aber wie viele werden darüberhinaus weggeworfen?
Und Herr Nöhle: Bei der Aufdeckung von Skandalen rührt die (moralische) Empörung der Öffentlichkeit häufig da her, dass für die Pofitmaximierung gegen geltendes (Tierschutz)recht verstoßen wird.
Mitja Schrader
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Redakteur:Mitja Schrader |
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