WOCHENBLATT-Interview zum Dylan-Abend mit Wolfgang Niedecken in Buchholz
BAP-Sänger Wolfgang Niedecken über Bob Dylan und andere Herzensangelegenheiten
ce. Buchholz. 25 Jahre ist es her, dass Wolfgang Niedecken mit seiner Kölschrock-Band BAP auch in der Nordheide Songs für das Erfolgsalbum "Amerika" aufnahm. In der Buchholzer Empore feiert er nun ein "Comeback" in der Region - mit einigen BAP-Hits, vor allem aber mit Liedern und Texten der von ihm verehrten Singer-Songwriter-Ikone Bob Dylan. WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann, der Niedecken seit vielen Jahren kennt, sprach mit dem sympathischen und bodenständigen Künstler über dessen Dylan-Passion, andere musikalische Einflüsse und seine Ansichten zur in Berlin laufenden Regierungsbildung.
WOCHENBLATT: Mit 15 Jahren hattest du auf dem Schulhof in Köln dein Bob-Dylan-Erweckungserlebnis, als dir ein Freund das dir bis dahin unbekannte "Like a Rolling Stone“ vorsang. Was hat dich damals sofort für Dylan eingenommen?
Wolfgang Niedecken: Es war plötzlich alles ganz anders, als ich es vorher kannte. Ich war großer Beatles-Fan. Die sangen in ihrer Frühzeit nur schlichte "Boy meets Girl“-Texte. Dann kam Bob Dylan mit seiner ganz speziellen Haltung und überwältigenden Bildern in seinen Songs. Das war wie ein Blitzschlag. Als er in "Like a Rolling Stone" von der "Princess on a Steeple" („Prinzessin auf dem Kirchturm“), dem Feldherrn "Napoleon in Rags" ("Napoleon in Lumpen“) und vom "Riding on a Chrome Horse with your Diplomat" ("dem Diplomaten auf einem Chrom-Pferd") sang, hat mich die Wucht dieser Bilder aus den Schuhen gehauen. Solche Songs wollte ich auch schreiben.
WOCHENBLATT: Deine aktuelle Dylan-Tour mit Pianist Mike Herting, die euch auch nach Buchholz führt, läuft sehr erfolgreich. Was macht Dylan bzw. seine Songs so zeitlos relevant?
Niedecken: Bob Dylan ist nachweisbar der wirkungsmächtigste Poet der letzten 60 Jahre. Keiner hat weltweit so viel Wirkung entfaltet wie er. Alle wichtigen Bands der 1960er Jahre haben, nachdem sie ihn erlebt haben, von ihm gelernt - von den Beatles über die Stones und The Who bis zu Bruce Springsteen. Außerdem hat er ab dem Album "Time out of Mind“ von 1997 bis zum aktuellen Werk „Rough and Rowdy Ways“ aus dem vergangenen Jahr ein großartiges Spätwerk vorgelegt.
WOCHENBLATT: Du bist deinem musikalischen Vorbild sogar persönlich begegnet. Wie kam es dazu?
Niedecken: Das Treffen machte Regisseur Wim Wenders möglich, mit dem wir bei unserem BAP-Film "Viel passiert“ zusammenarbeiteten. Er kennt Bob Dylan seit den 1970er Jahren, als er mit der Sängerin Ronee Blakley aus Dylans Band verheiratet war. Als wir 2002 den Film in Köln drehten, gab Dylan dort ein Konzert, und Wenders und ich haben ihn danach Backstage getroffen. Das war ein wunderbares Erlebnis. Dylan war ganz und gar nicht arrogant, wie ihm oft unterstellt wird. Er ist halt nur ein schüchterner Mensch.
WOCHENBLATT: Bei einer Klassenarbeit in Deutsch 1968 solltest du erklären, welches Gedicht dich am meisten beeinflusst hat. Du hast daraufhin "Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones interpretiert. Welche Musiker haben dich neben Dylan beeinflusst?
Niedecken: Das kann ich mit einem kleinen Dreisprung erklären: Die Beatles haben mich für Musik interessiert, Dylan hat mich für Lyrik interessiert und die Stones haben mir gezeigt, wie man sich gegenüber vermeintlichen Autoritäten auch verhalten kann. Jagger und Co. haben uns als aufmüpfige Teens, die wir damals waren, sehr imponiert. Die Beatles waren dagegen immer eher brav und angepasst.
WOCHENBLATT: Auf dem aktuellen BAP-Album "Alles fließt" findet sich mit "Für den Rest meines Lebens" eine sehr berührende Liebeserklärung an deine Frau Tina. Dem mit dir befreundeten Maler Michael Buthe hast du nach seinem Tod auf dem "Amerika"-Album von 1996 den unter die Haut gehenden Nachruf "Novembermorje" gewidmet. Braucht es ein gewisses Alter und/oder viel Mut, sich emotional derart zu öffnen?
Niedecken: Nein, aber man muss aufpassen, dass man es nicht übertreibt und dass es nicht kitschig wird. Meine Nackenhaare sagen mir, wo ich übertreibe und mich eventuell etwas zurücknehmen muss oder auch wo ich nicht deutlich genug geworden bin. Darauf kann ich mich verlassen.
WOCHENBLATT: Einige Songs für "Amerika" hast du mit BAP im inzwischen abgerissenen Bendestorfer Vox-Klangstudio von Volker Heintzen aufgenommen. Welche Erinnerungen hast du daran?
Niedecken: Es war ein tolles Studio, in dem wir mir mit sehr netten Leuten zusammenarbeiten durften. Wenn wir auf der Autobahn in der Gegend unterwegs sind, denke ich oft an diese Session. Es ist bedauerlich, dass so viele Studios heute aussterben. Manche Alben entstehen fast ausschließlich am Laptop. Wir haben unsere Platten immer in Studios aufgenommen, was auch unsere Qualität ausmacht.
WOCHENBLATT: Du hast das 2013 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse auch für deine Initiative "Rebound" erhalten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Niedecken: 2004 suchte ein Zusammenschluss von Hilfsorganisationen namens „Gemeinsam für Afrika“ einen Botschafter, und ich erklärte mich dazu bereit. Ich erlebte eine sehr beeindruckende erste Reise durch Nord-Uganda, wo damals Bürgerkrieg herrschte. Dort wurde mir das Projekt "Reception Center" vom Kinderhilfswerk "World Vision" vorgestellt, wo ehemalige Kindersoldaten körperlich und seelisch wieder aufgebaut werden. Das waren lauter schlimme Schicksale. Für mich stand fest, dass ich etwas unternehmen musste, weshalb ich dann "Rebound" gegründet habe. Ich bin heute stolz darauf, dass wir damit schon vielen jungen Menschen helfen konnten.
WOCHENBLATT: Du engagierst dich seit vielen Jahren auch politisch. Zuletzt hast du dich – auch an der Seite von Robert Habeck von den Grünen – stark gemacht für eine neue Klimapolitik.
Niedecken: Klimaschutz ist für mich sehr wichtig, denn ich möchte meinen Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen. Um hier gemeinsam Nachhaltiges zu erreichen, von dem möglichst alle profitieren, müssen die Menschen allerdings aus ihrer gewohnten Blase herausgucken und mit Andersdenkenden ins Gespräch kommen. Bei der Bundestagswahl sind SPD, FDP und Grüne demokratisch in die neue Regierung gewählt worden. Sie werden hoffentlich eine gute Koalition hinbekommen und konstruktiv arbeiten.
WOCHENBLATT: Du hast mit BAP in über 45 Jahren viele Höhen und manche Tiefen erlebt und abseits der Bühne 2011 einen Herzinfarkt verkraften müssen. Trotzdem bist du mit inzwischen 70 Lebensjahren noch immer im besten Sinne rastlos unterwegs. Was treibt dich an?
Niedecken: Ich habe das große Privileg, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Seit 45 Jahren ist mir das vergönnt, ich kann damit meine Familie ernähren, habe mich nie angepasst und bin damit durchgekommen. Das ist irgendwie irre, macht aber auch riesigen Spaß.
WOCHENBLATT: Welche Projekte stehen als Nächstes an?
Niedecken: Ich habe immer noch einen großen Gestaltungswillen, und auch noch reichlich Projekte in der Pipeline. Aber erstmal freue ich mich auf die Fortsetzung der Dylan-Tour und auf die danach anstehende BAP-Tour.
WOCHENBLATT: Vielen Dank für das Gespräch.
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- "Niedecken singt und liest Bob Dylan" am 23. November in der Buchholzer Empore
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(ce). "Niedecken singt und liest Bob Dylan" heißt das literarisch-musikalische Storyteller-Programm, das der BAP-Frontmann mit dem Pianisten Mike Herting am Dienstag, 23. November, um 20 Uhr in der Buchholzer Empore (Breite Straße 10) präsentiert. Niedecken liest ausgewählte Passagen aus seinem jüngsten, im Plauderton geschriebenen Buch über eine Reise quer durch die USA auf den Spuren von Dylan und spielt die dazu passenden Songs. Aber auch BAP-Fans kommen auf ihre Kosten.
Bei der Veranstaltung gilt die 2G-Regel. Karten gibt es an der Empore-Kasse unter Tel. 04181 - 207878 und unter www.empore-buchholz.de.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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