Interview mit Superintendent Dirk Jäger
"Die Kirchen werden Bestand haben"
(as/mum). Ostern gilt als das höchste Fest der Christen: die Auferstehung Jesu Christi. In einer immer hektischer werdenden Zeit leben jedoch immer weniger Menschen einen Glauben, die Kirchenaustritte häufen sich. Im WOCHENBLATT-Interview spricht Superintendent Dirk Jäger über die Bedeutung des Glaubens, wie modern und kritisch Kirche ist und wie es um die Institution Kirche bestellt ist.
WOCHENBLATT: Immer weniger Menschen besuchen die Gottesdienste der evangelischen Kirche. Auf der anderen Seite erfreuen sich freie Kirchen (etwa die Landeskirchliche Gemeinschaft, das Christus Centrum Tostedt und die Freie evangelische Gemeinde) steigender Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das? Und wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Superintendent Dirk Jäger: Dass manche Zeitgenossen Freikirchen anziehend finden, liegt sicher daran, dass sie dort Menschen mit sehr ähnlichem Frömmigkeitsstil treffen. Häufig ist dadurch auch die empfundene Gemeinschaft verbindlich und eng. Und in Zeiten hoher Individualisierung mit seltenen Erfahrungen von Zusammengehörigkeit wird darin Geborgenheit und Heimat erlebt.
Persönlich kann ich mit einer weiten, offenen und vielfältigen Landkarte geistlicher Existenz mehr anfangen, die zuweilen konservative und zu theologischer Vereinfachung neigende Freikirchlichkeit steht meinem Verständnis des Glaubens als befreiende und zu differenziertem Denken anregende Kraft eher entgegen.
Wie erfolgreich Gottesdienste auch in unseren Kirchen sein können, sieht man deutlich z.B. in Hollenstedt, Buchholz oder Tostedt. Dort gibt es mit dem „Auftakt“ oder dem „Zwischenhalt“ schon seit Langem gottesdienstliche Formate zu aktuellen und kritisch diskutierten Themen, vorbereitet von engagierten Teams und in sehr attraktiver, auch kulturell ansprechender Form. 150 bis 200 Teilnehmende sind keine Seltenheit und Beleg dafür, wie Glauben und Leben relevant zusammenfinden.
WOCHENBLATT: Sieben Woche ohne - dieses Mal Lügen. Braucht die Kirche wirklich solche PR-Maßnahmen? Was versprechen Sie sich davon?
Dirk Jäger: Die „Sieben-Wochen-Ohne“-Aktionen sind keine PR-Shows, sondern die Einladung zu einem bewussten und reflektierten Lebensstil. Viele Menschen nutzen die Impulse zur Auseinandersetzung mit einem oft als fremdbestimmt und ökonomisiert empfundenen Alltag. Alleine oder in einer Gruppe wird überlegt, was Änderungen im eigenen Verhalten bewirken. Was sollte falsch daran sein, wenn man sich Gedanken darüber macht, welches Maß an Wahrhaftigkeit wir uns zumuten oder gönnen wollen?
WOCHENBLATT: Die katholische Kirche in Hamburg muss Schulen schließen, weil der Unterhalt der Gebäude zu teuer geworden ist. Könnte der Tag kommen, an dem auch die evangelische Kirche aus Geldnot Immobilien veräußern muss?
Dirk Jäger: Natürlich überlegen auch wir, welche Gebäude wir wirklich brauchen zur Durchführung unserer Aktivitäten. Energetisch gut sanierte und einladend gestaltete Immobilien sind besser als manch in die Jahre gekommenes Gemeindehaus mit Retro-Anmutung. Aber die derzeitigen Standorte unserer Gebäude stehen eher nicht zur Disposition, insbesondere die Kirchen werden auf absehbare Zeit Bestand haben und unsere Ortsbilder prägen. Für die Zukunft gilt der Satz „Bleibt das Dorf in der Kirche, bleibt die Kirche im Dorf.“
WOCHENBLATT: Nahezu jede Gemeinde verfügt inzwischen über einen Förderverein, der die Pastoren-Gehälter anteilig finanziert. Können Sie sagen, wie viel Geld auf diesem Weg zusammenkommt - oder zumindest wie viel Prozent der Gesamtkosten so einspart wird?
Dirk Jäger: Örtliche Fördervereine sind eine willkommene Unterstützung zur Sicherung des Personalbestands. Mit ihrer Hilfe konnten einige sonst nötige Kürzungen vermieden werden. Konkret sind dadurch folgende Aufstockungen möglich:
• Förderverein Kirche in Bendestorf – zur Sicherung der halben Pfarrstelle
• Förderkreis der Ev. Jugend in der Nachbarschaft Buchholz – Finanzierung einer halben Diakonenstelle
• Förderkreis der Nikodemus-Kirchengemeinde Handeloh – Finanzierung einer viertel Pfarrstelle
• Förderkreis Hittfeld – Finanzierung einer halben Pfarrstelle.
Schwierig wird es, wenn sich Pastoren auf solchen geförderten Stellen zu sehr irgendeinem vermeintlichen Spenderwillen verpflichtet fühlen. Aber bisher gibt es damit eher wenig Probleme und die Förderer wissen, wie wichtig die Unabhängigkeit des Pfarrberufs ist. „Privat-Prediger“ wie in den USA gibt es bei uns nicht.
WOCHENBLATT: Wie ist eigentlich der Altersdurchschnitt der Pastoren im Kirchenkreis? Droht eine Überalterung?
Dirk Jäger: Im Kirchenkreis Hittfeld ist es bisher gelungen, eine relativ ausgewogene Altersschichtung der Pastorenschaft aufzustellen. Jüngere Kolleginnen und Kollegen schätzen die Nähe zu Hamburg und auch das gute und team-orientierte Arbeitsklima bei uns. Insgesamt gibt es aber deutliche Nachwuchsprobleme in der hannoverschen Landeskirche; in den kommenden zehn Jahren werden sehr viele „Babyboomer“ unter den Pastoren in den Ruhestand gehen und nicht durch Neuzugänge im notwendigen Umfang ersetzt werden können.
WOCHENBLATT: Sind mehr Männer oder Frauen beschäftigt?
Dirk Jäger: Im Bereich der Pastoren und Diakone haben wir derzeit 23 Frauen und 16 Männer. Insgesamt werden wir in beiden Berufen künftig einen noch höheren Frauenanteil haben, die derzeitigen Zahlen der Studentinnen liegen bei ca. 70 Prozent.
WOCHENBLATT: Zuletzt schien es schwierig, Pfarrstellen langfristig zu besetzen. Es gab eine hohe Fluktuation. Wie bewerten Sie das?
Dirk Jäger: Früher war es üblich, dass Pastoren auch schon mal ihr ganzes Berufsleben auf einer einzigen Stelle verbracht haben. Das brachte Vertrautheit, führte aber auch dazu, dass manche Menschen die Kirche nur „in einer Person“ kennengelernt haben. Halbwegs hilfreich, wenn man gut miteinander auskam; im anderen Fall eher eine viel zu eingeschränkte Perspektive.
Heute ist es die Regel, dass Pastoren nach einigen Jahren auch mal Neues an anderen Orten oder in anderen Funktionen ausprobieren wollen. Das ist kein Manko, sondern normal und auch für die Gemeinden als Möglichkeit zu stetiger Entwicklung zu betrachten. Überall, wo Menschen miteinander arbeiten, kann es auch mal etwas knirschen – das ist bei Pastoren nicht anders als im Rest der Welt. Für alle Beteiligten dann gut, wenn man nicht auf ewig aneinander gebunden bleibt, sondern in anderer Konstellation glücklicher wird. Natürlich ist es schade, wenn bewährte und beliebte Kollegen eine Stelle bei uns verlassen, aber dafür haben wir in den letzten Jahren auch viele kreative und dynamische Köpfe dazugewonnen. Fluktuation schafft Bewegung – und die tut unserer Kirche gut. (nw). Seit 2008 ist Dirk Jäger Superintendent des Kirchenkreises Hittfeld. Als leitender Geistlicher des Kirchenkreises führt er Pastoren und Diakone in ihr Amt ein und hat die Dienstaufsicht über Kirchengemeinden und Pfarrämter. Der Superintendent leitet Konvente und Pfarrkonferenzen und führt im Zusammenwirken mit dem Kirchenkreisvorstand Visitationen durch. Er will das evangelische Profil in Gemeinden und Einrichtungen stärken und die Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden fördern. Superintendent Dirk Jäger
Redakteur:Anke Settekorn aus Jesteburg |
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