Wurden Corona-Testzentren viel zu früh geschlossen?
Experten warnen vor neuer Corona-Gefahr durch Urlaubsrückkehrer / Kritik aus der Politik
(jab/thl). Sind die Corona-Testzentren der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), die z. B. an den Krankenhäusern Winsen und Buchholz sowie in Stade neben dem Gebäude der Kassenärztlichen Vereinigung standen, zu früh geschlossen worden? Zwar gab es bisher noch keinen großen Ansturm auf die Arztpraxen, in denen die Tests jetzt durchgeführt werden sollen. Doch das kann sich schnell ändern: Die ersten Menschen in Niedersachsen kehren jetzt aus ihrem zweiwöchigen Urlaub zurück. "Wir haben am Wochenende bei fünf Patienten einen Coronatest durchgeführt. Bei allen handelte es sich um Urlaubsrückkehrer", sagt Allgemeinmediziner Dr. Jörn Jepsen aus Hanstedt, der am Wochenende in der Notfallpraxis am Buchholzer Krankenhaus Dienst hatte, auf WOCHENBLATT-Nachfrage.
Gerade bei Menschen, die aus Urlaubsländern zurückkehren, sehen Experten die größte Gefahr einer zweiten Infektionswelle.
Auch deshalb hat sich der Landkreis Harburg entschieden, die gerade erst geschlossenen KVN-Testzentren in Winsen und Buchholz gemeinsam mit dem DRK weiterzubetreiben. Dort werden aber nur Personen der Kategorie I getestet. "Das sind Personen, die mit anderen Infizierten Kontakt hatten", erklärt Landkreissprecherin Katja Bendig. Alle anderen Patienten müssen weiter zum Hausarzt. Für Urlaubsrückkehrer eröffnet die KVN in Kürze in Lüneburg und Zeven zentrale Testzentren.
Auch im Landkreis Stade lassen sich noch keine erhöhten Zahlen bei Coronatests feststellen. Das Gesundheitsamt im Landkreis Stade kann zu Testzahlen im Allgemeinen gar nichts sagen. Nur bei einem positiven Test werde dem Gesundheitsamt bescheid gegeben, das daraufhin aktiv wird und weitere Test bei Kontaktpersonen durchführt, so Klaus-Heiner Gerken, Sprecher des Landkreises Stade. Tests bei Personen, die bereits Symptome zeigen, werden nach telefonischer Absprache nach den regulären Öffnungszeiten weiterhin beim Hausarzt durchgeführt, so Dr. Stephan Brune, Vorsitzender des Bezirksausschusses der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung.
An der Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), zum 1. August den Betrieb der Corona-Diagnosezentren an den Krankenhäusern Buchholz und Winsen einzustellen (das WOCHENBLATT berichtete), gibt es auch Kritik seitens der Politik. Insbesondere angesichts der zu erwartenden Urlaubsrückkehrer scheint der Zeitpunkt falsch.
Mit einem offenen Brief wenden sich jetzt auch zwei Kommunalpolitikerinnen aus dem Landkreis Harburg an das Niedersächsische Ministerium für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung. "Auf der einen Seite zeigt sich die Landesregierung angesichts der wieder ansteigenden Infektionszahlen und der damit einhergehenden höheren Gefahr durch das tödliche Virus für die Bevölkerung besorgt, auf der anderen Seite stellt die KVN die Arbeit in den Corona-Diagnosezentren an den Krankenhäusern Buchholz und Winsen ein. Für uns - und da sind wir sicher nicht allein - passen diese beiden Informationen nicht zusammen", sagen die SPD-Kreistagsabgeordnete Ursula Caberta und Brigitte Netz, SPD-Ratsfrau in Winsen.
Diese Situation sowie die Sorge um die Gesundheit ihrer Mitbürger und das Interesse, die Verbreitung des Coronavirus mit allen Mitteln zu verhindern, hat die beiden Politikerinnen bewogen, sich an die Ministerin für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung zu wenden.
Darin heißt es u.a.: "Ab sofort sollen Menschen mit Krankheitssymptomen und Personen, die nachweislich Kontakt zu Infizierten hatten, sich bei ihrem Hausarzt oder - mit entsprechender Überweisung - in einer sogenannten Infektionspraxis melden, um dort einen Corona-Test durchführen zu lassen. Diese Vorgehensweise steht in krassem Widerspruch zu allen Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Infektionen möglichst schnell nachzuweisen, um zu verhindern, dass unbemerkt andere angesteckt und so neue Infektionsketten ausgelöst werden. Diese verantwortungslose Entscheidung ist nicht hinnehmbar. Zentraler Punkt bei allen Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Corona-Pandemie ist es, die Situation vor Ort so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Dem wird die Entscheidung der KVN in keiner Weise gerecht.
Und haben wir nicht sogar gelernt, dass andere Patienten aus Sorge, sich in der Praxis mit dem Virus zu infizieren, selbst in gesundheitlich kritischen Situationen auf notwendige Arztbesuche verzichten?
Es reicht nicht, die Bevölkerung immer wieder daran zu erinnern, die Hygiene- und Abstandregeln sowie die Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung weiter zu befolgen. Es muss von der Politik in Hannover mehr geschehen." Die KVN hat auf die Vorwürfe reagiert und angekündigt, in kürze landesweit wieder elf Testzentren für Urlaubsrückkehrer einzurichten.
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