"Zur schönen Fernsicht": Neuigkeiten von einem "Sorgenkind"
bc. Grünendeich. Das Sterben alter Dorfgaststätten ist landauf, landab ein Riesen-Problem. Bei einer Fahrt quer durch den Landkreis sind überall leerstehende Kneipen zu finden, in denen früher einmal reges Leben stattfand. In Grünendeich, mitten im Alten Land, war man sich einig: Ein Dorf ohne Gaststätte darf es bei uns nicht geben. Mit der bizarren Folge: Jetzt führt ein ehrenamtlicher Bürgermeister ohne gastronomische Erfahrung die Geschicke eines Restaurant-Betriebes als geringverdienender Geschäftsführer. Dass im Dorf die Gerüchteküche brodelt, dürfte niemanden erstaunen.
Die Geschichte: „Zur schönen Fernsicht“ heißt die Traditionsgastronomie in Grünendeich, die als „Sorgenkind“ des Dorfes gilt. Bereits seit etwa vier Jahrzehnten befindet sich das Gebäude im Eigentum der Gemeinde. Erst vor Kurzem wurde das Haus mit rund einer Million Euro Steuergeld saniert. Seit gut zwei Jahren hat eine eigens gegründete GmbH die Gaststätte nach längerem Leerstand von der Gemeinde gepachtet. Gesellschafter sind neben der Gemeinde mit einem Anteil von knapp 25 Prozent (plus Vetorecht) mehr als 30 Privatleute. Ein Konzept, das immer mehr in die Kritik zu geraten scheint.
Denn: Vor fünf Monaten musste sich Gemeinde-Bürgermeister Johann Frese aus der Not heraus bereit erklären, den Geschäftsführerposten zu übernehmen, nachdem der bisherige Geschäftsführer überraschend unter Angabe persönlicher Gründe kündigte. Ohne Frese wäre die „Fernsicht“ wahrscheinlich schon jetzt geschlossen.
„Ich kann gewisse Schwierigkeiten nicht verhehlen, aber im Grunde sind wir zufrieden mit der Entwicklung“, sagt Frese. Eine Meinung, die nicht alle Gäste teilen, zu viele Probleme soll es dem Vernehmen nach jüngst bei Feiern gegeben haben. Kein Gast will öffentlich gegenüber der Zeitung Kritik äußern, keiner will seiner „Fernsicht“ etwas Böses. Aber so, wie es jetzt laufe, gehe es nicht weiter.
Die GmbH als Trägerin der Gaststätte braucht dringend einen neuen Geschäftsführer. Frese will nur noch bis zum 1. April weitermachen.
Unterdessen mehrt sich die Kritik an der Struktur des Betriebs: Wäre es nicht doch besser, wenn ein privater Pächter die Gaststätte auf eigene Rechnung führen würde, anstatt einen teuren, hauptamtlichen Geschäftsführer zu beschäftigen?
Das WOCHENBLATT sprach mit einem erfahrenen Gastronomen aus der Region, der nicht mit Namen in der Zeitung genannt werden möchte. Er sagt: „Kein vernünftiger Pächter würde die Fernsicht übernehmen.“ Das Dilemma sei die ins Haus integrierte Dorfgemeinschaftsanlage, auf die die Gemeinde den Daumen hat. Zum Hintergrund: Um für den Umbau der „Fernsicht“ Fördermittel der EU zu generieren, musste die Gemeinde strikt zwischen Dorfgemeinschaftsteil und Restaurant unterscheiden. „Im Dorfgemeinschaftsteil dürfen Bürger feiern, sich Essen und Trinken aber selber mitbringen. Und zudem parken sie die Stellflächen zu. Das kann nicht funktionieren“, sagt der Wirt.
Darüber hinaus sei das Gesellschafts-Konstrukt mit mehr als 30 Gesellschaftern ein „Wahnsinn“ für solch eine kleine Gaststätte. Frei nach dem Motto: Viele Köche verderben den Brei. „Alle wollen mitreden, das führt immer zu Problemen“, weiß der Mann.
Wiederum andere Kritiker sind der Meinung, dass das Raumkonzept der „Fernsicht“ nicht aufgehe. Es gebe zu wenig abgeschlossene Extra-Räume, in denen Vereine Sitzungen abhalten können. Das Obergeschoss des Gebäudes sei überhaupt nicht ins Gesamtkonzept einbezogen.
Grünendeichs Gemeinde-Direktor Georg Buchner verteidigt die Entwicklung der „Fernsicht“: „Mit privaten Pächtern sind wir in der Vergangenheit mehrmals auf dem Bauch gelandet.“ Deswegen gebe es ja jetzt die GmbH, die regelmäßig ihre Pacht an die Gemeinde überweise. Die Einlagen seien nicht gefährdet. Öffentliche Zuschüsse, um den laufenden Betrieb sicherzustellen, werden nicht gezahlt, so Buchner.
An dem Grundmodell der „Fernsicht“ werde nicht gerüttelt. „Vielleicht kann aber einem neuen Geschäftsführer ein Sachbearbeiter zur Seite gestellt werden“, sagt Buchner. Johann Frese ist zuversichtlich, eventuell schon auf der kommenden Gesellschafterversammlung am 26. Januar einen neuen Geschäftsführer zu präsentieren: „Es gibt geeignete Kandidaten, auch aus der Region.“
Lühes Samtgemeinde-Bürgermeister Michael Gosch hält sich zu dem Thema bedeckt: „Ich würde mir wünschen, dass es bald für die ‚Fernsicht‘ eine tragfähige Lösung gibt.“
Kommentar
Bitte kein Steuergelder-Grab
Es ist löblich, dass eine Gemeinde ihren Bürgern einen Treffpunkt zur Verfügung stellen will. Doch die „Fernsicht“ könnte sich (wenn sie es nicht schon längst ist) zu einem Steuergelder-Grab entwickeln. Was passiert, wenn die GmbH keinen geeigneten Geschäftsführer mit entsprechender gastronomischer Weitsicht findet? Wie geht es weiter? Dass die Fernsicht in der Konstellation mit Restaurant und Dorfgemeinschaftshaus unter einem Dach - aber doch strikt getrennt - jemals dauerhaft Profit abwirft, wäre allen Beteiligten zu wünschen. Realistisch ist das angesichts der Erfahrung der vergangenen Jahre jedoch nicht. Björn Carstens
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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