Getöteter Sudanese: Demo-Redner kritisieren Behörden
Gedenken an erschossenen Flüchtling: 100 Teilnehmer bei Kundgebung in Stade
jd. Stade. Rund 100 Menschen gedachten am Samstagnachmittag des von Polizisten erschossenen Sudanesen Kamal Ibrahim. Der Asylbewerber war vor knapp drei Wochen bei einem Polizeieinsatz in einer Flüchtlingsunterkunft von mutmaßlich vier Kugeln getroffen worden. Er erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Kundgebung fand am Platz Am Sande in unmittelbarer Nähe zum Kreishaus statt. Der Veranstaltungsort war bewusst gewählt: Mehrere Redner auf der rund zweistündigen Demo warfen insbesondere den Kreisbehörden Versagen vor. Der Landkreis Stade steht in der Kritik, weil er dem getöteten Flüchtling trotz eindringlicher Hinweise von Mitbewohnern keine psychologische Betreuung zukommen ließ. Die Untätigkeit des Landkreises habe letztlich zur Eskalation geführt, hieß es auf der Kundgebung, an der sich zahlreiche Geflüchtete und einige wenige Vertreter von Flüchtlingsinitiativen beteiligten.
Die Kundgebung verlief durchweg friedlich. "Es gab keine Vorkommnisse. Die Polizei ist zufrieden", erklärte Polizeisprecher Rainer Bohmbach gegenüber dem WOCHENBLATT. Vor Ort waren keine nennenswerten Polizeikräfte. Ein Streifenwagen und zwei Mannschaftswagen hatten sich auf dem Platz am Sande postiert, zwei weitere Mannschaftswagen standen in einer Seitenstraße. Auf dem Platz vor dem Kreishaus blieben die Demonstranten, von denen ein Teil aus Hamburg angereist war, weitgehend unter sich. Nur einige wenige Passanten kamen vorbei.
Nicht in allen Reden, von denen ein Teil auf Arabisch gehalten wurde, ging um das eigentliche Thema, nämlich die tragischen Umstände, die zum Tod von Kamal Ibrahim führten, und um die Frage, inwieweit die Behörden die Verantwortung dafür tragen. Einige Redner gaben sich klassenkämpferisch, andere wiederum kritisierten allgemein den Rassismus in unserer Gesellschaft. Scharfe verbale Attacken musste die Polizei über sich ergehen lassen - bis hin zum unbewiesenen Vorwurf, Kamal Ibrahim sei gezielt getötet worden. Zwischendurch skandierten die Teilnehmer immer wieder: "Black lives matter, enough is enough."
Deutliche Worte fand Ingrid Smerdka-Arhelger aus Buxtehude. Die Co-Sprecherin der BI Menschenwürde im Landkreis Stade kritisierte die schlechte finanzielle Ausstattung für die Begleitung Geflüchteter. Sie stellte die Frage: "Was muss noch geschehen, damit die landauf landab bekannten Fakten zu psychischen Erkrankungen und posttraumatischen Folgen von Krieg und Flucht auf der Landesebene und in der Kreisverwaltung zu einem Umdenken führen?" Schließlich fordere sogar die Polizeigewerkschaft
den Ausbau sozialpsychiatrischer Einrichtungen.
Wenn Geflüchtete mit psychischen Problemen keine angemessene Betreuung erhielten und es stattdessen allein den polizeilichen Kräften obliege, mit den daraus entstehenden Gefahrenlagen umzugehen, "dann ist grundsätzlich etwas verkehrt im Landkreis Stade", so Smerdka-Arhelgers Fazit. Im Namen der BI Menschenwürde trug sie einen Forderungskatalog vor. Dieser umfasst folgende Punkte:
Benötigt werde u.a. ...
- ein jederzeit erreichbarer sozialpsychiatrischer Notdienst im Landkreis Stade
- sozialpädagogische Betreuung außerhalb bzw. zusätzlich zum sozialpsychiatrischen Notdienst im Landkreis
- eine Notfall-Erreichbarkeit des Landkreises und bei jeder Kommune, in der Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften leben; das müsse auch am Wochenende und nach Dienstschluss gewährleistet sein
- eine systematische und kontinuierliche „aufsuchende Hilfe“ – tagsüber und in den Abendstunden.
Zudem forderte Smerdka-Arhelger eine detaillierte Untersuchung des Polizeieinsatzes. Dessen Ablauf müsse sehr genau geprüft und mit größter Transparenz betrachtet werden. Gleichzeitig äußerte sie Verständnis für die schwierige Situation der Polizei: Die Beamten müssten letztlich die sozialpolitischen Defizite von Politik und Verwaltung ausbaden. Ihr Appell: "Wir wollen keine weiteren Kundgebungen durchführen müssen, weil Menschen erschossen werden oder sich und andere gefährden. Wir wollen, dass der Landkreis die Arbeit macht, die ein friedliches Zusammenleben aller ermöglicht und fördert."
Ähnlich äußerte sich ein Redner aus dem Kreis der Geflüchteten. Er forderte einen menschlicheren Umgang der staatlichen Stellen mit Immigranten. Menschen wie Kamal Ibrahim hätten nach Bürgerkrieg und dramatischer Flucht über das Mittelmeer ein Trauma. Er sei nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben führen zu können. Doch die Ämter würden das erschweren und Flüchtlinge ausgrenzen. "Ohne die Weigerung der Behörden, seine psychischen Probleme zu behandeln, würde Kamal noch unter uns sein."
Die Veranstalter kündigten an, so lange zu demonstrieren, bis ein ausführlicher Polizeibericht im Fall Kamal Ibrahim vorliegt. Man werde bis dahin keine Ruhe geben und alle zwei Wochen eine Kundgebung in Stade abhalten.
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