„Diese Einrichtung hilft einem wirklich“
WOCHENBLATT-Serie über engagierte Helfer: Weisser Ring kümmert sich um Opfer / Jantje Kurtz (94) schützt ihr Portemonnaie jetzt noch besser
os/nw. Buchholz. Millionen Bundesbürger arbeiten ehrenamtlich. Sie trainieren Sportler, führen die Vereinskasse, kümmern sich um Kranke, spenden Trauernden Trost, betreuen Flüchtlinge. Ohne Ehrenamtliche ginge vieles nicht mehr im Land. In Zusammenarbeit mit der Freiwilligenagentur "f.e.e" stellt das WOCHENBLATT Menschen vor, die Ehrenamt geben und nehmen – und beide profitieren. Heute im letzten Teil der Serie: Jantje Kurtz (94) und Karl-Heinz Langner (68) vom Weissen Ring.
WOCHENBLATT: Frau Kurtz, wie kamen Sie zum Weissen Ring?
Jantje Kurtz: Vor einem knappen Jahr war ich einkaufen. Da hatte ich meine Tasche am Lenker meines Gehwagens hängen. Unten im Regal hatte ich etwas gesucht und dabei einen ganzen Karton mit Haarspray runtergeschmissen. Und wie ich bin, sammle ich das natürlich auf und stelle alles wieder in Reih und Glied. Währenddessen muss jemand mir mein Portemonnaie gestohlen haben. Den Reißverschluss der Tasche hatte ich sonst immer geschlossen. Der stand offen und ich denk: Das ist aber komisch. Ich guck da rein, steh bei der Kasse, will bezahlen: Kein Portemonnaie mehr da!
WOCHENBLATT: Was haben Sie dann gemacht?
Jantje Kurtz: Ich habe Karl-Heinz Langner an einem Stand vom Weissen Ring in der Buchholz-Galerie getroffen. Dort sah ich Körbe für Gehwagen mit Deckel und sagte: "Den hätte ich gestern haben müssen. Denn gestern wurde mein Portemonnaie geklaut." Und so kamen wir ins Gespräch. Herr Langner und eine Kollegin haben mich zum Kaffee zu Hause besucht. Ich hatte 56 Euro im Portemonnaie. Herr Langner legte mir 150 Euro hin. Da war ich ganz erschrocken und sagte: „So viel hatte ich doch gar nicht.“ Das könnte ich aber ruhig nehmen. Ich müsste mir doch auch ein neues Portemonnaie kaufen, Ausweise und Fotos nachmachen lassen.
WOCHENBLATT: Wussten Sie bis dahin, was der Weisse Ring macht?
Jantje Kurtz: Nein, dass wusste ich nicht so genau. Ich hatte wohl davon gehört. Ich war aber sehr erstaunt, dass da tatsächlich jemand zu mir nach Hause kam. Ich habe jetzt einen Deckel auf dem Korb meines Gehwagens. Da kann nun keiner mehr mit der Hand durchgreifen. Herr Langner hat mir auch gesagt, wie ich mich schützen könnte. Das Portemonnaie lege ich nun gar nicht mehr in den Gehwagen.
WOCHENBLATT: Abgesehen vom Geld, womit hat Herr Langner Ihnen noch geholfen?
Jantje Kurtz: Ich habe jetzt einen Deckel auf dem Korb von meinem Gehwagen. Da kann nun keiner mehr mit der Hand durchgreifen. Herr Langner hat mir auch gesagt, wie ich mich besser verhalten könnte. Das Portemonnaie lege ich nun gar nicht mehr in den Gehwagen. Er sagte übrigens: „Wir sorgen für die Opfer, die Polizei für die Diebe.“Aber dass die Hilfe so reichlich ausfallen würde; ich war wirklich erstaunt.
WOCHENBLATT: Der Weisse Ring braucht noch mehr Unterstützer, warum wäre es gut, sich dort zu engagieren?
Jantje Kurtz: Weil das eine sehr gute Einrichtung ist. Die helfen einem wirklich. So etwas ist immer lohnenswert, weil man dadurch andere Leute glücklich macht. Ich bin immer noch so dankbar, dass man mir geholfen hat.
WOCHENBLATT: Was ist der Weisse Ring?
Karl-Heinz Langner: Der Weisse Ring ist der einzige, deutschlandweit tätige Opferhilfe-Verein. Eduard Zimmermann hat ihn 1976 gegründet. Tatsächlich ist er durch seine Sendung „Aktenzeichen xy ungelöst“ darauf gekommen. Denn eigentlich jagen alle den Täter. Doch wer kümmert sich um die Opfer von Straftaten? Es gibt genügend Fälle, in denen man dafür sorgen muss, dass Opfer zu ihrem Recht kommen. Genau das hat sich der Weisse Ring auf die Fahne geschrieben.
WOCHENBLATT: Was macht der Weiße Ring?
Karl-Heinz Langner: Wir nehmen erst einmal die Rolle einer neutralen Zuhörer-Instanz ein. Unserer Erfahrung nach müssen Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind, das auch verbal loswerden können. Wichtig ist, sich das neutral anzuhören. Außerdem klären wir die Leute über ihre Rechte im Strafverfahren auf. Es gibt zum Beispiel das Opferentschädigungsgesetz. Dort steht schlicht drin, dass Opfer von vorsätzlichen Gewalttaten ein Recht auf Entschädigung haben. Außerdem übernehmen wir die Kosten für eine Erstberatung bei einem frei wählbaren Anwalt. Wir schauen auch genau drauf, was die Straftat mit der Psyche des Menschen getan hat, vermitteln im Falle eines Falles schnell kompetente Hilfe. Auch hierfür können wir die Kosten für eine Erstberatung bei einem Trauma-Therapeuten oder Psychologen übernehmen.
WOCHENBLATT: Was ist dabei Ihre Aufgabe?
Karl-Heinz Langner: Ich bin der Außenstellenleiter im Landkreis Harburg. Zusätzlich bin ich der Präventionsbeauftragte für den Weißen Ring in Niedersachsen. Die Präventionsarbeit trage ich in alle Außenstellen der Landkreise. Man erreicht mich auch direkt am Opfertelefon. Wenn Menschen anrufen die Opfer einer Straftat geworden sind überlege ich, wer von unserer Mitarbeitergruppe helfen könnte. Größere Hilfemaßnahmen müssen wir uns in unserer Mainzer Zentrale genehmigen lassen. Solche Vorgänge steuere und verwalte ich. Monatlich treffen wir uns zur Team-Besprechung.
WOCHENBLATT: Mit wie vielen Fällen sind Sie zurzeit beschäftigt?
Karl-Heinz Lngner: Im Januar hatten wir schon 16 Fälle. Für den Jahresanfang ist das eine ungewöhnlich hohe Zahl. Mit etwa zehn Fällen sind wir noch immer beschäftigt.
WOCHENBLATT: Worum geht es bei den Fällen?
Karl-Heinz Langner: Ein großer Teil unserer Klientel sind Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden. In einem anderen aktuellen Fall geht es um eine schwere Körperverletzung eines Familienvaters. Hier bedarf es natürlich längerer Begleitung und viel Austausch im Team.
WOCHENBLATT: Warum setzen Sie sich dafür ein?
Karl-Heinz Langner: Als Kriminalbeamter habe ich ja ein Leben lang mit der Täterseite gearbeitet, Täter ermittelt und überführt. Die Opferseite bekam ich dabei immer nur schlaglichtartig mit, als Zeuge im Strafverfahren. Aber der ganze private, psychologische Bereich eines Opfers bleibt für einen Ermittler im Hintergrund. Aber Opfer einer Straftat zu werden, ist ein Ereignis, mit dem man im Leben überhaupt nicht rechnet. Und wenn man dann betroffen ist, ist das ein Wahnsinnsereignis, das einen völlig aus der Bahn schmeißt. Wenn man die ersten Fälle bearbeitet und merkt, dass man Leuten wieder auf den normalen Weg zurückhelfen kann, weil sie durch Begleitung alles besser verarbeiten können, dann ist das einfach eine schöne Sache. Das macht Spaß.
WOCHENBLATT: Haben Sie ein Beispiel für erfolgreiche Hilfe?
Karl-Heinz Langner: In einem Fall ging es um die Vergewaltigung einer Frau durch einen Nachbarn, eher einen Familienfreund. Die Frau war am Boden zerstört. Durch unsere Mitarbeiterin wurde sie zusätzlich zu psychologischer Hilfe über zwei Jahre lang begleitet, nämlich bis zum Gerichtstermin. Manchmal dauert so etwas extrem lange. Als Teil der Verarbeitung des Geschehenen sehen wirdeshalb auch die gerichtliche Aufarbeitung an. So bereite ich zum Beispiel Betroffene auf Gerichtsverhandlungen vor. Wir besuchen vielleicht vorab eine andere Verhandlung, möglichst im gleichen Gerichtssaal. So lernt man Atmosphäre und Umgang in einer Verhandlung kennen. Und man kann sich auf seine eigene Zeugenrolle vorbereiten. Bei schweren Straftaten sind unsere Opfer oft als Nebenkläger im Verfahren und werden dabei anwaltlich vertreten. Aber sie haben wie übrigens jeder Zeuge den Anspruch darauf, dass man eine Person des Vertrauens zur psychologischen Unterstützung mit in den Gerichtssaal nehmen kann. Diese Begleitung bieten wir ebenfalls an. Im angesprochenen Fall hat uns die Richterin zurückgemeldet, wie beeindruckt sie war, dass die Zeugin so klar und authentisch auftreten konnte. Die Zeugin konnte sich ganz auf ihre Aussage konzentrieren. Das ist sehr wichtig, weil bei einer Vergewaltigung die objektive Spurenlage oftmals sehr gering, unklar oder gar nicht vorhanden ist. Gerade dann ist sehr wichtig, was und wie gründlich Zeugen aussagen. Sie wissen dann auch, dass es normal ist, nach über zwei Jahren nicht mehr alle Fragen beantworten zu können. Man darf etwas vergessen haben und kann trotzdem selbstbewusst auftreten. Man muss das nur wissen. Das ist in diesem Fall besonders gut gelungen. Und wenn man dann hört, wie stabil diese Frau wieder geworden ist, welche Aktivitäten sie wieder unternimmt, auch mit ihrer Tochter, dann ist das wirklich sehr schön.
WOCHENBLATT: Gibt es Dank?
Karl-Heinz Langner: Ja, sehr häufig. Und: Ein Lächeln wie das von Jantje Kurtz geht direkt ins Herz. Ich erwarte aber keinen großen Dank. Aber viele, die wir etwa finanziell unterstützen, sind so verwundert, dass da ein Verein ist, der etwas gibt, ohne etwas zu wollen. Man muss nicht Mitglied werden im Weissen Ring. Man muss nichts zurückzahlen.
WOCHENBLATT: Was muss man mitbringen, wenn man sich engagieren möchte?
Karl-Heinz Langner: Grundsätzlich braucht man Empathie und man muss gern mit Menschen arbeiten und zusammen sein wollen. Auch braucht man ein gesundes Sozialempfinden. Man muss nicht alles wissen, da man bei uns eine Ausbildung durchläuft. Wir wollen ja möglichst professionell helfen. Auf diese Weise gelingt es uns, einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Hier wird Ihnen geholfen
(os). Wer sich über den Weissen Ring im Landkreis Harburg informieren möchte, findet auf www.harburg-kreis-niedersachsen.weisser-ring.de alles Wissenswerte.
• Das Opfertelefon im Landkreis Harburg ist über Tel. 0151-55164733 zu erreichen, die bundesweite Notrufnummer lautet 116 006.
So können Sie sich engagieren
Die Freiwilligenagentur "f.e.e" (Tel. 0176-54639639) bietet jeden Mittwoch von 10 bis 12 Uhr im Café International (Neue Str. 10a) eine Sprechstunde an.
Auf der Ehrenamtsmesse am Samstag, 9. März, in der Empore stellen sich zahlreiche Vereine vor und freuen sich auf Ihren Besuch.
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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