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Diskussion in Winsen
Ex-Neonazi Philip Schlaffer über die Gefahr der Radikalisierung

Judith Höfler (Lehrerin, FDP-Kreisvorsitzende) im Gespräch mit Moderator Christoph Giesa (Publizist, Mitte) und Philip Schlaffer (Anti-Gewalt-Trainer, Rechtsextremismus-Aussteiger) auf dem Podium im Marstall in Winsen | Foto: ts
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  • Judith Höfler (Lehrerin, FDP-Kreisvorsitzende) im Gespräch mit Moderator Christoph Giesa (Publizist, Mitte) und Philip Schlaffer (Anti-Gewalt-Trainer, Rechtsextremismus-Aussteiger) auf dem Podium im Marstall in Winsen
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Warum wird ein junger Mann aus gutbürgerlichem Milieu zum gewaltbereiten Neonazi? Was bewegt ihn nach 20 Jahren zum Ausstieg aus dem rechtsextremen Milieu? Der Youtuber und Anti-Gewalt-Trainer und frühere Rechtsextremist Philip Schlaffer erklärte anhand seiner Biografie am Dienstagabend in einer Podiumsdiskussion in Winsen, warum sich Menschen radikalisieren.

Als Gast der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung sprach der 44-Jährige vor 20 Besuchern und Besucherinnen mit dem Publizisten Christoph Giesa sowie der Lehrerin und FDP-Kreisvorsitzenden Judith Höfler.

Philip Schlaffer stammt aus einer wohlsituierten Familie aus Stockelsdorf, einer wohlhabenden Gemeinde in Schleswig-Holstein. Er war ein normaler Junge, hatte Freunde, spielte Fußball im Verein. Und doch radikalisierte Philip Schlaffer sich, wurde zu einem führenden Kopf der Neonazi-Szene in Norddeutschland und Anführer einer Rockergang. Nach eigenen Angaben war er Mitbetreiber des früheren Ladens "Streetwear Tostedt", einem  Neonazi-Treffpunkt in Todtglüsingen. Schlaffer saß im Gefängnis. "Ich habe mich als junger Mann schwer bewaffnet", sagt er.

Inzwischen ist Schlaffer ein prominenter Aussteiger aus der rechtsextremen Szene. Er hat einen Bestseller geschrieben ("Hass. Macht. Gewalt"), betreibt einen Youtube-Kanal, dem 130.000 Menschen folgen, und spricht mit schwierigen Schülern, die auf keinen Lehrer mehr hören. Das Ziel: auf die Gefahren der Radikalisierung in der Mitte der Gesellschaft aufmerksam zu machen und Wege aus dem Extremismus aufzuzeigen.

Der Vater war ein Manager und Patriarch, der seinem Sohn keine Zuneigung zeigte, weil Philip die erwarteten Schulnoten nicht mehr lieferte. Entwurzelt nach vier Jahren Aufenthalt in England, habe er nach der Rückkehr in Deutschland keine Freunde gefunden. Der Junge wurde zornig, unbändig wütend. "15 Jahre alte Jugendliche finden nicht aus Überzeugung Adolf Hitler gut und wollen die Demokratie abschaffen", sagt Philip Schlaffer. Die rechte Szene versprach die Aussicht auf Freundschaft, Familie, Zugehörigkeitsgefühl. 

"Wir fanden es gut, anders zu sein", sagt Philip Schlaffer. Der Kitt sei die Musik, die Hass gegen andere predigt. Heute führt er einen Feldzug gegen die Video-Plattform "TikTok". Sie sei voll mit Nazi-Musik, warnt Schlaffer.

"Der Rechtsextremismus erfüllt seine Versprechen nicht"

Wie kommt ein Neonazi nach 20 Jahren dazu, mit dem Milieu zu brechen? Das Gefängnis sei nicht der Grund gewesen, sagt Philip Schlaffer. Extremisten nähmen das in Kauf, es gehöre zu ihrem Leben. Die Justiz habe in seinem Fall Fehler begangen. Die Verfahren dauerten zu lang, fünf, sechs oder sieben Jahre. Zu lang, um abschreckend zu sein.

"Leute wollen aussteigen, weil der Rechtsextremismus seine Versprechen nicht erfüllt", gibt Philip Schlaffer seine Erklärung. "Es gab keine Familie, keine Wertschätzung. Wir waren nicht die Guten." Es gehe seiner Meinung nach bei Aussteigern zu 99,9 Prozent um Enttäuschungen in dieser Szene.

Mit den sogenannten Montagsspaziergängen während der Corona-Pandemie entstand eine neue Protestbewegung aus der bürgerlichen Mitte. Der Verfassungsschutz spricht von Delegitimierung des Staates. Menschen, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates zu beeinträchtigen. "Montagsmärsche gibt es teilweise heute noch. Russland-Freunde haben sich ihnen angeschlossen", sagt Judith Höfler, FDP-Kreisvorsitzende im Landkreis Harburg.

Eine Besucherin im Publikum weist auf islamistischen Extremismus hin, der zu Radikalisierung in unserer Gesellschaft führe. Die demokratischen Parteien trauten sich ihrer Meinung nach nicht, das öffentlich auszusprechen. Das sei gefährlich.

Als Lehrerin erlebe Judith Höfler Jungen aus patriarchischen Familien. "Ein Junge sagte mir, er wolle die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht haben."

Erstaunt, wie schnell Menschen sich radikalisiert haben

Die gesellschaftlichen Bedingungen heute böten Extremisten einen gefährlichen Nährboden: Menschen, die sich wegen ihres Protests gegen Corona-Maßnahmen noch heute von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Krieg in der Ukraine und Inflation. Menschen, die hohe Preise für Lebensmittel und Energie ängstigen. Menschen, die sich und die Finanzkraft des Staates von der hohen Zahl der Geflüchteten in Deutschland überfordert sehen. Er hoffe, dass die Menschen bald wieder durchatmen können, sagt Philip Schlaffer.

Erstaunt zeigt sich Philip Schlaffer, wie schnell sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft in den vergangenen drei Jahren radikalisiert haben. Dabei sei doch die Demokratie bisher zu vielen Menschen "sehr, sehr gut" gewesen. "Was passiert, wenn die Demokratie unter Druck gerät?", fragt er. Die gesellschaftlichen Bedingungen von heute hätten ihm damals als Extremisten "feuchte Träume" bereitet. Heute sagt er: "Ich mache mir Sorgen."

Am kommenden Freitag ist vorgesehen, dass Philipp Schlaffer auf Einladung der Berufsbildenden Schulen Winsen zu Schülern und Schülerinnen spricht.

Redakteur:

Thomas Sulzyc aus Seevetal

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