Freilichtmuseum am Kiekeberg
Neue Ausstellung widmet sich der Nachkriegszeit im Landkreis Harburg
as. Ehestorf. Was nimmt man mit, wenn man in wenigen Stunden seine Heimat verlassen muss, wenn es heißt: der Flüchtlingstreck zieht los? Das Hochzeitskleid, mangels Stoff aus Fallschirmseide genäht, oder die Hauskatze, die in einer umgebauten Whiskeykiste transportiert wird? Ein Gesangbuch aus der Kirche? Erde aus der Heimat?
Über zwölf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Evakuierte gab es in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Freilichtmuseum am Kiekeberg zeigt in seiner neuen Dauerausstellung "Geschichte des Landkreises Harburg und der Metropolregion Hamburg" beispielhaft am Landkreis Harburg, wie sich die Integration der Neubürger vollzog, und stellt dabei auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landkreises in der Nachkriegszeit dar.
"Im Landkreis Harburg hat sich die Vorkriegsbevölkerung nahezu verdoppelt, von 62.602 Bewohnern in 1939 auf 124.397 Menschen in 1949", erklärt Museumsdirektor Stefan Zimmermann. Die Flüchtlinge und Vertriebenen stammten aus ganz Europa.
Die Ausstellung setzt ein zu dem Zeitpunkt, als die ersten Flüchtlinge im Landkreis ankommen. Große historische Fotografien versetzen die Besucher in die Nachkriegszeit zurück. Ausgestellt sind viele Originalexponate aus der Nachkriegszeit, vom Fahrrad bis zum kleinen Schriftstück. Aufgelockert wird die Ausstellung durch Hörstationen, in denen Zeitzeugen zu Wort kommen, und historischen Videoaufnahmen aus der Metropolregion. "Hinter vielen dieser Exponate stecken bewegende Geschichten. Diese wollen wir sichtbar machen", sagt der Museumsdirektor. Zum Beispiel die kleine Holzschildkröte, die ein Kriegsgefangener während seiner Gefangenschaft für seine Kinder geschnitzt hat.
Eine der wichtigsten Aufgaben war, Wohnraum für die vielen Menschen zu schaffen. Eine Multimediastation widmet sich der Siedlungsgeschichte. Für die einzelnen Nachkriegssiedlungen im Landkreis Harburg, wie z.B. die Heide-Siedlung in Neu Wulmstorf, gibt es hier viele Detailinformationen, zum Beispiel Fotos, Pläne der Siedlung, Gebäudegrundrisse, Bauzeitraum, Bauträger etc.
Ab den 1960er Jahren entwickelt sich der Landkreis wirtschaftlich nach vorn. Das Thema Mobilität und Verkehr gewinnt an Bedeutung. Es gibt immer mehr Pendler, die mit dem Auto nach Hamburg fahren. Auch das Interesse der Städter am Hamburger Umland als Freizeitregion wächst. Wandern und Minigolf gehören zu den beliebten Freizeitaktivitäten. "In dieser Zeit entstanden auch viele Freibäder im Landkreis Harburg", so Zimmermann.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich dem Thema Heimat. "Durch das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen war das Thema in den Nachkriegsjahren sehr präsent", sagt Stefan Zimmermann. Die Ausstellung soll den Besuchern einen Impuls geben, sich mit dem Begriff Heimat auseinanderzusetzen: "Was ist Heimat? Ist Heimat ein Ort oder ein Gefühl? Wie bewahrt man seine Heimat? Kann man mehrere Heimaten haben?"
Die Anfangsjahrzehnte nach der Flucht waren noch stark geprägt von der Hoffnung, dass es irgendwann wieder zurück gehe, sagt Zimmermann. Später erfolgte dann eine große Rückbesinnung auf Traditionen als Teil der eigenen Identität. So wurde zum Beispiel die ausgestellte ostpreußische Tracht nicht aus der Heimat mitgebracht, sondern erst im Landkreis Harburg genäht.
Die neue Dauerausstellung enthält viele Bezüge zu weiteren Themenkomplexen der Nachkriegszeit wie z.B. neue Geschäftswelt und Konsum und bildet die theoretische Klammer für weitere Schwerpunkte des Projekts Königsberger Straße.
Das Siedlungsdoppelhaus
Das Gebäude, in dem die Ausstellung untergebracht ist, wurde nach alten Plänen rekonstruiert. Es ist ein typisches Siedlungsdoppelhaus, das in den 1950er Jahren zu Hunderten im Landkreis Harburg gebaut wurde, um die Wohnungsnot zu lindern. Die Originalpläne für das Doppelhauses am Kiekeberg stammen von einem Gebäude, das die damalige Wohnungsbaugenossenschaft des Landkreises Harburg 1958 in Maschen errichtete. Es konnten insgesamt vier Familien im Doppelhaus wohnen. Den Keller und den Stall hatten sie in Eigenarbeit zu errichten.
Das Siedlungsdoppelhaus ist Teil des Projektes "Königsberger Straße", das mit fünf typischen Gebäuden, darunter die bereits eröffnete Gasolin-Tankstelle, die Nachkriegszeit von 1949 bis 1979 ins Freilichtmuseum bringt. Weitere Gebäude sind eine Ladenzeile mit sechs Geschäften, ein Flüchtlingssiedlungshaus sowie ein Fertighaus als neuer Bautyp.
Redakteur:Anke Settekorn aus Jesteburg |
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