Als sich Hamburg Harburg einverleibte
Darum heißt der Landkreis Harburg nicht Landkreis Winsen: Vor 80 Jahren wurde das Groß-Hamburg-Gesetz erlassen
mi. Landkreis. Schon mal darüber nachgedacht? Warum heißt der Landkreis Harburg eigentlich nicht nach seiner Kreisstadt Landkreis Winsen? Antwort: Weil der ursprüngliche „Regierungssitz“ des Kreises nicht in Winsen, sondern in Harburg lag. Dass die Kreisverwaltung heute in Winsen sitzt, geht maßgeblich auf ein Ereignis zurück, das sich morgen zum 80. Mal jährt. Am 26. Januar 1937 wurde das Groß-Hamburg-Gesetz erlassen.
„Durch das Groß-Hamburg-Gesetz wollte das Nazi-Regime Hamburg als zentrale Wirtschaftseinheit der Region etablieren“, erklärt Dr. Martin Kleinfeld. Kleinfeld hat sich als Leiter des Kreisarchivs des Landkreises Harburg auch mit dem Groß-Hamburg-Gesetz beschäftigt. Federführend bei der Reform war Hermann Göring, der damals eine Doppelfunktion ausübte. Er war preußischer Ministerpräsident, aber auch Verantwortlicher für den Vierjahresplan, mit dem die Wirtschaft der Nazidiktatur kriegstauglich gemacht werden sollte. Dabei spielte auch der Buchholzer Otto Telschow (Gauleiter Lüneburg/Stade) eine wichtige Rolle. Das Groß-Hamburg-Gesetz sah die Eingemeindung der preußischen Städte Altona und Wandsbek vor. Auch die Stadt Harburg fiel an Hamburg, außerdem weitere zum Landkreis Harburg gehörende Gemeinden: Altenwerder, Finkenwerder, Fischbek, Francop, Gut Moor, Kirchwerder, Langenbeck, Marmstorf, Neuenfelde, Neugraben, Neuland, Rönneburg, Sinstorf sowie die rechts der Elbe gelegenen Teile der Gemeinde Over. Im Gegenzug trat Hamburg Geesthacht und Cuxhaven an Preußen ab. Mit dem Nazi-Gesetz wurde ein „Wunsch“ realisiert, den Hamburg schon länger hegte. Bereits in den 1920er Jahren gab es Pläne das Stadtgebiet auszudehnen, die aber immer am Nachbarn Preußen gescheitert waren.
Unter den Nazis war das anders. Quasi mit einem Federstrich wurde die Reform durchgeführt. Öffentlicher Protest sei undenkbar gewesen, erklärt Kleinfeld. Allerdings sei in der damaligen Landkreis-Presse unter linientreuen Schlagzeilen „Heil Dir, Groß-Hamburg!“ (Harburger Anzeigen und Nachrichten, 31. März 1937 ) auch oft von „Wehmut“ und „Abschiedsschmerz“ geschrieben worden (Winsener Nachrichten, 31. März 1937).
Kein Wunder, denn „Hamburg war der klare Gewinner dieser Gebietsreform“, so Kleinfeld. Demnach verlor der Landkreis Harburg damals auf einen Schlag fast 24 Prozent seiner Bevölkerung und sieben Prozent des Kreisgebiets, während Hamburg seine Fläche um 80 Prozent vergrößerte und die Bevölkerung um 450.000 Personen anstieg. Und warum wurde dann nicht schon damals Winsen die Kreistadt? „Das hätten die Winsener sehr gern gesehen, sie haben es sogar versucht, sind aber damit gescheitert“, erklärt Kleinfeld.
Hintergrund: Als das Groß-Hamburg-Gesetz erlassen wurde, erholte sich der Landkreis Harburg noch immer von einer unter preußischer Herrschaft durchgeführten Reform. 1932 wurde der Kreis Winsen dem Landkreis Harburg zugeschlagen. Die Nachwehen dieser Reform, die vor allem in der Stadt Winsen auf Widerstand stieß, reichten bis zum Groß-Hamburg-Gesetz. Damals unternahm man in Winsen den erneuten Versuch, den alten Kreis Winsen zu restituieren oder wenigstens die Kreisstadt nach Winsen zu verlegen. Doch wie schon 1934, als Gauleiter Otto Telschow diese Bestrebungen im Keim erstickte, scheiterte man auch 1937.
Ausschlaggebend dafür, dass Winsen später doch Kreisstadt wurde, sei laut Kleinfeld vor allem, dass Harburg auch nach dem Krieg bei Hamburg blieb. So sei die Kreisverwaltung in Harburg bereits im Krieg durch Bomben zerstört worden. Der erste britische Besatzungsoffizier, Major Alan Douglas Seddon, hatte dennoch den Befehl, dort die neue Kreisverwaltung aufzubauen. Doch dazu kam es nicht. Mit den Zerstörungen konfrontiert soll Seddon, so ist es überliefert, zu seinem Fahrer gesagt haben: „Fahren Sie zurück in die kleine Stadt, die wir zuletzt passiert haben (Winsen). Dort etablieren wir uns.“ So wurde Winsen schließlich Kreisstadt. Den alten Namen Landkreis Harburg behielt man dennoch bei.
Redakteur:Mitja Schrader |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.