100 Prozent schwerbehindert - aber einen Behindertenparkausweis gibt es nicht
Wenn Ämter vom Schreibtisch aus entscheiden: MS-kranke Karin Kortmann (55) im Kampf mit den Behörden
os. Buchholz. Karin Kortmann (55) ist verzweifelt: Nach zehn Jahren wurde ihr Behindertenparkausweis nicht verlängert. Dabei ist die Buchholzerin essentiell auf das Sonderrecht angewiesen: Seit 26 Jahren leidet Karin Kortmann unter Multipler Sklerose (MS), kann sich nur mühevoll mit einem Rollator oder am Arm ihres Mannes Klaus fortbewegen. Sie ist zu 100 Prozent schwerbehindert. Ein klarer Fall, oder?
Eben nicht! Das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie in Lüneburg interessiert das alles nicht: Die Behörde entschied vom Schreibtisch aus, dass die MS-Kranke keinen neuen Behindertenparkausweis erhält. Sie könne wegen der neuen Gesetzgebung nicht in die Kategorie "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) eingestuft werden. "Ich muss mir wohl erst ein Bein amputieren lassen, bevor ich den Ausweis wieder bekomme", sagt Karin Kortmann sarkastisch. Was sie am meisten stört: Bis heute hat sich niemand vor Ort ein Bild ihres Gesundheitszustandes verschafft. Auch ihre Klage beim Sozialgericht blieb bislang ohne Erfolg. Paradox: Wegen der fehlenden Genehmigung kann Karin Kortmann den Behindertenparkplatz, der vor zehn Jahren vor ihrem Reihenhaus extra angelegt wurde, nicht mehr nutzen. "Was ist das für eine verkehrte Welt?!", fragt sie.
Das Landesamt will sich zum individuellen Fall nicht äußern. Behördensprecher Bernd Stöber verweist stattdessen auf das Bundesversorgungsgesetz und die "Versorgungsmedizin-Verordnung". Für den Behindertenausweis sei die Straßenverkehrsbehörde zuständig, so Stöber.
Der Fall von Karin Kortmann erinnert stark an Birgit Justus (44), über die das WOCHENBLATT jüngst berichtete. Die ebenfalls an MS erkrankte Frau aus Fleestedt kämpfte über ein Jahr erfolglos um den Eintrag "aG" in ihren Schwerbehindertenausweis. Als sich das WOCHENBLATT einschaltete, erhielt Birgit Justus plötzlich ganz schnell den Zusatz "aG"...
KOMMENTAR
Raus aus den Amtsstuben - hin zum Bürger
"Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können." So steht es Bundesversorgungsgesetz. Ein einziger Besuch bei Karin Kortmann in Buchholz hätte genügt, um zu erkennen, dass diese Voraussetzung zu 100 Prozent auf die MS-kranke Frau zutrifft.
Genau hier liegt die Krux: Die Mitarbeiter der zuständigen Behörden entscheiden zunehmend - wie bei Karin Kortmann - in ihren warmen Amtsstuben lediglich auf Basis der Aktenlage über das Wohl und Wehe der Betroffenen. Die Lösung ist denkbar einfach: Die vom Bürger bezahlten Staatsbediensteten haben - Entschuldigung! - ihren Arsch zu bewegen und sich vor Ort ein Bild zu machen. Man kann nur hoffen, dass die Mitarbeiter der Landesbehörde nicht mal selbst Hilfe ihrer Kollegen brauchen... Oliver Sander
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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