"Niemand denkt an die Kindergärten"
Geplante Beitragfreiheit sorgt für Aufruhr bei den Kommunen / "Es fehlt eine Qualifizierungsoffensive"
(os). Die Parteien der neuen Landesregierung sind sich einig: Bereits zum 1. August soll die Beitragsfreiheit für Kindergartenplätze umgesetzt werden. Eltern freuen sich über die Pläne, sollen doch künftig bis zu acht Stunden Betreuung am Tag für die drei- bis sechsjährigen Kinder kostenfrei sein. Die Verantwortlichen in den Kommunen blicken dagegen mit Sorgenfalten nach Hannover: Die Beitragsfreiheit bringt die Städte finanziell in arge Bedrängnis.
Dirk Hirsch, Erster Stadtrat und Finanzdezernent der Stadt Buchholz, rechnet damit, dass die Stadt zumindest einen Teil der wegfallenden Elternbeiträge aus dem eigenen städtischen Haushalt tragen muss. Wie hoch dieses Summe sein wird, darüber kann er bislang nur spekulieren. Der Anteil, den das Land künftig an der Kinderbetreuung trägt, steht - anders als z.B. von Kultusminister Grant Hendrik Tonne beim Neujahrsempfang der Kreis-SPD in Asendorf angekündigt, noch nicht fest.
Mehr Sorgen als die ungeklärte Finanzsituation bereitet Hirsch, "dass die Lebenswirklichkeit in den Kindertagesstätten bei der Debatte um die Beitragsfreiheit leider komplett unter den Tisch fällt." Alle Kommunen hätten bereits jetzt große Probleme, aufgrund des Fachkräftemangels offene Stellen in den Kitas zu besetzen, der Wettkampf um die besten Kräfte sei immens. "An eine von allen Beteiligten gewünschte und seit Langem von Experten geforderte Steigerung von Betreuungsqualität, z.B. durch zusätzliche Kräfte, ist unter diesen Bedingungen gar nicht zu denken", erklärt Hirsch.
Niemand denke in dieser Situation an die Kindergärten, kritisiert der Finanzdezernent. Hirsch fordert, einen Teil der Landesgelder (im Gespräch sind 300 Millionen Euro pro Jahr) für eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive zur Bewältigung des Fachkräftemangels einzusetzen. "Hiervon würden am Ende alle profitieren. Neben den Eltern, die bei den Kita-Gebühren trotzdem deutlich entlastet werden könnten, vor allem die Kindergärten und damit die Kinder", betont Hirsch.
Der Finanzdezernent erhält Unterstützung aus anderen Kommunen. "Ich gehe davon aus, dass sich die Kommunen das nicht gefallen lassen und beim Staatsgerichtshof in Bückeburg Klage erheben werden." Das sagt Jesteburgs Samtgemeinde-Bürgermeister Hans-Heinrich Höper. Die Gemeinden litten massiv unter den Auswirkungen der Beitragsfreiheit, kritisiert Höper. Durch den gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz seien bereits in den vergangenen Jahren erhebliche Zusatzkosten auf die Städte und Gemeinden zugekommen. Wenn jetzt noch die Beitragsfreiheit in Kindergärten hinzukomme, "ist das in den Haushalten der Kommunen nicht mehr aufzufangen", so Höper. Zumal die Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher erheblich verändert wurde nach der Streikwelle vor drei Jahren, die Zuschüsse des Landes aber gleichzeitig eingefroren wurden.
Schon jetzt merke die Samtgemeinde Jesteburg die Auswirkungen: Derzeit ermittele man die Belegung der kommunalen Kindergärten für das kommende Jahr, schon "bekommen wir reihenweise Anrufe von Eltern, die ihr Kind künftig acht anstatt fünf Stunden pro Tag betreuen lassen wollen", berichtet Höper. Wie man unter diesen Umständen den Bedarf an Personal und räumlichen Kapazitäten planen soll, erschließe sich ihm nicht.
Andreas Eddelbüttel, bei der Gemeindeverwaltung Seevetal für den Bereich Kinderbetreuung zuständig, hat dieselben Probleme: "Derzeit nutzen noch viele Eltern die Halbtagsbetreuung. Wenn aber der Ganztag kostenfrei wird, gehen wir hier von einer Steigerung aus. Das würde die Kosten deutlich erhöhen." Grundsätzlich begrüße die Gemeindeverwaltung den Ansatz der Landesregierung, nur noch Personalkosten, dafür aber zu einem höheren Prozentsatz zu fördern. "Allerdings werden bei der derzeitigen Regelung bestimmte Kosten z.B. von Quereinsteigern oder Vertretungskräften gar nicht gefördert und auch der angepeilte Fördersatz von zunächst 52 Prozent reicht bei Weitem nicht aus. Das ist insgesamt zu kurz gesprungen," kritisiert Eddelbüttel. Das Defizit in Seevetal liege bei dieser Rechnung bei rund 300.000 Euro jährlich. "Es mag sein, dass die derzeit geplante Förderquote in gewissen Regionen auskömmlich ist, hier ist sie es nicht."
Ebenfalls auf konkrete Ansagen aus Hannover wartet auch der Verein Tagesmütter und -väter im Landkreis Harburg. "Wir wissen leider noch nicht, welche Regelung künftig für unsere Tageseltern gilt", erklärt Vereinsvorsitzende Brigitta Wagner. Allein in ihrem Verein hingen 116 aktive Tagesmütter in einer Warteschleife. "Die Landesregierung soll sich zusammensetzen und eine Regelung finden, nach der wir weiterarbeiten können", fordert Wagner. Genau auf diese Regelung hofft auch Samtgemeinde-Bürgermeister Höper: "Leider ist die Landesregierung komplett abgetaucht. Wahrscheinlich hat sie unterschätzt, welche Wucht dieses Thema in den Städten und Kommunen haben wird."
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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