Verwaltungsgericht Lüneburg weist alle Klagen ab
Nur Verlierer beim Kampf ums Heidewasser
(bim). Die trockenen Sommer der vergangenen drei Jahre haben mehr denn je bewiesen, wie wertvoll die Ressource Wasser ist. Kein Wunder also, dass seit Jahrzehnten der Kampf um das Heidewasser tobt: Die Hamburger Wasserwerke wollen es, um damit rund 300.000 Hamburger - natürlich gegen Geld - zu versorgen. Die Anwohner im Landkreis Harburg wollen es nicht kampflos hergeben, um die eigenen Grundwasservorräte nachhaltig und langfristig für die eigenen Bedarfe - für die Bevölkerung, die Land- und Forstwirtschaft - zu sichern. Nun hat das Verwaltungsgericht Lüneburg sechs Klagen gegen die im April 2019 vom Landkreis Harburg den Hamburger Wasserwerken (HWW) erteilte "gehobene wasserrechtliche Erlaubnis" abgewiesen. Damit bleibt alles, wie es ist: Der Landkreis Harburg sieht sich mit dem Urteil bestätigt. Ansonsten gibt es letztlich nur Verlierer.
15 Jahre Wasser über
vorläufige Erlaubnis gefördert
Rückblick: Die alte Wasserförderungs-Bewilligung für die HWW von 1974 mit einer Fördermenge von bis zu 25 Millionen Kubikmetern jährlich war 2004 ausgelaufen. Erst 2009 hatte Hamburg Wasser eine neue Bewilligung für die Grundwasserförderung aus der Nordheide auf jährlich 18,4 Millionen Kubikmeter Wasser beantragt. Zehn Jahre dauerte das "Tauziehen" zwischen dem Wasserkonzern und den berechtigten Interessen der Bürger und Umweltverbände bis zur Genehmigung durch den Landkreis Harburg im April 2019. Bis dahin förderte HWW auf der Basis einer vorläufigen Erlaubnis rund 15,4 Millionen Kubikmeter pro Jahr.
Laut der aktuellen, für 30 Jahre erteilten "gehobenen Erlaubnis" darf Hamburg Wasser im Mittel bis zu 16,1 Millionen Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr fördern. Die beantragten 18,4 Millionen Kubikmeter pro Jahr sind zwar zwischendurch möglich, aber nur, wenn die Mehrentnahme über den gesamten Förderzeitraum wieder ausgeglichen wird.
Hamburg zockt
die Heide ab
Für die Hansestadt ist das Heidewasser lukrativ: Bislang zahlt Hamburg Wasser an das Land eine Wasserentnahmegebühr, den sogenannten "Wasserpfennig", aktuell 15 Cent pro Kubikmeter Wasser. Geld, das für Umweltschutzmaßnahmen verwendet wird, aber nicht zwangsläufig dort, wo Schäden durch die Wasserentnahme auftreten. Andererseits erwirtschaftet Hamburg Wasser Gewinne. Seit dem 1. Januar liegt der Wasserpreis je Kubikmeter bei 1,79 Euro netto.
Die Akten des langwierigen wasserrechtlichen Verfahrens füllen unzählige Ordner - das Verwaltungsgericht Lüneburg sprach bereits vor zwei Jahren von 15 Meter Akten (!), u.a. gefüllt mit Gutachten, Stellungnahmen und komplexen Grundwassermodellen. Allein der wasserrechtliche Genehmigungsbescheid umfasst 288 Seiten.
Der Interessengemeinschaft Grundwasserschutz Nordheide (IGN), die sich seit 1979 für die Interessen der betroffenen Landkreisbewohner und eine umweltverträgliche Wasserförderung engagiert, ist die aktuell zulässige Fördermenge deutlich zu hoch. Die IGN hält zwölf Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr oder weniger für ausreichend, zumal wegen der trockenen Sommer auch z.B. in der Landwirtschaft Beregnungen nötig sind. Auch beklagt die IGN vielfache Wasserabsenkungen in Heidebächen und -flüssen. Und die Liste ist lang.
Viele Gewässer führen
weniger Wasser
IGN-Geschäftsführer Gerhard Schierhorn berichtet: "Aktuell betroffen ist der Weseler Bach im Oberlauf, dem Pastorenteich. Der Teichwasserspiegel ist deutlich gesunken. Der Oberlauf der Schmalen Aue bei Volkwardingen ist trocken. Im weiteren Verlauf der Schmalen Aue zeigt der Zufluss 'Großer Bach' bei Quarrendorf deutlich weniger Wasser. Der Oberlauf der Este ist nach wie vor dauerhaft trocken. Die Situation an der Toppenstedter Aue bei Garlstorf und am Wehlener Moorbach bei Inzmühlen hat sich etwas verbessert, dennoch fallen die Gewässer zeitweise trocken."
Während Hamburg Wasser vor Gericht eine andere Erlaubnisform, nämlich eine nicht zu widerrufende Bewilligung und eine höhere Fördermenge einforderte, kritisierten die anderen fünf Kläger - drei Privatleute, ein Umweltverband und die Klosterkammer - die gestattete Entnahmemenge als zu hoch.
Das Verwaltungsgericht unter Vorsitz von Richter Thomas Pump sah die Klage der Klosterkammer Hannover als unzulässig an, da nicht sie, sondern der Klosterfonds Eigentümer der betroffenen Flächen sei. Die übrigen Anfechtungsklagen wurden als unbegründet abgewiesen, die vom Landkreis Harburg erteilte gehobene Erlaubnis sei nicht zu beanstanden.
Wasserrecht nicht
auf Höhe der Zeit
Nach dem Urteil beklagt die Interessengemeinschaft Grundwasserschutz Nordheide (IGN), dass Wasser- und Naturschutzrecht nicht auf der Höhe der Zeit und die Betroffenheit von Grundstückseigentümern und besonders geschützten Landschaftsbereichen nicht ausreichend berücksichtigt seien. "Die klimabedingte Verschlechterung der Grundwasserneubildung durch steigende Durchschnittstemperaturen und trockene Sommer hat leider überhaupt keine Rolle im Verfahren gespielt“, sagt IGN-Vorsitzender Karl-Hermann Ott. „Wir hatten gehofft, dass die tatsächlichen Auswirkungen der bisherigen Wasserförderung auf Bäche, Flüsse und Feuchtgebiete und die Verfahrensmängel - insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Naturschutzgebiete - das Verwaltungsgericht überzeugen würde. Das war nicht der Fall. Nun bleibt es also dabei, dass selbst im streng geschützten Naturschutzgebiet Lüneburger Heide weiter Wasser für Hamburg gefördert werden kann", sagt Ott.
Ohne es geplant zu haben, hatte die IGN just an dem Abend der Urteilsverkündung ihre Mitgliederversammlung auf dem Hof von Klaus-Detlef Kröger, der Vorstandsmitglied der IGN und als Besitzer von Wald- und Teichflächen auch persönlich von der Wasserentnahme durch Hamburg Wasser betroffen ist und einer der Kläger war.
Verhandlung glich einem
Kampf der Gutachter
Gerhard Schierhorn, Geschäftsführer der IGN, beschrieb die Gerichtsverhandlung sinngemäß als "Gutachterkampf". Neben diversen Rechtsanwälten seien allein für Hamburg Wasser zehn bis 15 Gutachter, für die IGN vier Gutachter im Einsatz gewesen. „Das Klageverfahren glich zeitweise einem weiteren Erörterungstermin. Gutachter beider Seiten beurteilen die Auswirkungen der Grundwasserentnahme und die der Genehmigung zugrundeliegenden Untersuchungen sehr unterschiedlich. Die Belange der klagenden Grundstückseigentümer - Klosterkammer und drei Grundstückseigentümer mit vielen Hundert Hektar Wald, Landwirtschaft und Teichen im Entnahmegebiet - kamen kaum zur Sprache“, kommentierte er.
Bodenproben berücksichtigten
keine Wasserstände
Zudem zweifelte Gerhard Schierhorn u.a. die Aussagekraft der vom Landkreis ins Feld geführten rund 1.200 Bodenproben an, die überwiegend aus den 1980er Jahren stammten und "nicht vernünftig und nicht an den richtigen Stellen" vorgenommen worden seien. So seien damals keine Wasserstände berücksichtigt worden.
Sein Eindruck vor Gericht vom Auftreten von Hamburg Wasser: Dem Unternehmen sei es mehr um die Genehmigungsform der Wasserförderung gegangen als um die Fördermenge. "Der Standpunkt der HWW: Ganz Deutschland guckt auf dieses Verfahren, weil so große Mengen über eine gehobene Erlaubnis, in die man ohne Entschädigungsanspruch eingreifen kann, und nicht über eine Bewilligung, die ein Eigentumsrecht ist, gefördert werden", erläuterte Schierhorn. "Kostengünstiger als in der Nordheide bekommt Hamburg nirgends Wasser", kritisierte er die Millionen-Umsätze des Konzerns und Hamburgs auf Kosten der Bewohner im Landkreis Harburg.
Er wies auch auf die bereits jetzt erkennbaren Verteilungsprobleme hin, die in der Politik zum Teil noch heruntergespielt würden. So habe der Beregnungsverband des Landkreises Harburg mit zwölf Millionen Kubikmeter im Jahr eine doppelt so hohe Wassermenge beantragt als bisher zum Einsatz komme.
Auch künftige Landkreisbewohner
brauchen eine Wasserversorgung
Außerdem: "Der Landkreis wächst." Probleme beim Wachstum werde auch die Stadt Buchholz bei der künftigen Wasserversorgung bekommen. "Über die Nordheidewasserförderung und die aus der Süderelbmarsch pumpt sich Hamburg Wasser von Norden und Süden Richtung Buchholz. Die Absenkungstrichter reichen bis Buchholz hinein", warnte er. Der Landkreis habe nicht ohne Grund ein "effizientes Wassermanagement" eingeführt.
Was die Grundwasserschützer ein wenig positiv stimmt: Die Klage der Hamburger Wasserwerke auf Erteilung einer Bewilligung hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die Gerichtsentscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Hamburger Wasserwerke und die übrigen Kläger können Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht stellen. Hamburg Wasser hat bereits angekündigt, eine Berufung zu prüfen. Aus Sicht des Unternehmens werde die Versorgungssicherheit Hamburgs unverhältnismäßig stark einschränkt.
Auszüge aus der Urteilsbegründung
Auszüge aus der Urteilsbegründung zur Klageabweisung der privaten Kläger: Die Hamburger Wasserwerke hätten die Auswirkungen der beabsichtigten Grundwasserentnahme entsprechend den in Niedersachsen geltenden fachlichen Standards ermittelt. Das Gericht wertete die Gutachten des Unternehmens als "fachlich überzeugend". Demnach und angesichts der Menge der erhobenen Daten "könne mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass bestehende Schutzgebiete wie das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide sowie die im Entnahmegebiet gelegenen Gewässer beeinträchtigt würden." Dabei sei zu u.a. berücksichtigen, dass die Grundwasserentnahme bereits in der Vergangenheit stattgefunden habe, was es erleichtere, mögliche Auswirkungen abzuschätzen.
Auszüge aus der Urteilsbegründung zur Klageabweisung von Hamburg Wasser: Die vom Landkreis angeführten Gründe für die „schwächere“ Gestattungsform einer gehobenen Erlaubnis - etwa eine mögliche Änderung europarechtlicher Vorgaben sowie Entwicklungen durch den Klimawandel - rechtfertigten seine Entscheidung. Auch die von Hamburg Wasser angeführten Investitionen und dass die Grundwasserentnahme der Versorgung von etwa 300.000 Einwohnern der Freien und Hansestadt Hamburg diene, zwängen nicht zur Erteilung einer Bewilligung.
Die Begrenzung der Wasserentnahme sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Landkreis Harburg habe sich zu Recht an der Menge orientiert, die Gegenstand früherer Verhandlungen zwecks Abschluss eines - nicht zustande gekommenen - Verwaltungsabkommens gewesen sei. Laut den vorgelegten Antragsunterlagen gingen die Gutachter von Hamburg Wasser selbst nur von einem regelmäßigen jährlichen Bedarf von 16,1 Million Kubikmeter Wasser aus. Schließlich zeige die von Hamburg Wasser vorgelegte Wasserbedarfsprognose, dass nur bis 2025 ein steigender Wasserbedarf prognostiziert werde; danach werde mit einem Sinken des Wasserbedarfs gerechnet.
Alle Texte zu "IGN“
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.