Buchholz: Mutter ist verzweifelt
Wer hilft bei Neurofibromatose?
Janina Otte ist verzweifelt: Ihre achtjährige Tochter Frida leidet seit über zwei Jahren an der seltenen Krankheit Neurofibromatose (NF). Doch jetzt soll die NF–Ambulanz und -Tagesklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) geschlossen werden, eine wichtige Anlaufstelle für NF-Kranke.
Schon zum Juli war die persönliche Ermächtigung des leitenden Arztes Dr. Said C. Farschtschi ausgelaufen und nicht verlängert worden. Die Kassenärztliche Vereinigung KV möchte dazu "aus datenschutzrechtlichen Gründen" gar nichts sagen. "Ich verstehe das nicht", sagt Janina Otte. "Dr. Farschtschi gilt als weltweit führender Spezialist auf dem Gebiet, ist auch Vorsitzender des Bundesverbandes Neurofibromatose." Sie glaubt, dass man vor allem Kosten sparen wolle, da es sich bei der NF um eine seltene Krankheit handelt. "Wir sollen wohl zu niedergelassenen Neurologen, Haus- und Kinderärzten gehen."
Doch das löst ihr Problem - und das anderer betroffener Patienten - eher nicht: "Aufgrund der Seltenheit und Komplexität der Erkrankung ist eine adäquate Versorgung im niedergelassenen Bereich kaum vorstellbar", schreibt auch der Verein Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen. Deren Ärztin Dr. Christine Mundlos: "Erneut ist ein wichtiger Baustein in der ohnehin fragilen Versorgungslandschaft für Seltene Erkrankungen entfallen. Das ist inakzeptabel und unverständlich."
In der NF-Ambulanz kennt man sich dagegen mit den verschiedenen Erscheinungsformen der Krankheit aus - es gibt einen Typ 1, einen Typ 2 und die sogenannte Schwannomatose. Niedergelassene Ärzte wüssten aufgrund der Seltenheit der Krankheit einfach nicht genug über die Krankheit und böten auch keine genetischen Analysen, fürchtet Janina Otte.
Sie hat erfahren, dass "ein Gericht - niemand weiß welches" den weiteren Betrieb von September bis Ende 2025 angeordnet habe. Doch dann wird wohl endgültig Schluss sein, befürchtet Janina Otte. Die Erzieherin entdeckte Anfang 2022, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte: Sie hatte auffällige Pigmentflecken, zunächst am Oberkörper. "Ich bin froh, dass unser Kinderarzt den Verdacht auf Neurofibromatose hatte und uns in die NF-Ambulanz am UKE überwiesen hat", sagt Janina Otte. Denn inzwischen hat Frida weitere typische Symptome: Ihr Rückgrat ist verkrümmt, und auch ihre Lernschwierigkeiten gehören zu den typischen Erscheinungsformen der Krankheit, wie Janina Otte jetzt weiß.
Etwa 40.000 Menschen in Deutschland haben NF, nimmt der Bundesverband Neurofibromatose BNF an. Bei einer Neurofibromatose bilden sich Geschwulste - Neurofibrome - an Nervenbahnen. Die sind zwar - meistens - gutartig, doch sie schränken die Funktion der Nerven ein. Das Schlimme: Es können alle Nerven im Körper betroffen sein, zum Beispiel auch der Seh- und der Hörnerv. Auch das Herz kann betroffen sein. Die hohe Symptomvielfalt sei einer der Gründe, warum Ärzte die seltene Krankheit oft nicht erkennen, heißt es auf der Homepage des BNF.
"Deshalb müssen wir regelmäßig zu umfangreichen Untersuchungen in die NF-Ambulanz", berichtet Otte. Bei Frida ist das einmal jährlich angesagt, bei Patienten, bei denen die Krankheit schon weiter fortgeschritten ist, kann das aber auch alle zwei oder drei Monate nötig sein. Wird dabei etwas Auffälliges gefunden, wird das Mädchen von der NF-Ambulanz an Spezialisten überwiesen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die NF Fridas Leben um zehn bis 15 Jahre verkürzen wird.
Bei Frida entstand die Krankheit aus einer Spontanmutation ihres Erbmaterials, sie kann aber auch vererbt werden. "Frida wird sich später einmal Gedanken machen müssen, ob sie das Risiko auf sich nehmen will, die Krankheit an eigene Kinder zu vererben", sagt Janina Otte traurig. "Das ist sehr beängstigend, wenn man weiß: Ihr wird noch einiges Schlimmes bevorstehen."
Wenn die NF-Ambulanz im Hamburger UKE Ende 2025 schließen muss, sind Ottes aufgeschmissen: Die nächste NF-Ambulanz befindet sich in Tübingen. Einzige Alternative: Das Zentrum für seltene Erkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover. "Hier kann man immerhin nötige chirurgische Eingriffe machen lassen, aber die umfangreichen Untersuchungen werden dort nicht angeboten." Deshalb nehmen die Ottes notfalls auch eine weite Anreise in Kauf. Doch selbst dann ist die medizinische Versorgung von Frida nicht gewährleistet: "Man muss Termine schon über ein Jahr im Voraus machen. Wenn eine NF-Ambulanz jetzt wegfällt, werden noch mehr Patienten auf die wenigen Termine angewiesen sein."
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