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"Vorglühen" statt Bier an der Theke: In der Region sterben die Gasthöfe

Silke Bostelmann (li.) und Angelika Fronius mit Hund "Ben" vor "To'n Diekhof"
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  • Silke Bostelmann (li.) und Angelika Fronius mit Hund "Ben" vor "To'n Diekhof"
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(bim). Jahrhundertelang war es gute Tradition, nach dem Gottesdienst oder nach getaner (Feld-)Arbeit auf ein oder mehrere Bierchen in die örtliche Kneipe einzukehren. Auch ein gutbürgerliches Essen mit der Familie oder als Paar in den heimischen Gasthöfen war immer ein schönes Ereignis. Doch die Zeiten haben sich geändert: Junge Kneipengänger treffen sich vor Veranstaltungen im privaten Rahmen zum sogenannten „Vorglühen“ oder bringen Spirituosen mit, die sie außerhalb der Gasthöfe bunkern und trinken. Das Geld, um Essen zu gehen, sitzt vielfach nicht mehr so locker wie früher. Und wenn doch, muss es heutzutage häufig etwas Exotisches oder Erlebnisgastronomie sein. Ausbleibende Gäste, der Balance-Akt, Liebgewonnenes zu bewahren und dennoch modern und ansprechend zu sein, sowie häufig eine fehlende Unternehmensnachfolge bedeuten für viele Gasthöfe der Region das Aus.
Es gebe inzwischen eine Reihe von Auflagen, die der Gastronomie zu schaffen machen, erläutert Cordula Rohwer, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), Landkreis Harburg. Dazu gehören u.a. die zeitaufwendige Dokumentationspflicht in Sachen Mindestlohn und die geplante Hygiene-Ampel. Auch das 2007 eingeführte Rauchverbot habe bei einigen Gastwirten zu Einbußen geführt. „Die Gründe für die Schließungen liegen aber meistens in erster Linie darin, dass keine Nachfolger da sind“, sagt sie.
Der Heitens Hoff in Wohlesbostel, Gasthof Gerlach in Otter oder die Heidelust in Wesel sind nur einige Beispiele, bei denen die Betreiber aus Alters- oder Krankheitsgründen aufgaben und keine Nachfolger fanden. Auch die Bilanz der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg ist deutlich: Derzeit gibt es noch 506 aktive Hotel- und Gaststättenbetriebe im Landkreis. 809 Hoteliers und Gastronomen haben in den vergangenen zehn Jahren ihr Gewerbe abgemeldet.

Lohmanns Gasthaus hat geschlossen 

bim. Holm. Lohmanns Landgasthaus in Buchholz-Holm hat zum Bedauern vieler Gäste zum 30. September geschlossen. Gernot (73) und Elke Lohmann (75) hatten das Lokal mit Hotelbetrieb, das seit dem Jahr 1902 in Familienbesitz war, 55 Jahre lang geführt.
Das Gasthaus, neben dem es früher auch einen Gemischtwarenladen gab, habe einst zum Gut Holm gehört. „Wenn die Landwirte von weit her zum Mahlen zur Mühle kamen, spannten sie ihre Pferde aus und übernachteten hier“, berichtet Gernot Lohmann. Er arbeitete von Kindesbeinen an im Gasthof mit. Seine Frau Elke war stets an seiner Seite und die gute Seele am Herd.
Auch Sohn Stephan Lohmann (45) ist praktisch im Gasthaus groß geworden und stieg 2009 mit ins Geschäft ein. Er investierte sogleich umfangreich in die Renovierung der Gaststube und des Clubraums. „Wir haben den Restaurantbereich entkernt und grundsaniert, Decken, Wände und Fußböden erneuert“, berichtet er. „Die Stammgäste blieben. Aber beim Saal gab es einen Renovierungsstau. Familienfeiern wurden seltener“, erklärt er. Dann musste die Klärgrube saniert und die Heizungsanlage erneuert werden. „Als nächstes forderte die Gewerbeaufsicht, dass der Küchenbereich erneuert werden sollte“, so Stephan Lohmann.
Früher, so erinnert sich Gernot Lohmann, kamen die Gäste noch in Bussen vorgefahren. Ebenso kehrten Wanderer und Radfahrer bei ihren Heide-Touren dort ein. Beides wurde weniger. Im Laufe der Zeit sei auch das Thekengeschäft ausgeblieben.
„Was mich ärgert, ist, dass wir teilweise mit den Straßensperrungen vor der Haustür allein gelassen wurde. Es gab keine Informationen, und plötzlich stand ein Baustellenschild da“, sagt Stephan Lohmann, u.a. mit Blick auf mehrwöchige Bauarbeiten auf der K28 vor sechs Jahren, als 80 Prozent des Umsatzes wegbrachen, weil die Gäste nicht wussten, wie sie das Lokal erreichen konnten. „Das Feingefühl der Behörden gegenüber den Gewerbetreibenden fehlte.“
Die hohen Investitionen und mangelnder Gästezuspruch waren für Stephan Lohmann keine Gründe, das Landgasthaus zu schließen. Doch jetzt, da seine Eltern im wohlverdienten Ruhestand sind, wollte er das Unternehmen nicht allein weiterführen.
Der gelernte Koch fand im Nachbarort Handeloh eine neue Anstellung. „Ich habe mit dem Hotel Fuchs einen guten Arbeitgeber gefunden. Ich weiß, was ich am Monatsende im Portemonnaie habe, kenne meinen Tagesablauf und bin jetzt wesentlich entspannter“, sagt Stephan Lohmann inzwischen.
Das Gasthaus wurde an einen Baukonzern aus Hannover verkauft, der die Handwerker eines Subunternehmers dort einquartieren wolle, berichtet Gernot Lohmann.

Traditionslokal „To'n Dieckhof“ ist gerettet

bim. Tostedt. Mit dem „To'n Dieckhof“ in Tostedt wäre beinahe zum Jahresende ein Lokal mit jahrhundertelanger Tradition geschlossen worden, in dem einst schon Napoleon sein Bier getrunken haben soll. Doch Betreiberin Silke Bostelmann, die nicht mit der Eigentümer-Familie Bostelmann verwandt ist, hatte großes Glück und hat zum Jahresbeginn 2018 Nachfolger gefunden.
Der Dieckhof, so der Hofname, befindet sich seit dem Jahr 1789 in Familienbesitz. Justus Bostelmann (1815 - 1889) und seine Frau Dorothea bewirtschafteten den Hof und führten einen Kolonialwarenladen (heute Galerie Himmelsweg). In den unteren Räumen eröffneten sie eine Gaststube, in den oberen Räumen eine Pension für junge Mädchen, die die Haushaltsführung erlernen sollten.
„Seither war es immer eine Kneipe mit wechselnden Betreibern“, berichtet Angelika Fronius, geb. Bostelmann, Ur-Ur-Ur-Enkelin der Kneipengründer, die selbst in den 1970er Jahren zeitweilig über der Kneipe wohnte. „Es wurden immer mal wieder kleinere Renovierungen und Umbauten vorgenommen, die Farben haben sich ab und zu geändert“, sagt sie. Doch das ursprüngliche Interieur und den Charme hat der „To'n Dieckhof“, Tostedts historische Kneipe, behalten. Bis heute schmücken Teile der Aussteuertruhen der früheren Pensionsgäste als Wandpaneele den Gastraum.
Ein einschneidendes Erlebnis war für alle Beteiligten ein Brand des Nachbarhauses im Jahr 2000, bei dem die Kneipe in Mitleidenschaft gezogen wurde. „Die Lehmwände wurden durch das Löschwasser beschädigt. Aber das Haus hat standgehalten, weil es Fachwerk ist“, erinnert sich Angelika Fronius. Für Silke Bostelmann brach damals eine Welt zusammen. „Wegen Einsturzgefahr durfte ich nicht in die Kneipe. Dann brachen Unbekannte auch noch in den Keller ein und klauten Schnaps und Zigaretten. Da habe ich nur noch geheult und wollte hinschmeißen. Mit wurde meine Existenz unter den Füßen weggerissen“, erzählt Silke Bostelmann. Doch sie machte weiter, veranstaltete ein Musikfest und spendete einen Teil des Erlöses der Feuerwehr. Bei den anschließenden Reparaturarbeiten wurde die alte Tür
zum Nachbarhaus, zum ehemaligen Kolonialladen, wieder entdeckt.
Silke Bostelmann kellnerte bereits mit 18 Jahren für ein paar Jahre im „Dieckhof“. Im Juni 1997 übernahm sie die Regie über die Kult-Kneipe. „Wir haben hier ein wahnsinnig tolles Publikum. Hier sitzt der Doktor neben dem Arbeitslosen, es ist ein schönes Miteinander. Und man lernt immer wieder neue Leute kennen“, schwärmt sie. Doch inzwischen wird der 53-Jährigen die Arbeit zuviel. „Ich hätte noch so viele Ideen, was man im 'Dieckhof' alles machen kann. Doch am Tag einkaufen, den Laden reinigen, die Bücher machen und die Nachtarbeit zeigen mir meine körperlichen und nervlichen Grenzen auf“, sagt Silke Bostelmann. Auch bei der Nachfolgersuche bewies Silke Bostelmann Einfallsreichtum: Sie schrieb ihr Anliegen samt Telefonnummer mit Kreide auf eine Tafel im Gastraum - und hatte Erfolg. Sie und Angelika Fronius sind froh, dass die Traditionskneipe unter neuer Leitung künftig fortbesteht.

Redakteur:

Bianca Marquardt aus Tostedt

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