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Umstrittene Klinikreform auch im Bundesrat bestätigt - ländliche Kliniken nun in Sorge

Endoprothesen und wie sie möglichst lange halten
Wann ist es Zeit für einen Gelenkersatz in Hüfte oder Knie?

Professor Dr. Christian Flamme, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Krankenhaus Buchholz, ist auf den Gelenkersatz spezialisiert | Foto: Krankenhaus Buchholz
  • Professor Dr. Christian Flamme, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Krankenhaus Buchholz, ist auf den Gelenkersatz spezialisiert
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(nw/tw). Viele, die sich mit Schmerzen in Hüfte und Knie plagen, denken jetzt darüber nach, sich mit einem Gelenkersatz versorgen zu lassen, um das Frühjahr mit neuer Bewegungsfreiheit genießen zu können. Was spricht für, was gegen eine Prothese? Professor Dr. Christian Heinrich Flamme, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Krankenhaus Buchholz, gibt im Gespräch mit dem WOCHENBLATT Entscheidungshilfe.

WOCHENBLATT:
Hüft- oder Knieersatz gehört heute zu den häufigsten Operationen. Was sind die Gründe dafür, dass operiert wird?
Professor Dr. Christian Heinrich Flamme: Unfälle, Gelenkrheuma, doch in den meisten Fällen eine fortgeschrittene Arthrose.

WOCHENBLATT:
Was sind die Auslöser für Arthrose?
Flamme: Häufig kann man den Auslöser gar nicht isoliert nachweisen. Es gibt familiäre Häufungen von Arthrose in Hüfte und Knie. Auch Unfälle können in eine Arthrose münden, entweder direkt über eine Schädigung des Knorpels oder über eine erworbene Instabilität.

WOCHENBLATT:
Was genau passiert dabei im Körper?
Flamme: Durch Bandschädigungen wird die Führung des Knies stark verändert. Auf diese Weise steigt der Belastungsdruck auf den Knorpel. Dadurch kommt es zu verstärktem Verschleiß. Auch bei Fehlstellungen der Beine, X-Bein-, häufiger aber O-Bein-Stellung, entsteht mehr Druck auf den Knorpel, der sich in der Folge schneller abnutzt. Bei der Hüfte spielt oft eine angeborene Hüftdysplasie, eine unzureichende Überdachung des Hüftkopfs, eine Rolle. Aufgrund der geringeren Kontaktfläche zwischen Hüftkopf und Hüftpfanne entsteht ebenfalls mehr Druck, der die Knorpelschicht schädigt.

WOCHENBLATT:
Ist Arthrose also Schicksal?
Flamme: Generell kann man sagen, dass Arthrose eine Folge der Belastung des Gelenks ist, die sich zusammensetzt aus Körpergewicht und zurückgelegter Wegstrecke. Etwa die Hälfte der Patienten, die mit einer Knieprothese versorgt werden müssen, haben deutliches Übergewicht. Aber auch Sportarten wie Marathon und Triathlon können über hohe Belastung zur Arthrose führen. Sportarten wie Fußball begünstigen mit immer wiederkehrenden Mikrotraumen (Anm. d. Red.: geringfügige Verletzungen) die Entstehung von Arthrose.

WOCHENBLATT:
Was sind die Warnzeichen?
Flamme: Hauptwarnzeichen ist der Schmerz. Er tritt am Anfang nur nach Belastung auf, später auch während der Belastung und im fortgeschrittenen Zustand sogar in Ruhe. Das zweite Warnzeichen ist eingeschränkte Beweglichkeit. Die Hüfte verliert ihre Fähigkeit zu Drehbewegungen, insbesondere zur Drehung nach innen. Das Kniegelenk kann nicht mehr vollständig gestreckt oder gebeugt werden. Die Patienten können kaum noch in die Hocke gehen, schaffen das Treppensteigen nicht mehr und beobachten, dass das Knie immer wieder anschwillt.

WOCHENBLATT:
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Operation?
Flamme: Das ist eine schwierige, immer gemeinsam mit dem Patienten zu treffende Entscheidung. Denn Schmerzen werden ganz unterschiedlich empfunden. Ein wichtiger Gradmesser sind Anlaufschmerzen nach langem Sitzen und die Einschränkung der schmerzfreien Gehstrecke auf unter 500 Meter. Ausschlaggebend ist auch, wie stark sich der Patient in seiner Lebensführung beeinträchtigt fühlt, ob er z.B. noch mit den Enkelkindern spielen, einkaufen gehen oder mit dem Hund Gassi gehen kann.

WOCHENBLATT:
Wie hoch ist die Zufriedenheit der Patienten mit einem Gelenkersatz?
Flamme: Statistisch gesehen sind von den 180.000 Patienten mit Hüftgelenkersatz pro Jahr in Deutschland rund 90 Prozent zufrieden, bei den Kniepatienten sind es bei jährlich 125.000 Erstimplantationen rund 80 Prozent. Bei uns im Krankenhaus Buchholz, wo wir rund 400 Gelenkersatzoperationen im Jahr vornehmen, sind die Zahlen sogar noch besser.

WOCHENBLATT:
Wie kommt der Unterschied in der Zufriedenheit mit Hüft- und Knieprothesen zustande?
Flamme: Die Hüfte ist ein Kugelgelenk, das von knöchernen Strukturen mit einer großen Kontaktfläche sicher geführt wird. Das Kniegelenk ist vom Aufbau hingegen sehr komplex. Es besteht aus drei verschiedenen Gelenken. Alle drei Teilgelenke haben eine schlechte knöcherne Führung. Die Bänder und Menisci (halmondförmige Knorpel zwischen Oberschenkelknochen und Schienbein, Anm. d. Red.) müssen das Knie stabilisieren. Daraus resultiert die besondere Anfälligkeit des Knies für Verletzungen und Unfälle. Außerdem haben nur die wenigsten Menschen eine gerade Beinachse. Das macht die korrekte Implantation einer Knieprothese sehr anspruchsvoll.

WOCHENBLATT:
Was zeichnet die Gelenkersatzoperationen im Buchholzer Krankenhaus aus?
Flamme: Zum einen haben wir langjährige Erfahrung. Wir verwenden beim Hüftgelenkersatz einen minimalinvasiven Zugang, der die Hüftmuskulatur vollständig erhält und eine schnellere Mobilisierung erlaubt. Für das Kniegelenk haben wir eine Knieprothese eingeführt, die eine hohe Stabilität beim Beugen und Strecken vermittelt und damit die Kniescheibenführung verbessert. Schmerzen an der Kniescheibe sind einer der häufigsten Gründe für Unzufriedenheit nach der Prothese.

WOCHENBLATT:
Welche Rolle spielt die Vor- und Nachbereitung der OP?
Flamme: Die Gangschulung der Patienten vor dem Eingriff, besonders schonende Narkoseverfahren, blutungshemmende Medikamente und frühe Mobilisation, möglichst mit Bewegungsbad, sowie hochkalorische Nahrung nach der OP tragen zum guten Ergebnis im Krankenhaus Buchholz bei.

WOCHENBLATT:
Wie lange hält eine Prothese?
Flamme: Bisher mussten Patienten unter 70 Jahren davon ausgehen, eine Wechsel-OP zu erleben. Allerdings tragen die Materialien der im Krankenhaus Buchholz verwendeten Prothesen wie Titan, spezielle Keramiken und hochvernetztes Polyäthylen dazu bei, dass es weniger Abrieb gibt und in der Folge weniger Lockerung des Gelenkersatzes, die einen Austausch erforderlich machen würde.

WOCHENBLATT:
Und welche Vorkehrungen treffen Sie für den Fall, dass doch ein Wechsel notwendig wird?
Flamme: Weil wir wissen, dass zementfreie Prothesen leichter zu wechseln sind als zementierte, verwenden wir an der Hüfte fast ausschließlich zementfreie Lösungen und sind auch am Kniegelenk übergegangen zu einer im 3-D-Druck hergestellten Prothese, die aufgrund ihrer besonderen Konstruktion auch ohne Zement eine lange Standzeit garantieren kann.

WOCHENBLATT:
Was kann der Patient selbst zur Haltbarkeit seines Gelenkersatzes beitragen?
Flamme: Knorpel hat eine begrenzte Lebenszeit. Mit Prothesen ist es genauso. Beim Gehen steigert sich die Belastung auf das Dreifache des Körpergewichts, beim Joggen auf das Siebenfache. Daraus wird klar, dass man versuchen sollte, das Körpergewicht niedrig zu halten. Trotzdem müssen alle Gelenke bewegt und die Muskulatur trainiert werden. Ideale Sportarten: Fahrradfahren mit hohem Sattel und Schwimmen. Im Winter leistet auch der Heimtrainer wertvolle Hilfe. Spazierengehen ist ebenfalls sinnvoll, wenn man nicht übertreibt und sein Körpergewicht im Griff hat. Dann idealerweise auf Feldwegen und in Schuhen mit weichen Sohlen.

WOCHENBLATT:
Vielen Dank für das Gespräch.

Redakteur:

Tamara Westphal aus Buchholz

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