Alfons und Polizeipräsident Ring im Interview
Wie Kunst die Demokratie stärken kann
Als ihn ein Brief vom jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erreicht, wird Künstler Alfons vor die Frage gestellt: "Will ich Deutscher werden?" In Kooperation mit der Polizei Niedersachsen, die das Projekt "Polizeischutz für die Demokratie" ins Leben gerufen hat, nutzt der gebürtige Franzose das Thema in seinem Bühnenprogramm "Alfons - Jetzt noch deutscherer", um Schüler über Demokratie und Vorurteile aufzuklären. Bei seinem Auftritt in der Empore am Montag ging Alfons auch in den Diskurs mit Thomas Ring, Polizeipräsident der Polizeidirektion Lüneburg. Wie die beiden zum Thema Stärkung der Demokratie durch das "Werkzeug Kunst" stehen und welche Botschaft am Ende am meisten hängenbleibt, lesen Sie im WOCHENBLATT-Interview.
WOCHENBLATT: Alfons, Sie sind 1967 in Paris geboren, leben seit 1991 in Hamburg und haben den "Doppelpass": Was ist für Sie der große Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen und was haben sie gemeinsam?
Alfons: Die Unterschiede sind etwa in der Politik - die Einstellung zum Thema Schulden beispielsweise. Für Deutschland gilt es, bloß keine Schulden zu machen. Angesichts des Zustands von Bahnbrücken und Co. ist das aber leider eher eine Investitionsbremse. In Frankreich funktioniert das mit den Zügen und der Digitalisierung besser - Schulden sind hier, zugunsten wichtiger Investitionen, "egal". Die Gemeinsamkeiten sind aber auch deutlich: Wir sind alle Menschen. Wir machen viel Sinnvolles, aber auch viel Quatsch.
WOCHENBLATT: Im Stück spielt Ihre verstorbene Großmutter eine große Rolle, können Sie verraten, wieso?
Alfons: Meine Großmutter war eine großartige Frau. Sie hat Auschwitz überlebt und viel mit mir darüber gesprochen. Aber die Deutschen hat sie nicht gehasst. Nach allem, was sie erlebt hat, habe ich mich immer gefragt: wieso nicht? Als sie eines Tages gestorben ist, ohne mir zu erklären, wieso, fand ich das merkwürdig, ihre Versprechen hat sie eigentlich immer gehalten. Und dann fand ich etwas, was mir meine Frage beantwortet hat. Davon erzähle ich aber mehr in meinem Bühnenprogramm.
WOCHENBLATT: Kunst kann oft Brücken bauen. Genau das machen auch Sie mit Ihrem Programm: Wie sehen Sie die Rolle der Kunst im Zusammenhang mit dem Stärken von demokratischen Werten?
Alfons: Ich glaube, dass wir aktuell keine gemeinsame Vision haben. Deutschland ist gespalten, Europa ist gespalten - wir brauchen wieder ein gemeinsames Ziel. Die Vision, die Extremisten vereinigt, ist eine furchtbare, sie führt immer zum Krieg. Es ist erschreckend, wie viel Zuspruch es, nicht nur im Osten, aktuell dafür gibt. Ich sehe die Kunst als gemeinsame Vision, die die Demokratie wieder stärken könnte.
WOCHENBLATT: Herr Ring, auch die Polizei Niedersachsen setzt sich aktiv für den Schutz und die Stärkung der Demokratie ein. Inwiefern sehen Sie die Rolle der Polizei als Vorreiter in der Vermittlung von demokratischen Werten? Welche Verantwortung trägt Ihre Behörde in diesem Zusammenhang?
Thomas Ring: Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass die Polizei als ausführende Gewalt des Staates Garantin unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland ist. Nicht nur die Geschichte, sondern auch die gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen lehren uns, dass wir unsere freiheitliche Demokratie nicht als selbstverständlich hinnehmen dürfen. Daher haben wir uns das Ziel gesetzt, das freiheitlich demokratische Selbstverständnis der Menschen innerhalb der Polizei zu bewahren und die Widerstandskraft gegen antidemokratische Erscheinungen zu stärken.
Die Polizei als Vertreterin der Exe-kutive muss stets wachsam sein und aktiv für den Erhalt der Demokratie eintreten. Indem wir ihre Werte aktiv leben, uns mit uns und unserem Handeln selbstkritisch auseinandersetzen, schützen und bewahren wir sie. Um wehrhaft gegen demokratiegefährdende Einflüsse zu sein, tragen wir vor allem auch für die eigenen Mitarbeitenden und ihre Haltung Verantwortung. Extremistische und populistische Äußerungen und Handlungen haben in unseren Reihen keinen Platz. Wir alle haben uns für den Polizeiberuf entschieden, um die Menschenwürde aller Menschen zu achten und zu schützen und dies erwarten wir auch von all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
WOCHENBLATT: Kunst und Polizei sind auf den ersten Blick ein ungewöhnliches Team. Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, mit einem Künstler wie Alfons zusammenzuarbeiten, um Vorurteile und Demokratie zu thematisieren?
Thomas Ring: Um Initiativen wie „Polizeischutz für die Demokratie“ voranzubringen, ist es unerlässlich, sich auf neue Wege zu begeben und auf kreative Methoden einzulassen. Die Zusammenarbeit mit Alfons und die Befassung mit seinem Stück „Jetzt noch deutscherer“ lässt uns erkennen, dass wir alle in der Sache, dem Erhalt unserer Demokratie, geeint sind. Die Workshops mit Schülerinnen und Schülern lassen uns Gründe für gegenseitige Vorurteile erkennen. Nur durch einen gemeinsamen Austausch können wir diese beseitigen und einander verstehen.
WOCHENBLATT: Und zum Schluss: Was hoffen Sie beide, dass die Schülerinnen und Schüler aus dem Theaterstück und den Workshops mitnehmen? Gibt es eine Botschaft, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Alfons: Ich bespreche mein Stück oft mit Schülerinnen und Schülern und jedes Mal merke ich, dass sie selber sehr viel zu sagen haben. Auch wenn es für viele eine neue Erfahrung ist: Ich möchte ihnen einfach zuhören!
Thomas Ring: Mein Appell an die Schülerinnen und Schüler: Habt den Mut, füreinander und für freiheitlich demokratische Werte einzustehen. Jede und jeder Einzelne kann einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt unserer Demokratie leisten. Wir als Polizei möchten euch hierzu nicht nur ermutigen, sondern auch unterstützen. Ich wünsche mir, dass wir über Projekte wie dieses hinaus im Gespräch bleiben und Kinder und Jugendliche wissen, dass sie sich jederzeit vertrauensvoll an ihre Polizei wenden können.
WOCHENBLATT: Vielen Dank für das Interview!
So erlebten Schüler den Auftritt von Alfons
Zwischen Humor und Friedenssicherung – Alfons begeistert Schüler des AEG, des GAK und der IGS
Der Auftritt des so beliebten Kabarettisten „Alfons“ am Montag in der Buchholzer Empore war ein Abend voller Lacher und Rührseligkeiten. Dass allerdings hinter seiner Kunst noch ganz andere Themen stecken, durften die elften Klassen des AEG, des GAK und der IGS persönlich erfahren. Was für die Schüler schon Wochen vorher mit einem vorbereitenden Workshop begann, mit Alfons Auftritt in der Empore seinen Höhepunkt erreichte und einen Tag später in einer persönlichen Nachbesprechung mit dem Kabarettisten seinen Abschluss fand, war Teil eines Projektes zur Sensibilisierung der Jugendlichen für Themen wie Völkerverständigung und Zivilcourage. Eine Kampagne in drei Akten, wenn man so will.
Die Anleitung und Organisation befand sich hierbei in den Händen der Polizistin und Beauftragten für Jugendliche, Katrin Ragge. Sie schaffte es nach monatelangem Aufwand nicht nur, den begehrten Deutsch- Franzosen nach Buchholz zu holen, sondern auch noch eine abschließende Nachbereitung mit dem Kabarettisten höchst persönlich und allen elften Klassen in der IGS zu organisieren. Eine koordinative Meisterleistung. Schon einen Monat vorher besuchte Ragge die elften Klassen. Ganz empathisch in Zivil leitete sie einen Workshop an, um die Schüler auf Alfons Auftritt vorzubereiten. Genauer gesagt drehte es sich um Vorurteile und den Umgang mit ihnen im Alltag. Hierbei kam es zu Szenen, welche auch gut in eine Stromberg- Folge hätten passen können: Jeder Jugendliche bekam ein Kärtchen mit Merkmalen einer Minderheit auf die Stirn geklebt, um nur anhand der Vorurteile der Mitschüler seine Identität zu erraten. Dabei fielen Sätze wie: „Viel Geld hast du ja auch nicht.“ oder „Ich hätte Angst, dass du mir was klaust!“, die natürlich erstmal für Gelächter sorgten. Dass solche Ausdrücke allerdings eine ernstere und verletzendere Wirkung haben, wurde bei der anschließenden Reflexion deutlich.
Inhaltlich sensibilisiert konnten sich die Schüler auf den Auftritt freuen. Am Montag den 16. September war es dann soweit. Auf den Sitzen der ausverkauften Empore warten die Besucher gespannt auf das neue Programm „Jetzt noch deutscherer“ des gebürtigen Franzosen. Dann kommt Alfons auf die Bühne in seiner unverkennbar leuchtenden Trainingsjacke und begrüßt mit einem herrlich langgezogenen „Bonsoir!“ seine Zuschauer. In den nächsten zweieinhalb Stunden wird er sie mit seiner Melange aus Kabarett und Theater und seinem wunderbar schnurrenden französischen Akzent durch den Abend tragen, einzig untermalt von dem mal melancholisch, mal heiter spielenden Klavier. Die Zeit vergeht, wenn er ausholt mit seinen Schwärmereien aus Kindheitstagen in Südfrankreich, voller unglaublicher Geschichten seiner so warmherzig genannten „grand-mère“ und ihrem so liebevoll getauften Enkel „petite tête“.
Es sind Momente, in denen die gesamte Empore in kollektives Schwelgen versetzt wird, eingesaugt in Alfons bildliche Beschreibungen und faszinierende Charaktere. Humorvoll spielt er mit den deutsch-französischen Klischees und schafft es, den Widerspruch zwischen Deutschen und Franzosen am Ende nur noch als brüderliche Differenzen erscheinen zu lassen, ausgedrückt nicht zuletzt durch eine musikalische Vermischung der beiden Nationalhymnen. So kommt er endlich auf den Frieden zu sprechen, welcher doch „erst“ seit knapp 80 Jahren bestehe, auf die EU und auf die Zerbrechlichkeit dieses, wie er es nennt, „Experimentes“. „Wir müssen alles tun, um dieses Experiment weiter fortzuführen!“ ruft er, die Dringlichkeit seines Anliegens schwingt mit jeder Silbe mit. Es folgt der begeisterte Applaus. Anscheinend ist bei Betrachtung der klatschenden Zuschauer ein anhaltendes Grinsen eine nicht zu vermeidende Nebenerscheinung einer Vorstellung Alfons. Dieser Mann ist bewegend und lässt dabei keinen kalt. Doch Alfons plötzliche Ernsthaftigkeit beim Thema der Friedenssicherung hallt noch in den Köpfen nach.
Am nächsten Tag, pünktlich um 11 Uhr, steht er wieder vor den Schülern, diesmal in der Agora der IGS und ohne die orangene Trainingsjacke. Er ist jetzt nicht mehr Alfons, sondern Emmanuel Peterfalvi und er hat ein Anliegen. Er zeigt ein Video von syrischen Flüchtlingen, umringt von einem aufgehetzten rechten Mob und bittet um die Meinungen der Jugendlichen: Stichwort Zivilcourage. Mit gezielten Fragen regt er zum Diskurs an, lässt dabei jeden ausreden, bleibt auf Augenhöhe. Mal lehnt er sich einfach zurück und genießt die untereinander diskutierenden Schülergruppen. Später wird er sagen: „Das, was hier passiert ist, das war gelebte Demokratie.“ . Doch er betont auch, wie sehr die Demokratie in Gefahr sei, und dass man seine Chance nutzen müsse, um etwas zu sagen. Zum Abschied stürmen alle Jugendlichen los für ein Foto mit Alfons. Dieser nimmt sich für jeden bereitwillig Zeit, er ist nun mal ein Menschenmagnet. Auch Katrin Ragge ist begeistert. Toll sei es zu sehen, wenn etwas nach all der Arbeit so großartig funktioniere, berichtet sie freudestrahlend. Auf die Frage, ob er glaube, die Schüler gekriegt zu haben, antwortet Alfons nur mit einem Augenzwinkern: „Was glaubst du?“. Die Zukunft wird es schon zeigen, für den Moment aber auf jeden Fall.
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