Landkreis Harburg
Wohnortnahe Geburtshilfe für Schwangere und Neugeborene überlebenswichtig
Eine Geburt ist der natürlichste Vorgang der Welt, und zugleich liegen nirgendwo Leben und Tod so nah beieinander. Dieser Herausforderung muss eine bedarfsgerechte und einfühlsame Geburtshilfe gerecht werden. Fachärzte und Hebammen sehen die Situation im Gesundheitswesen und die Bedeutung der ortsnahen Geburtshilfe, insbesondere auf dem Land, jedoch zunehmend kritisch. Bereits 2022 äußerten verschiedene Fachverbände, darunter der Deutsche Hebammenverband und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, in einem Offenen Brief ihre Besorgnis über die „Sicherstellung der flächendeckenden geburtshilflichen Versorgung“.
Staatlich finanziertes Krankenhaussystem
war kostenintensiv
Die Problemlage: Das einst staatlich finanzierte Krankenhaussystem war kostenintensiv und die Qualitätskontrollmechanismen teils nicht ausreichend. Um kosteneffizienter zu werden und die Qualität zu steigern, wurden 2003 die Abrechnungsmodalitäten geändert: Statt nach Pflegetagen wird seither nach Schwere der Diagnose gezahlt. Zugleich setzte eine zunehmende Privatisierung des deutschen Krankenhauswesens ein. Die Folge: Krankenhäuser mussten jetzt auch Gewinne für die Eigentümer – häufig große Konzerne – erwirtschaften. Kleine Häuser konnten im Gewinnstreben nicht mithalten und wurden entweder geschlossen oder es wurde beim Personal gespart.
Die pauschale Bezahlung nach Diagnosen führte zu immer kürzeren Liegezeiten. Wöchnerinnen wurden früher entlassen und Kaiserschnitte bevorzugt, da sie für das Krankenhaus lukrativer und für die Patientinnen vermeintlich praktischer und planbarer waren. Laut Statistischem Bundesamt gab es 1991 in Deutschland noch 1.186 Kliniken mit Geburtshilfe, 2021 waren es nur noch 611 Kliniken. Die Folge: Menschen außerhalb von Ballungsräumen müssen mehr als 40 Kilometer zum nächsten Krankenhaus fahren – oft eine Großklinik mit knappen Personalressourcen und unpersönlichen Strukturen.
Schwangerschaft und
Geburt prägen das Kind
Zu diesen Entwicklungen stehen die Bedürfnisse der Gebärenden und Geborenen im Widerspruch. Denn das Wohlbefinden der werdenden Mutter ist für den Geburtsvorgang selbst und auch für das Kind überlebenswichtig. "Sowohl die Schwangerschaft, als auch die Geburt prägen das Kind. Je nach Einflüssen auf die Mutter werden lebensförderliche oder lebenshemmende unbewusste Programme gestartet, die den Menschen auf unterschiedlichen Ebenen ein Leben lang beeinflussen", informiert Jürgen Maier-Wiegand, leitender Oberarzt der Geburtshilfe am Krankenhaus Buchholz.
"Die Geburt ist ein reflexartiger Vorgang, der von einem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Gehirnareal gesteuert wird, das wir mit den anderen Säugetieren gemeinsam haben. Nun kommt aber der entwicklungsgeschichtlich junge Teil unseres Gehirnes mit Bewusstsein, Erinnerung, Verstehen wollen usw. ins Spiel und kann manchmal ganz schön blockieren."
So müsse eine werdende Mutter womöglich auch Schmerzen und Angst bewältigen. Gegen die Schmerzen gibt es bei Bedarf probate medikamentöse Schmerzlinderungsverfahren. Die Schmerzwahrnehmung sei von vielen inneren und äußeren Faktoren abhängig, u.a. beeinflusst durch die Lebens- und Krankheitsgeschichte der werdenden Mutter. "Hier sind die niedergelassenen Hebammen und Gynäkologen aufgerufen, die werdende Mutter möglichst optimal vorzubereiten. Kann die Mutter in einer Atmosphäre von Geborgenheit, Intimität und Vertrauen entbinden, wird die Angst geringer sein, die Schmerzen werden besser verarbeitet, es gibt weniger Komplikationen", so Jürgen Maier-Wiegand. Diese Atmosphäre könne nur entstehen, wenn es im Kreißsaal Raum, Zeit und Herz für eine einfühlsame Betreuung gäbe. "Das Ambiente mit gemütlichen Kreißsälen und Wehengarten sowie eine bedarfsgerechte entspannte Betreuung durch eine überdurchschnittliche Anzahl gut qualifizierter und hoch motivierter Hebammen, Ärztinnen und Ärzte streben wir an", erläutert der Oberarzt.
Zur regionalen Situation in der Geburtshilfe
Bundesweit sinken die Geburtenzahlen (- 6,2 Prozent). Auch die Geburtshilfe der gynäkologischen Abteilung und das Hebammenteam am Krankenhaus Buchholz verzeichnete 2021 noch 997 Geburten, im Jahr darauf waren es 849 und in 2023 nur noch 791. Als Reaktion auf solche Entwicklungen werden Geburtskliniken geschlossen, so wie in Soltau bereits vor vielen Jahren. In Harburg wurde vor einiger Zeit eine kleinere Geburtshilfeabteilung geschlossen und Hamburg bietet Gebärenden fast ausschließlich Großkliniken mit eher unpersönlicher Begleitung und vollen Kreißsälen.
Entgegen dem Trend zu Großkliniken bei Geburten freuen sich die Geburtshilfe der gynäkologischen Abteilung und das Hebammenteam am Krankenhaus Buchholz seit Jahren über viele positive Rückmeldungen von Gebärenden. Denn in Buchholz und Winsen ist es dem Landkreis gelungen, ein Klinikum zu erhalten, das nicht nur kostendeckend arbeitet, sondern sich weiterhin eine wohnortnahe, persönlichere und familiärere Geburtshilfe mit gutem und sicherem Standard leisten kann.
Das Kreißsaalteam aus Buchholz und die Hebammen sind den Menschen in Verwaltung und Politik sowie der Geschäftsführung der Krankenhäuser Buchholz und Winsen daher dankbar, die dies trotz des bundesweiten Rückzugs der Geburtshilfe aus der ländlichen Fläche weiterhin ermöglichen.
Bereits im Mai 2022 hatten Hebammen auf die Notwendigkeit wohnortnaher Geburtshilfe hingewiesen
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