Unsichtbare Abfall-Denkmäler: WOCHENBLATT erklärt das "Kippen-Kataster"
(bc). Die jüngere Generation hat vermutlich keine Vorstellungen davon, was alles unter der Erdoberfläche schlummert: Tausende Tonnen Müll, die vor Jahrzehnten blauäugig in die Landschaft gekippt, später dann zugeschüttet und vergessen wurden. Im Volksmund hießen diese Deponien früher "Gemeinde-Kuhlen" oder auch "Bürgermeister-Kippen", in denen Dörfer und Städte bis weit nach dem 2. Weltkrieg ihren Hausmüll abluden. Erst als in den 1970er Jahren die zentrale Abfallentsorgung ihren Siegeszug antrat, war es damit vorbei.
Noch heute beschäftigen diese unsichtbaren Abfall-Denkmäler die Beamten in den Kreishäusern. Das WOCHENBLATT erklärt das "Kippen-Kataster":
Ende der 1980er Jahre war es das Altlastenprogramm des Landes Niedersachsen, das die Kommunen dazu zwang, sich mit den Altablagerungen zu befassen. In mühevoller Kleinarbeit machten sich die Kreisbehörden gemeinsam mit den Wasserwirtschaftsämtern an die Bewertung und Gefährdungsabschätzung der Alt-Deponien. Die lückenhaften Daten aus den 1970er Jahren reichten für die Recherche nicht aus. "Wir haben viele Zeitzeugen befragt, um möglichst alle Gemeinde-Kuhlen genau zu erfassen, auch was die Art des Mülls angeht", berichtet Martin Montzka von der zuständigen Unteren Bodenschutzbehörde beim Landkreis Stade.
Daraus entstand schließlich ein umfangreicher Lageplan der "Bürgermeister-Kippen". Im Landkreis Harburg wurden 233 Müllplätze erfasst, im Landkreis Stade 130. Montzka: "Man muss aber von einer hohen Dunkelziffer ausgehen."
Die alten Kippen liegen verstreut über die Landkreise, meistens aber außerhalb von Ortschaften. Manchmal wachsen heute kleine Wälder darauf. Montzka: "Die Kippen liegen ungefähr vier Meter unter der Erde, sind wenige Hundert Quadratmeter groß." Eine unmittelbare Gefahr gehe von keiner Deponie aus, so Montzka. Mit Hilfe von Bohrungen ermittelten die "Müll-Forscher" Größe, Tiefe und Volumen der Abfalllager.
Noch heute werden im Landkreis Stade sieben Standorte regelmäßig untersucht. Dazu gehören die ehemaligen Bürgermeister-Kippen in Stade-Riensförde, Buxtehude-Ardestorf, Oldendorf, Wedel und Hammah, die später alle als Bauschutt-Deponien des Landkreises weitergeführt, mittlerweile aber geschlossen wurden. Außerdem werden noch Altablagerungen in Apensen und Bliedersdorf beobachtet.
Zweimal im Jahr entnimmt der Kreis hier Grundwasserproben. Im Labor wird das Wasser auf Verunreinigungen untersucht. Nicht komplett auszuschließen, dass Spätschäden durch unachtsam entsorgte Schwermetalle, Öle oder Chemikalien entstehen könnten.
"Oft werden Altablagerungen anlassbezogen im Zusammenhang mit neu auszuweisenden Bebauungsgebieten untersucht", sagt Johannes Freudewald, Sprecher beim Landkreis Harburg. Dann sei die Frage zu klären, inwieweit möglicherweise ausgehende Gefahren das Baugebiet beeinflussen. Von Totalsanierungen alter Deponien habe der Landkreis Harburg bislang aber abgesehen. Mit Ausnahme der Säureharz-Deponie in Scharnbeck.
Kann es denn trotzdem sein, dass Baugebiete auf solchen Alt-Deponien entstanden sind? Freudewald: "In früheren Zeiten ja, heute eigentlich nein, da die Bodenschutzbehörde im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens oder bei Bauanträgen rechtzeitig beteiligt wird." Doch auch der Landkreis könne nicht alles wissen.
Ein Beispiel, was passieren kann, wenn alte Müllkippen vergessen werden, ist die Dunkenkuhle in Rosengarten-Tötensen. In den 1970er Jahren wurden hier Sportanlagen errichtet, später entstanden daneben Eigenheime. Beim Bau eines Hauses stieß der Bagger auf giftigen Chemiemüll. Der Fahrer musste behandelt werden. Aber es wurde weiter gebaut. Später wurden die Häuser unbewohnbar und bis auf eines abgerissen. Die Sanierung des Sportplatzes zieht sich bis heute hin. Der Schaden geht in die Millionenhöhe.
Damit so etwas nicht noch einmal passieren kann, gibt es das "Kippen-Kataster".
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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