Krankenhausfinanzierung - krasses Missverhältnis zwischen Niedersachsen und Hamburg
„Strukturveränderungen sind dringend notwendig“ - gesundheitspolitische Debatte mit MdB Jens Spahn in der Jesteburger Waldklinik
(nf). Wohin steuert die Gesundheitspolitik? Und welche Auswirkungen haben aktuelle Planungen und Entscheidungen der Bundesregierung auf den Landkreis Harburg? Zum Informations- und Meinungsaustausch trafen sich jetzt Politiker, Ärzte und Klinikmanager mit Jens Spahn, Gesundheitspolitischer Sprecher der Union im Deutschen Bundestag. Der Gesundheitsexperte war auf Vermittlung von Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union im Deutschen Bundestag, in der Waldklinik Jesteburg zu Gast. Das Fachgespräch unter der Moderation von Klinikgeschäftsführer Dr. Hans-Heinrich Aldag fand vor dem Hintergrund der im Koalitionspapier zwischen CDU/CSU und SPD verabredeten Krankenhausreform statt. Bis zum Jahresende sollen dafür die Eckpunkte erarbeitet werden. Union und SPD haben bereits in vielen Fragen einen Konsens erzielt, in Kürze beginnen die Bund-Länder-Verhandlungen.
Beim Treffen in Jesteburg kamen folgende Punkte zur Sprache:
Investitionszuschüsse:
In welchem Maße die Länder Krankenhausinvestitionen fördern, ist durchaus unterschiedlich. Wie die Vertreter der Krankenhäuser Buchholz und Winsen, Geschäftsführer Norbert Böttcher, die beiden ärztlichen Direktoren Dr. Christian Pott und Dr. Heiner Austrup sowie Klaus-Jörg Bossow, Verbundmanager des Elbe-Heide-Krankenhausverbundes, deutlich machten, gebe es zwischen Niedersachsen und dem benachbarten Hamburg in dieser Beziehung ein krasses Missverhältnis, das sich im Wettbewerb für die Häuser im Landkreis als nachteilig erweise. Dr. Hans-Heinrich Aldag betonte: „Gegenwärtig erhalten wir in Niedersachsen 120 Millionen Euro pro Jahr. Damit kommt man nicht halb über die Runden.“ Hamburg wende fast das Doppelte für seine Kliniken auf.
Der Plan, dass Berlin sich an der Finanzierung beteilige, dafür aber in die Krankenhausplanung einbezogen werde, sei nicht zuletzt am Widerstand aus Bayern gescheitert, berichtete Jens Spahn. Die Krankenhausplanung bleibe auch künftig allein Ländersache.
Landesbasisfallwert:
Der Bewertungsmaßstab für die Vergütung für Krankenhausleistungen in den einzelnen Bundesländern ist ebenfalls stark unterschiedlich. Auch dies, so Norbert Böttcher, führe zu Wettbewerbsverzerrungen. Obwohl es infolge der Angleichung an einen einheitlichen „Korridor“ schon Verbesserungen für Niedersachsen gegeben habe, stünden die Kliniken in Hamburg immer noch deutlich besser da. Lägen die Krankenhäuser Buchholz und Winsen in Hamburg, so rechnete Böttcher vor, hätten sie in 2013 insgesamt 3 Millionen und im laufenden Jahr 1,5 Millionen Euro mehr eingenommen als jetzt. „Dennoch kommen unsere Krankenhäuser wirtschaftlich gut zurecht“, so Norbert Böttcher, was er vor allem auf die Politik der abgestimmten Schwerpunktmedizin an zwei Standorten und die Kooperation mit verschiedensten Partnern u. a. aus Hamburg zurückführte.
„Ein Großteil der Vergütungsunterschiede ist historisch gewachsen und nicht gut begründbar“, so Jens Spahn. Im Koalitionsvertrag sei vereinbart, dass die Unterschiede bis 2017 weitgehend angeglichen werden sollten. „Ich bin da optimistisch“, so der Bundespolitiker.
Sektorübergreifende Versorgung:
Die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern Buchholz und Winsen und der Waldklinik Jesteburg im Bereich der orthopädischen Versorgung stellten Vertreter beider Einrichtungen als modellhaft und vorbildlich dar: Therapeuten sind unter einer Leitung und nach einem Konzept für beide Arbeitgeber tätig. Sie begleiten die Kranken von der Zeit vor der Operation bis zum Abschluss der Reha, die sowohl ambulant als auch stationär erfolgen kann. Es sei gelungen, dieses zukunftsweisende Konzept trotz vieler bürokratischer Hemmnisse zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen für Kooperationen seien jedoch zu wenig flexibel, so die Kritik, die das Plenum Jens Spahn mit auf den Weg gab.
Zuschläge für gute Qualität:
Der Idee, Krankenhäusern, die gute Qualität erbringen, Zuschläge zu zahlen und diejenigen, die unter dem Qualitätslevel bleiben, abzustrafen, fand im Plenum nur wenig Gegenliebe und werde, so die Einschätzung von Jens Spahn, wenn überhaupt, dann nur in geringem Maß realisiert werden können. Einig war sich die Runde allerdings darin, dass über das Qualitätsmanagement auch ein Qualitätsdialog etabliert werden solle.
Hausarztversorgung:
Als teilweise hochdramatisch schilderte Rainer Hennecke, Vorstandsvorsitzender des Ärzte-Netzwerks ELAN, die Hausarztversorgung im Kreis. Trotz der Initiative StadtLandPraxis, die jungen Medizinern finanziell und logistisch hilft, sich als Hausärzte im Landkreis niederzulassen, gelinge es nicht, genügend Nachfolger zu finden. „Von 15 Hausärzten in Winsen werden in den nächsten Jahren zwölf aufhören“, so Rainer Hennecke.
Die Gesamtsituation der Ärzte müsse attraktiver gestaltet werden. Nicht nur durch finanzielle Anreize, sondern auch durch andere Beschäftigungsmodelle. „Geordnete Angestelltenverhältnisse“ sollten auch im Arztberuf möglich sein. Denn in den Köpfen der jungen Mediziner-Generation habe ein Wandel stattgefunden. Der Arztberuf werde nicht länger vom „Ethos der Selbstausbeutung“ gekennzeichnet, sondern in erster Linie als Dienstleistungsberuf verstanden, so der Tenor der Redebeiträge.
Auch das Berufsbild des Arztes habe sich verändert. Der Anteil der Bürokratie steige immer weiter. Das sei für viele Mediziner frustrierend und „da kann man nicht Überstunden bis zur Selbstaufgabe verlangen“, so Norbert Böttcher.
Das Fazit der Diskussionsrunde:
Jens Spahn mahnte angesichts der jährlich steigenden Ausgaben für den Gesundheitssektor im Bundeshaushalt: „Wir sollten die Strukturen verändern, solange es uns finanziell noch gut geht.“
Dem Fachgespräch ging eine Besichtigung der Spezialeinrichtung für Neurologie und Orthopädie mit der Geschäftsführung und dem Ärztlichen Direktor der Waldklinik. Dr. Hans-Peter Neunzig, voraus.
Redakteur:Reinhard Schrader aus Buchholz |
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