Das Test-Desaster
Niedersachsen führt 2G-Plus-Regel ein, sorgt aber nicht für genügend Testkapazitäten
(os). Lange Warteschlangen vor den Testzentren, überlastete Computersysteme, genervte Bürger und Arbeitgeber, die nicht wissen, wie sie sich regelkonform verhalten sollen: Viele Menschen haben den Eindruck, dass der Start der seit vergangenem Mittwoch in Niedersachsen geltenden 2GPlus-Regel gründlich danebengegangen ist. Größtes Manko: Die Testkapazitäten reichen für den gesteigerten Bedarf bei Weitem nicht aus. Die Landesregierung um Ministerpräsident Stephan Weil und Gesundheitsministerin Daniela Behrens (beide SPD) läuft sehenden Auges ins Test-Desaster!
Das Hauptproblem: Anfang Oktober wurden mangels Nachfrage kurz nach den Impfzentren auch zahlreiche Testzentren in den Landkreisen Harburg und Stade abgebaut. Die fehlen jetzt, da auch Geimpfte und Genesene z.B. für den Besuch im Restaurant oder im Theater einen offiziellen negativen Schnelltest benötigen. Die, die derzeit testen, arbeiten im Minutentakt und stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. So brach bereits am Dienstag der Server eines vielfrequentierten Testzentrums am Schwimmbad in Buchholz zusammen, weil zeitgleich so viele Bürger einen Termin buchen wollten.
Testkapazitäten sind oft nicht mitgewachsen
Wer z.B. derzeit im Landkreis Stade über www.schnelltest-stade.de einen Corona-Schnelltest buchen möchte, braucht eine hohe Frusttoleranz: Ein zeitnaher Testtermin ist wie ein Sechser im Lotto - und nur möglich, wenn kurzfristig jemand absagt. Im Testzentrum in Stade-Ottenbeck ist eine größere Terminauswahl erst ab dem 13. Dezember verfügbar, in der Teststation des TuS Harsefeld in den kommenden sechs Tagen kein einziger Termin buchbar.
So wie den Menschen dort geht es vielen Bürgern in den Landkreisen Stade und Harburg. Durch die jetzt geltende 2G-Plus-Regel - auch Geimpfte und Genesene brauchen jetzt in vielen Lebenslagen zusätzlich einen offiziellen negativen Schnelltest - ist der Bedarf nach einem Test sprunghaft angestiegen. Die Testkapazitäten sind es nicht!
Viele leiden unter dieser Situation, z.B. in der Veranstaltungsbranche. "Offenbar wurde 2G Plus von der Landesregierung in Hannover verabschiedet, ohne für rechtzeitiges Hochfahren der Testkapazitäten zu sorgen", kritisiert Onne Hennecke, Geschäftsführer des Buchholzer Veranstaltungszentrums Empore. Den Frust der Besucher bekommen Hennecke und seine Mitarbeiterinnen ab. "Bei uns laufen die Telefone heiß und die verärgerten Kunden wollen ihre Karten zurückgeben, da sie in Buchholz keine Testmöglichkeiten bekommen", berichtet Hennecke. Er reagierte kurzerhand und richtete vor dem Auftritt des beliebten Comedians Ingo Appelt am 1. Dezember gemeinsam mit dem Lim's Restaurant und dem Sportverein Blau-Weiss Buchholz auf der Restaurantterrasse eine mobile Testmöglichkeit für Theatergänger und Restaurantbesucher ein. Mehr als 50 Personen nutzten das Angebot. Am Donnerstag wurde entschieden, dass aus dem einmaligen ein dauerhaftes Angebot wird: Die Teststation ist von 17 bis 20 Uhr ohne Anmeldung geöffnet. Ab Dienstag, 7. Dezember, können sich Bürger täglich von 11 bis 20 Uhr (ohne Anmeldung oder mit Anmeldung unter www.gemeinsam-gegen-covid19.com/buchholz) testen lassen.
Auch Arbeitgeber, die nach der 3G-Regel im Betrieb darauf achtgeben müssen, dass ihre Arbeitnehmer geimpft, genesen oder getestet sind, beklagen die fehlenden Testmöglichkeiten. "In den Testzentren sind kaum Termine verfügbar, in den Supermärkten sind keine Schnelltests zu bekommen. Wie soll ich meiner Pflicht als Arbeitgeber nachkommen?", fragt Rolf Schekerka, Vorsitzender des Buchholzer Tierschutzvereins, der das Tierheim Buchholz betreibt. "Es gibt in den Entscheidungen keine Logik mehr", moniert er.
AUF EIN WORT
Zwei Kardinalfehler innerhalb weniger Wochen
Ich ziehe meinen Hut vor allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die derzeit landauf, landab in den Testzentren im Akkord Schnelltests bei den Bürgern vornehmen und trotz des Ansturms freundlich bleiben. Sie leisten Großes, das man gar nicht genug würdigen kann. Ich ziehe meinen Hut definitiv nicht vor den Gesundheitsministern in Bund und Land, die für dieses Chaos zuständig sind. Jens Spahn & Co. haben zum zweiten Mal den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht, ausbaden müssen die Folgen andere.
Die Impfzentren Ende September zu schließen und damit eine hervorragend funktionierende Infrastruktur zu zerstören, war der erste Kardinalfehler der irrlichternden Gesundheitspolitiker. Mit dem jetzigen Testchaos folgt der zweite schwere Fehler nur wenige Wochen später. Die niedersächsische Landesregierung um Ministerpräsident Stephan Weil und Gesundheitsministerin Daniela Behrens (beide SPD) peitscht die 2G-Plus-Regel durch, sorgt aber nicht für genügend Testkapazitäten. Folge: Die Testzentren sind überlastet, Termine nicht kurzfristig verfügbar, Server brechen zusammen, die Schnelltests in vielen Supermärkten sind ausverkauft. Die Bürger, egal ob geimpft oder nicht, sind nur noch genervt. Das hätte verhindert werden können, wenn erst für genügend Tests gesorgt worden wäre und dann die 2G-Plus-Regel in Kraft getreten wäre.
Ausbaden müssen diese Minderleistung z.B. Gastronomen, Friseure, Sportvereine, Einzelhändler oder Kunstschaffende. Also die, die überhaupt nichts für die Regeln können. Wenn jemand z.B. gerne ins Restaurant gehen würde, den Besuch aber wegen fehlender Testkapazitäten absagt, ist das doppelt bitter für den Gastronomen. Ihnen muss das 55 Millionen Euro schwere "Gaststättenförderprogramm" des Landes, das die Gastronomie bei Investitionen unterstützt, die "eine Modernisierung der Betriebe auch unter Pandemie-Bedingungen ermöglichen", wie Hohn vorkommen. Mehr denn je ist in der Schwebe, wie viele Betriebe die neuerliche Krisensituation überhaupt überstehen. Das auch vor dem Hintergrund, dass es anders als im vergangenen Jahr keinen offiziellen Lockdown gibt, durch den viele Betriebe ein Anrecht auf staatliche Hilfe hatten. Die Auswirkungen der 2G-Plus-Regel sind fast dieselben: Die Kunden bleiben lieber daheim. Ob es finanzielle Hilfe für die Betroffenen gibt, steht in den Sternen. Oliver Sander
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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