WOCHENBLATT-Serie über Ehrenamt in Buchholz
Vera Theelen hilft von Herzen gern
os/nw. Buchholz. Ohne sie ginge in Deutschland gar nichts: Millionen Bürgerinnen und Bürger arbeiten ehrenamtlich. Vor der sechsten Buchholzer Ehrenamtsmesse, die am Samstag, 14. Mai, 10 bis 15 Uhr, mit 28 Vereinen und Institutionen im Veranstaltungszentrum Empore in Buchholz stattfindet, stellt das WOCHENBLATT in Kooperation mit der Buchholzer Freiwilligenagentur f•e•e (freiwillig, ehrenamtlich, engagiert) in einer kleinen Serie engagierte Helferinnen und Helfer vor. Interviewpartnerinnen im ersten Teil sind Vera Theelen, die sich seit vier Jahren im Weissen Ring engagiert, und Sabine, die von Theelen beraten und unterstützt wird. Die Serie kann auch auf www.fee-buchholz.de angesehen werden.
WOCHENBLATT: Wie sind Sie auf den Verein aufmerksam geworden?
Vera Theelen: Mehr als 30 Jahre habe ich Tisch und Bett mit einem Kriminalbeamten geteilt und hatte somit Kenntnis von diesem Verein. Daher lag es mir nahe, mich dem Weissen Ring anzuschließen.
WOCHENBLATT: Was ist Ihre Motivation, ehrenamtlich aktiv zu sein?
Vera Theelen: Mir war es wichtig ein Ehrenamt auszuüben, in dem ich mit Menschen zu tun habe. Angeregt durch die Aussage von Eduard Zimmermann aus „XY ungelöst“ - „Alle kümmern sich um die Täter, wer ist für die Opfer da?“ - war es mir ein Herzenswunsch, hier unterstützend mitzuwirken.
WOCHENBLATT: Wie engagieren Sie sich?
Vera Theelen: Ich bearbeite Opferfälle, leiste Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Alls ausgebildete EHS–Beraterin unterstütze ich Opfer von sexuellem Missbrauch im familiären oder institutionellen Kontext dabei, zu ihrem Recht zu kommen. Als stellvertretende Außenstellenleiterin bin ich für die Koordination und Umsetzung der Aufgabenverteilung in unserer Außenstelle zuständig.
WOCHENBLATT: Was leistet der Verein?
Vera Theelen: Wir sind für die Opfer einer Straftat da, hören zu, sprechen Mut zu und motivieren. Jeder Fall ist individuell - vom Handtaschendiebstahl bis hin zum Kapitaldelikt. Wir sehen uns als Lotsen, begleiten die Menschen und vermitteln immer die professionellste Hilfe, z.B. durch Kostenübernahme eines anwaltlichen Erstgespräches oder einem psychotraumatologischen Erstgespräch. Gemeinsam mit dem Betroffenen kann überlegt und abgestimmt werden, was man tun kann, damit es ihm besser geht.
WOCHENBLATT: Wie kommt eine Kontaktaufnahme zustande?
Vera Theelen: Nach dem telefonischen Erstkontakt wird ein Termin für ein persönliches Treffen vereinbart.
WOCHENBLATT: Wie reagiert ein Hilfesuchender beim Erstkontakt?
Vera Theelen: Oftmals sind die Menschen mit der gesamten Situation überfordert und dankbar für die Wege, die ihnen aufgezeigt werden. Sei es ein Arzt-, ein Behördenbesuch, oder der begleitende Gang zur Polizei oder zum Gericht. Das gibt dem Hilfesuchenden ein Gefühl der Sicherheit und verringert oder beseitigt manchmal auch ein Schamgefühl. Oftmals reicht es aber auch schon aus, dem Betroffenen intensiv und aktiv zuzuhören.
WOCHENBLATT: Wie viel Zeit investieren Sie?
Vera Theelen: Zeitlich bin ich flexibel und kann es auf meinen Alltag abstimmen. Die einzige Vorgabe ist die telefonische Kontaktaufnahme innerhalb von 48 Stunden nach dem Eingangstelefonat. In dem Gespräch gilt es herauszuarbeiten, was ist passiert, in welcher Situation sich der Anrufer/die Anruferin befindet und welche Maßnahmen wir als Soforthilfe anbieten können. Wir arbeiten dabei immer in einem Team und sollte ein Fall nicht in mein Zeitfenster passen, springt immer ein Mitarbeiter ein.
WOCHENBLATT: Wie sieht die Teamarbeit aus?
Vera Theelen: Wir gehen, soweit möglich, immer zu zweit zu einem Opfer und tauschen uns auch hinterher aus. Einmal im Monat erfolgt ein Teammeeting. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Supervision, sozusagen Seelenhygiene, denn auch für uns Mitarbeiter steht in schwerwiegenden Fällen immer Hilfe parat.
WOCHENBLATT: Wie viele Fälle verzeichneten Sie in den vergangenen zwei Jahren?
Vera Theelen: Im Jahr 2020 zählten wir im Landkreis 70 bis 80 Delikte. Im Jahr 2021 waren es zirka 140. Hierbei stellten wir eine große Zunahme an Sexualdelikten fest.
WOCHENBLATT: Was bringt Ihnen persönlich das Ehrenamt?
Vera Theelen: Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Sehr viele Menschen sind allein oder haben eine schwierige Lebenssituation, ältere Menschen, die hilfebedürftig sind oder junge Menschen die mit Cybermobbing zu kämpfen haben. Hier helfend tätig zu sein, ist mein Herzenswunsch - und dem nachzugehen bereichert mich.
WOCHENBLATT: Was schafft Vertrauen zwischen den Opfern und Ihnen?
Vera Theelen: Empathie als Grundlage, ein vertrauensvolles Gespräch und ganz klar – Diskretion! Wir stehen auf der Seite der Opfer und glauben ihnen. Kommt dieses Gefühl bei den Hilfesuchenden an, entsteht eine Vertrauensbasis.
WOCHENBLATT: Wie steht es um den Bekanntheitsgrad des Weißen Rings?
Vera Theelen: Lediglich 40 Prozent der Bevölkerung kennt den Weißen Ring; hauptsächlich ältere Menschen. Jüngere Menschen kennen uns weniger. Da versuchen wir, unterstützt durch die Polizei und andere Netzwerkpartner, durch Beratungsgespräche, Präventionsaktionen und guter Öffentlichkeitsarbeit zu überzeugen.
WOCHENBLATT: Was muss man mitbringen, um in Ihrem Verein ehrenamtlich tätig sein zu können?
Vera Theelen: Empathie ist das A und O; ein spezieller beruflicher Werdegang ist nicht erforderlich. Nach mehreren Gesprächen und einer Hospitationszeit entscheidet das Team über die Eignung. Danach beginnt eine entsprechende Schulung und Ausbildung, die für den angehenden Mitarbeiter kostenlos ist. Voraussetzung ist natürlich ebenso ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis.
WOCHENBLATT: Welches Erlebnis hat Sie besonders beeindruckt?
Vera Theelen: Es gibt so viele bleibende Erlebnisse. Dankbarkeit ist immer mit im Spiel, sei es ein erleichterndes Lächeln, ein herzlicher Weihnachtsgruß mit Fotos oder rührende Worte, die auch schon einmal Tränen haben fließen lassen.
Erfahrungen einer Betroffenen
Was vielen Menschen gar nicht bewusst ist - die Begleitung des Weißen Rings ist losgelöst vom Zeitpunkt eine Straftat. Selbst Taten, die in der Kindheit oder Jugend erfolgten, können zu einem viel späteren Zeitpunkt noch schwere psychische oder physische Probleme erzeugen. Auch hier kennt der Weisse Ring Mittel und Wege, diesen Menschen zu helfen, sei es durch Institutionen, Vereine oder speziellen Fonds. Sabine ist einer dieser Menschen. In ihrer Kindheit mehrfach sexuell missbraucht, durchlebte sie jahrzehntelang ein unfassbares Martyrium, bevor sie sich an den Weißen Ring wandte. Es ist ihr ein großes Anliegen, von ihren Erfahrungen zu berichten.
WOCHENBLATT: Wie haben Sie Weissen Ring erfahren?
Sabine: Viele Jahre in einem anderen Bundesland lebend, bin ich täglich auf dem Arbeitsweg an der Außenstelle vorbeigefahren, ohne hierüber etwas zu wissen. Irgendwann wurde ich neugierig und aus reinem Interesse habe ich Erkundigungen eingezogen, ohne davon Gebrauch zu machen.
WOCHENBLATT: Was hat Sie schließlich bewogen, den Weißen Ring zu kontaktieren?
Sabine: Ich hatte mich nie getraut, doch ein Trigger ließ Jahrzehnte später die Tat wieder präsent werden.
Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung wusste ich, irgendwann kann man nicht mehr selber helfen und auch alle Gefallen des Zuhörens sind aufgebraucht. Wieder fühlte ich mich ziemlich allein und musste nach Außenstehenden suchen, um für mich doch noch Gerechtigkeit zu erfahren. Dabei ist mir dann tatsächlich der Weisse Ring wieder eingefallen.
WOCHENBLATT: Wie haben Sie Kontakt aufgenommen?
Sabine: Ich habe angerufen und um Hilfe gebeten. Sowohl die hohe Diskretion, und auch die ersten Schritte der Kontaktaufnahme, stehen gleich auf der Homepage. Es ist sehr hilfreich zu wissen, dass man sich nicht gleich namentlich nennen muss. Nachdem ich dem Außenstellenleiter meine Beweggründe erzählt hatte, wurde mir eine Mitarbeiterin empfohlen. In meinem Fall war es Frau Theelen, die mich sofort zurückrief und auch gleich ein persönliches Treffen vereinbarte.
WOCHENBLATT: Was hat sich für Sie durch die Unterstützung verändert ?
Sabine: Die prompte Unterstützung in dem persönlichen Gespräch, das entgegengebrachte Vertrauen und die Chemie taten mir gut. Das ist sehr wichtig, denn letztendlich wird eine Art Interview geführt, um sich einen Überblick zu verschaffen. Man gab mir gleich zu verstehen, ich kann erzählen, wenn ich dazu in der Lage bin und wieviel ich vertrage! Ein gravierender Unterschied zu Sitzungen bei Therapeuten, deren Zeit nach 45 Minuten vorbei ist. Empathie und insbesondere das Aufzeigen von Möglichkeiten, von denen ich in all den Jahren weder von Ärzten noch Therapeuten einen Hinweis erhielt, haben mir ebenfalls sehr geholfen. Durch das aufgebaute Vertrauen konnte ich auch tiefer in das Thema eindringen und etwas erzählen, was andere nicht hören wollen beziehungsweise nicht ertragen können, weil sie nicht wissen, wie man reagieren soll. Man ist quasi tot und muss trotzdem weiterleben – eine unvorstellbare Qual! In Vera Theelen habe ich die Person gefunden, die alles ertragen konnte und die ich nicht nach ihrem Befinden befragen musste, was sonst immer erwartet wird. Das alles war ungemein wichtig für mich und gab mir den Mut, Dinge anzugehen, die ich dann auch angegangen bin.
WOCHENBLATT: Ihr persönliches Fazit ?
Sabine: Der Weisse Ring unterstützt, berät und hilft, er zeigt Dinge auf, ohne sie zu beschönigen und schafft wieder Vertrauen in Menschen, das man vorher nicht gefunden oder verloren hatte. Gleichzeitig bietet er dem Hilfesuchenden Möglichkeiten an, von denen man bisher keine Kenntnis hatte.
WOCHENBLATT: Wir danken für das Gespräch.
Stichwort Weisser Ring
Von „Aktenzeichen XY“-Moderator Eduard Zimmermann vor 46 Jahren ins Leben gerufen, begleitet und hilft der Verein betroffenen Personen, die Opfer von Straftaten wurden. Unabhängig von der Schwere der Tat. Zusätzlich leisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter präventive Aufklärungsarbeit zur Verhütung von Straftaten. Bundesweit ist der Weiße Ring mit 400 Außenstellen vertreten, davon 44 in Niedersachsen und einer im Landkreis Harburg. Der Weiße Ring braucht weiterhin ehrenamtliche Unterstützung. Wer sich angesprochen fühlt, wendet sich zur ersten Kontaktaufnahme an die Freiwilligenagentur f·e·e unter Telefon 0176-54639639 oder per mail an fee@freiwilligenagentur.net.
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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