"Oft mangelt es an Wertschätzung"
WOCHENBLATT-Interview mit Kreisbrandmeister Volker Bellmann zur Lage der Feuerwehr und den Angriff auf Rettungskräfte
thl. Seevetal. Sie sind immer da, wenn sie gebraucht werden, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr - die Mitglieder der 107 Freiwilligen Feuerwehren des Landkreises Harburg.
Wie in jedem Jahr hatten die Retter auch in diesem Jahr wieder alle Hände voll zu tun. Das WOCHENBLATT sprach mit Kreisbrandmeister Volker Bellmann über das Jahr 2019.
WOCHENBLATT: Herr Bellmann, wie war das Einsatzaufkommen in diesem Jahr?
Volker Bellmann: Wir blicken auf ein durchschnittliches Jahr zurück, was die Zahl der Alarmierungen angeht. Nachdem es in den vergangenen beiden Jahren über 4.000 bzw. 5.000 Alarmierungen waren, gab es in diesem "nur" rund 3.600 eingesetzte Feuerwehren. Ausschlaggebend für den Rückgang ist die Tatsache, dass es in diesem Jahr keine großen Unwetter oder Dürreperioden gab.
WOCHENBLATT: Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich in der Feuerwehr für das Allgemeinwohl und die Sicherheit ihrer Mitbürger?
Bellmann: Wir haben zur Zeit insgesamt 4.953 Mitglieder, davon 675 Frauen.
WOCHENBLATT: Ist die Personaldecke ausreichend, oder gibt es bereits Probleme?
Bellmann: Zurzeit haben wir kreisweit noch keine Nachwuchssorgen. Es gibt aber auch einzelne, wenige Ortsfeuerwehren die Nachwuchssorgen haben. Im Sommer wurden gerade wieder 244 Anwärter verpflichtet. Viele davon sind Quereinsteiger, also Kameraden, die zuvor nicht in der Jugendfeuerwehr waren.
WOCHENBLATT: Und wie sieht es in den Nachwuchsabteilungen aus?
Bellmann: In den 92 Jugendwehren des Landkreises haben wir 1.490 Mitglieder und in den 35 Kinderfeuerwehren rund 600 Mitglieder. Die Zahlen werden in den kommenden Jahren durch neue Kinderfeuerwehr-Gründungen noch weiter steigen.
WOCHENBLATT: In den Medien ist immer wieder zu lesen, dass Rettungskräfte angegriffen werden. Gibt es solche negativen Erfahrungen auch im Landkreis Harburg?
Bellmann: Man muss klar sagen, im Rettungsdienst ist es schlimmer als bei der Feuerwehr. Das negative Highlight bei uns gab es vor einigen Jahren in der Silvesternacht im Albert-Schweitzer-Viertel in Winsen, als Feuerwehrleute einen brennenden Müllcontainer löschen wollten und von Chaoten mit Böllern beworfen wurden. Das kam aber zum Glück so massiv nie wieder vor.
WOCHENBLATT: Das heißt, hier im Landkreis ist noch heile Welt?
Bellmann: Das kann man so nicht sagen. Glücklicherweise haben wir aber keine schwerwiegenden Fälle. Allerdings fängt die mangelnde Wertschätzung uns gegenüber schon an, wenn auf dem Weg zum Einsatzort keine Rettungsgasse gebildet wird.
WOCHENBLATT: Wie groß ist das Problem?
Bellmann: Es ist mittlerweile deutlich besser geworden. Dennoch fehlt zu vielen Leuten immer noch das Bewusstsein für die Rettungsgasse. Der Klassiker ist, wenn Fahrzeuge dann auch noch dadurch fahren und die anrückenden Rettungsfahrzeuge blockieren. Hinzu kommen Gaffer an der Unfallstelle.
WOCHENBLATT: Ist es richtig, dass der Gesetzgeber das Nichtbilden einer Rettungsgasse und das Gaffen unter Strafe gestellt hat?
Bellmann: Definitiv ja. Es gibt genug Einsätze, bei denen es auf Minuten ankommt.
WOCHENBLATT: Apropos Minuten. In diesem Jahr machte der Fall einer Feuerwehrfrau Schlagzeilen, die auf dem Weg zum Gerätehaus geblitzt wurde. Das Verfahren wurde später eingestellt. Wie stehen Sie dazu?
Bellmann: Die Einstellung erfolgte nicht, weil es auf dem Weg zum Einsatz war, sondern aus anderen Gründen. Das könnten einige als Freifahrtsschein auffassen. Wir appellieren immer wieder an unsere Mitglieder, sich bei Anfahrt zum Gerätehaus an die Straßenverkehrsordnung zu halten. Denn wir wollen, dass unsere Männer und Frauen heil ankommen, keine Mitbürger gefährden und auch noch helfen können, und nicht selber plötzlich Hilfe brauchen, weil sie in einen Unfall verwickelt sind. Hinzu kommt, wie viel Zeit geht denn wirklich verloren, wenn man mit 50 km/h statt mit 70 km/h zum Gerätehaus fährt. Wir sprechen hier von Sekunden, die aber der Sicherheit aller dienen.
WOCHENBLATT: Herr Bellmann, Sie sind jetzt 54 Jahre alt. Ihre Amtszeit läuft in gut eineinhalb Jahren ab. Gibt es Pläne für danach?
Bellmann: Ich würde mich gerne noch einmal, für eine weitere sechsjährige Amtszeit, zur Wahl stellen, da mir das Amt sehr viel Spaß macht. Auch wenn es viel Arbeit bedeutet, denn ich habe pro Jahr rund 200 Termine wahrzunehmen. Und die administrativen Aufgaben nehmen auch einige Zeit in Anspruch.
WOCHENBLATT: Herr Bellmann, vielen Dank für das Gespräch. Zur Person von
Volker Bellmann Volker Bellmann ist von Beruf Tiefbau-Polier und seit 38 Jahren Mitglied in der Feuerwehr. Seine Heimatwehr ist Maschen. Bevor er im Juli 2015 Kreisbrandmeister wurde, war Bellmann elf Jahre Abschnittsleiter Elbe und damit Vertreter des damaligen Kreisbrandmeisters Dieter Reymers. Seit August 2012 ist Volker Bellmann zudem Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes.
Bellmann ist verheiratet und hat eine Tochter.
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