Für Diabetiker
Fischhaut als Heilmittel für chronische Wunden
bim/nw. Buchholz. Das Krankenhaus Buchholz mit seiner Gefäßchirurgie unter der Leitung von Chefarzt Dr. Holger Diener ist jetzt Standort eines EU-geförderten Forschungsprojekts. Bei diesem Projekt wird eine neue Art der Versorgung von diabetischen Wunden im klinischen Alltag erprobt: Aufbereitete Fischhaut von isländischem Dorsch soll die Wunden schließen. Buchholz ist neben dem Universitätsklinikum Köln der einzige Forschungsstandort in Deutschland.
Dr. Diener, der bis vor Kurzem noch am UKE in Hamburg tätig war, hatte den Kontakt zur isländischen Herstellerfirma Kerecis und ihrem medizinischen Leiter Professor Baldur Tumi Baldursson hergestellt. Baldursson, Dermatologe an der Universität Reykjavik, war jetzt zusammen mit Produktmanagerin Ragna Bjorg Arsaelsdottir zur Eröffnungsveranstaltung im Krankenhaus Buchholz zu Gast. Ziel des Projekts ist, die Fischhautbehandlung als Standardtherapie zu etablieren. Jedes Jahr werden allein in Deutschland über 40.000 Diabetikern die Füße und manchmal sogar die Beine amputiert, weil ihre Wunden nicht heilen, sondern von Keimen besiedelt werden und sich entzünden. Diabetes greift die Nervenbahnen an. Diabetiker bemerken deshalb in der Regel nicht mehr, wenn sie sich am Fuß verletzen. Weil auch die Durchblutung bei den meisten Diabetikern stark herabgesetzt ist, ist die Heilung von Wunden bei ihnen schwierig.
Bisher wurden Transplantate
aus Haut gewonnen
Um Amputationen zu vermeiden, wird schon seit Längerem mit Transplantaten gearbeitet, die aus Haut gewonnen werden. Die Transplantate funktionieren wie ein Gerüst, das körpereigene Zellen anzieht und zum Aufbau von Gewebe anregt. Bisher wurden die Transplantate aus Schwein, Rind oder menschlicher Nabelschnur gewonnen. Nachteil: Alle diese Materialien müssen aus Infektionsschutzgründen aufwendig aufbereitet werden und verlieren dabei einen Teil ihrer natürlichen Heilwirkung. Außerdem sind sie ausgesprochen dicht strukturiert, sodass die Körperzellen, die sie besiedeln sollen, meist nicht durchdringen, sondern auf der Oberfläche hängenbleiben.
Der menschlichen Oberhaut
verblüffend ähnlich
Anders das Transplantat, das jetzt in Buchholz, in Köln und in Forschungszentren in Schweden, Frankreich und Italien erprobt wird: In der Verpackung wirkt es wie blasse Pappe oder ältliches Knäckebrot. Unter dem Elektronenmikroskop jedoch offenbaren sich seine wahren Qualitäten: Es ist locker strukturiert, hat große Poren und sieht der menschlichen Oberhaut verblüffend ähnlich. In Salzlake eingeweicht, gewinnt das Fischhautprodukt aus Island überraschende Flexibilität und lässt sich wundgenau zuschneiden. Einmal aufgelegt und mit Schaumstoffverband fest angedrückt, wird das Transplantat in spätestens sieben Tagen komplett vom Körper aufgenommen und umgewandelt. Die Wundheilung beginnt. Das beweisen Studien aus den USA und kleinere deutsche Studien, an denen Dr. Diener bereits beteiligt war.
Dorschhaut bringt eigenen
Infektionsschutz mit
Weiterer Vorteil der Dorschhaut: Sie bringt ihren eigenen Infektionsschutz gleich mit. Die reichlich enthaltenen Omega-3-Fettsäuren bremsen Entzündungen, töten Bakterien und wirken sogar gegen Herpes-Simplex-Viren und HIV. Außerdem fördern sie die Entstehung von neuen Blutgefäßen. „Wir haben beobachtet, dass sich Wunden schließen, bei denen sich zuvor über Wochen und Monate kein Heilungsprozess mehr abgezeichnet hatte“, berichtet Dr. Diener. Inzwischen ist das Produkt, das unter dem Namen der Herstellerfirma Kerecis vermarktet wird, von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zugelassen, CE-zertifiziert und wird vielfach in Europa und den USA eingesetzt. Doch in Deutschland werden die Behandlungskosten bisher nicht von den Krankenkassen übernommen. Grund: Belastbare Daten zum Kosten-Nutzen-Verhältnis fehlen. Diese werden von der jetzt angelaufenen europäischen Studie erhofft.
Obwohl das Dorschtransplantat vergleichsweise kostspielig ist, spart es nach Überzeugung von Dr. Diener doch Geld, das sonst für Pflegedienste zur Wundversorgung, für Krankenhausaufenthalte und letztlich für Amputationen ausgegeben werden müsste. Und vor allem dürfte die neuartige Heilmethode Diabetes-Patienten, von denen etwa die Hälfte chronische Wunden entwickeln, viel Lebensqualität schenken.
40 Patienten sollen an
Studie beteiligt werden
Insgesamt 40 Patienten sollen in Deutschland an der Studie beteiligt werden, davon 20 in Buchholz. Dr. Diener arbeitet bei der Auswahl geeigneter Patienten eng mit Hausärzten und niedergelassenenen Diabetologen zusammen. Die Studie dauert 24 Wochen. In den ersten sechs Wochen bekommen die Teilnehmer jede Woche ein neues Transplantat aufgelegt, in den folgenden zehn Wochen nur noch alle 14 Tage. Nach 16 Wochen ist die Behandlung im Gefäßzentrum des Krankenhauses Buchholz abgeschlossen. Nach der 20. und nach der 24. Woche wird noch einmal überprüft, ob die im Regelfall geschlossene Wunde weiterhin unauffällig geblieben ist. Verläuft die Untersuchung wie erhofft, ergeben sich laut Dr. Diener auch neue Therapieperspektiven für Menschen mit venös und arteriell bedingten chronischen Beinwunden und für diejenigen mit Dekubitus, dem Druckgeschwür, das insbesondere bei längerer Bettlägerigkeit auftritt.
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