Diakonie der Kirchenkreise Winsen und Hittfeld warnt: "Hohe Inflation führt zu weiterer Verarmung"
thl. Winsen. Die hohe Inflation fordert ihren Tribut. Bei immer mehr Menschen ist am Ende des Geldes noch zu viel Monat über. Besonders betroffen sind diejenigen, die sowieso schon am Existenzminimum leben: die Empfänger von Sozialleistungen. Das WOCHENBLATT sprach mit den Schuldner- und Sozialberatungen der Diakonischen Werke in den Landkreisen Harburg und Stade über diese verhängnisvolle Situation.
"Die vier bis fünf Prozent Inflationsrate belasten Menschen im Sozialhilfebezug extrem und die dieser Steigerung gegenüberstehende Regelsatzerhöhung führt zu einer weiteren Verarmung." Das sagen Nicole Hauff und Ute Flock von der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes der Kirchenkreise Winsen und Hittfeld. Die Fachleute schlagen Alarm. Denn was von der Regierung nett gedacht war, indem der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger um drei (!) Euro pro Monat angehoben wurde, verkommt angesichts der stetig steigenden Kosten in allen Lebensbereichen schnell zur Farce. Dass die Zahl der Hilfesuchenden weiter ansteigen wird, davon sind die Beraterinnen überzeugt. Denn die Steigerung des Hartz-IV-Regelsatzes liegt weit unter der Inflationsrate.
Im Landkreis Stade ein ähnliches Bild. Dort melden sich derzeit immer mehr Menschen, die mit ihrem Geld nicht mehr auskommen.
"Gerade Haushalte, die knapp mit ihrem Einkommen auskommen oder sogar schon aus dem Dispositionskredit leben, sind überproportional von Preissteigerungen betroffen und werden dies langfristig nicht ausgleichen können und so in Verschuldung/Überschuldung reinrutschen" sagt Ute Flock, Schuldnerberaterin des Diakonischen Werkes der Kirchenkreise Winsen und Hittfeld. "Bereits jetzt ist bei unseren Ratsuchenden zu beobachten, dass gerade Hartz-IV-Bezieher Schwierigkeiten haben, ihre monatliche Abschlagszahlung für Strom zu zahlen. Im Regelsatz des Jobcenters in Höhe von 449 Euro sind für den Haushaltsvorstand 38,07 Euro für Energie und Wohnungsinstandhaltung vorgesehen. Der Betrag beinhaltet neben dem Stromabschlag auch Ansparsummen für Wandfarbe, Tapete usw. Dies kann nicht reichen."
Beispiel Jens J.: Er zahlt einen monatlichen Abschlag in Höhe von 92 Euro, da er warmes Wasser über einen Durchlauferhitzer erhält. Ihm stehen dann zwar durch das Jobcenter für Warmwasserbereitung 10,26 Euro mehr zu, aber das deckt bei Weitem nicht den Bedarf. Oder Uwe O., der in einer Obdachlosenunterkunft 45 Euro für Strom zahlen muss. "Kommt dann die Jahresabrechnung des Stromlieferanten mit Nachforderungen, sind die meisten Haushalte nicht mehr in der Lage, diese zu zahlen, ohne ein Darlehen beim Jobcenter zu beantragen, um eine Stromsperre zu verhindern", so die Beraterinnen. "Das Darlehen wird vom Jobcenter dann in einer monatlichen Rate in Höhe von 44,90 Euro direkt vom Hartz-IV-Geld einbehalten. Damit haben die Betroffenen im Monat weniger Geld zur Verfügung." Zudem setzen die Stromlieferanten bei einer Nachzahlung die monatliche Abschlagszahlung herauf, was zur Folge hat, dass Hartz-IV-Empfänger noch weniger Geld im Portemonnaie haben. "Die Betroffenen leben damit bei einer Preissteigerung mit einer vierprozentigen Inflationsrate aus unserer Sicht faktisch unter dem Existenzminimum", so Hauff. "Die Kosten für Strom sollten nicht mehr Teil des Regelsatzes sein, sondern in der Höhe übernommen werde, die der Energielieferant in Rechnung stellt."
Zwar gibt es für den Landkreis Harburg keinen Armutsbericht, dennoch stellen die Beraterinnen der Diakonie fest, dass sich immer mehr Ratsuchende melden, die ihren Minijobs aufgrund der Corona-Pandemie verloren haben. "Aus diesem Minijobeinkommen wurden die laufenden Kredite abgezahlt. Dies ist durch den Wegfall der Arbeitsstellen nicht mehr möglich", weiß Nicole Hauff. Immer mehr Menschen kommen in die Sozialberatung des Diakonischen Werkes, weil sie durch den Jobverlust ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können und nachfragen, ob ihnen Sozialleistungen zustehen (siehe Kasten).
Auch im Landkreis Stade wenden sich immer mehr Ratsuchende an den Diakonieverband Buxtehude-Stade. "Hier geht es allerdings vorrangig darum, dass die Menschen wissen wollen, ob und welche Sozialleistungen ihnen zustehen, weil sie aufgrund von Kurzarbeit ihre Lebenshaltungskosten kaum mehr alleine bestreiten können", erklärt Sozialberaterin Katrin Rolf. Und sie befürchtet Existenznöte bei Hartz-IV-Empfängern, wenn die Hilfeempfänger die Jahresabrechnungen der Energieversorger erhalten. Deswegen schließt sie sich dem Wunsch ihrer Kolleginnen aus dem Landkreis Harburg an, dass die Ämter die Energiekosten der Hilfeempfänger nach Rechnungshöhe übernehmen.
Das Bild, das die Diakonie zeichnet, ist auch bei der Harburger Tafel in Winsen zu beobachten. Die Bedürftigen, die sich dort mit Lebensmitteln versorgen, werden Woche für Woche mehr. "Ich habe mein Leben lang gearbeitet, trotzdem reicht meine Rente heute nicht mehr aus und ich muss zur Tafel", sagt Charlotte V. und weint.
Wann stehen mir Sozialhilfe und Wohngeld zu?
(thl). Der Bezug von Sozialhilfe ist in Deutschland an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So muss als erstes Kriterium Hilfebedürftigkeit vorliegen. Das bedeutet, dass der Antragsteller weder über eigenes Einkommen noch über Vermögen (maximal 5.000 Euro pro erwachsene Person, zzgl. 500 Euro pro Kind) verfügen darf, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Auch Renten oder Mieteinnahmen zählen dabei zum Einkommen. Sozialhilfe wird immer nachrangig gewährt, d.h. erst wenn alle anderen Hilfs- und Einkommensmöglichkeiten wie Arbeitslosengeld II ausgeschöpft sind, wird Sozialhilfe gewährt. Erwerbsfähige Hilfebedürftige im Alter von 15 bis 64 Jahren haben deshalb keinen Sozialhilfeanspruch.
Anders ist es beim Wohngeld. Das kann jeder Bundesbürger beantragen, der über genügend Einkommen für die eigenen Lebenshaltungskosten verfügt (sog. Mindesteinkommen) - aber nicht ausreichend Einkommen erwirtschaftet, um auch seine Wohnkosten zu decken. Dabei können sowohl Mieter als auch Eigentümer einen Wohngeld-Anspruch haben.
Der Bezug von Grundsicherungsleistungen, wie Hartz IV, schließt einen Wohngeldanspruch aus, da die Grundsicherung bereits die Wohnkosten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung übernimmt.
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