Vergütungsverhandlungen gescheitert
Pflegedienste schreiben offenen Mahn-Brief an Land und Bund
Die privaten Pflegedienste in Niedersachsen und damit auch in den Landkreisen Harburg und Stade schlagen Alarm, denn sie sehen die Versorgung der alten und kranken Menschen im häuslichen Umfeld akut gefährdet. In einem offenen Brief an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), den niedersächsischen Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) prangert die Landesarbeitsgemeinschaft der Verbände der privaten Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen (LAG PPN) das Scheitern der jüngsten Vergütungsverhandlungen zur häuslichen Krankenpflege an.
"Es ist unsäglich. Die Krankenkassen in Niedersachsen lassen uns Pflegedienste am langen Arm verhungern", macht Nikolaus Lemberg, Geschäftsführer des zur Arbeitsgemeinschaft gehörenden Pflegedienstes "Interessengemeinschaft e.V." mit Hauptsitz in Salzhausen (Landkreis Harburg) gegenüber dem WOCHENBLATT seinem Unmut Luft.
Die Pflegeunternehmen - so die Arbeitsgemeinschaft - seien gesetzlich verpflichtet, die Vorgaben der sogenannten „Tariftreuepflicht“ zu erfüllen. Für nahezu alle privaten ambulanten Pflegedienste in Niedersachsen bedeute dies, dass sie seit 1. Januar dieses Jahres das „regional übliche Entlohnungsniveau“ einzuhalten und umzusetzen haben. In Niedersachsen sei dieses Niveau zum Januar um 10,45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Als Kosten- und Leistungsträger seien die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, die daraus resultierenden Lohn- und Gehaltssteigerungen auch in der häuslichen Krankenpflege zu refinanzieren. "Die Gespräche über diese Refinanzierungspflicht und -verantwortung müssen als gescheitert betrachtet werden, da die niedersächsischen Krankenkassen unmissverständlich erklärt haben, dass ihnen ein Vergütungsangebot oberhalb der Grundlohn-Veränderungsrate aus rechtlichen, aber auch tatsächlichen Gründen nicht möglich sei", bedauert die LAG PPN. Ein daraufhin vorgeschlagener Kompromiss sei von den Kassen "kurzerhand zurückgewiesen" worden.
Aus Sicht der Kostenträger sei eine Vergütungssteigerung von vier Prozent ausreichend, um die Lohnanhebungen von 10,45 Prozent zu refinanzieren. "Diese bundesweit einmalige Argumentation und das hiermit einhergehende Angebot verwundert umso mehr, wenn wir die kompromissfähigen Vergütungsabschlüsse in den angrenzenden Bundesländern betrachten", erklärt die Arbeitsgemeinschaft und nennt als ein Beispiel Hamburg. Dort wird ein Anstieg des Entlohnungsniveaus um 9,38 Prozent mit einer Vergütungssteigerung um 8,71 Prozent refinanziert. Der von Niedersachsens Krankenkassen eingeschlagene "Sonderweg" sei für die ambulanten Pflegedienste, ihre Mitarbeiter und auch für die Versicherten "verheerend".
Die Verfasser des offenen Briefes appellieren schließlich an den Ministerpräsidenten und die Minister, sich im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht und "im Interesse der pflegerischen Versorgung im gesamten Bundesland (...) für eine schnelle und zielführende Lösung einzusetzen".
-Der offene Brief der Verbände der privaten Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,
sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Dr. Philippi,
sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach,
mit diesem offenen Brief möchten wir Sie über die aktuellen Vorgänge im Rahmen der
Vergütungsverhandlungen zu den Leistungen der häuslichen Krankenpflege mit den niedersächsischen
Krankenkassen und die hieraus resultierenden Folgen für die niedersächsische Pflegelandschaft, die
pflegebedürftigen Menschen und nicht zuletzt auch die Pflege- und Betreuungskräfte in unserem
Bundesland in Kenntnis setzen.
In der Konsequenz könnten die alten und kranken Menschen im häuslichen Umfeld damit nicht mehr
versorgt werden.
Wie Ihnen bekannt ist, sind alle Pflegeunternehmen gesetzlich verpflichtet, die Vorgaben der so
genannten „Tariftreuepflicht“ zu erfüllen. Für weit über 90 Prozent der privaten ambulanten Pflegedienste in
Niedersachsen bedeutet dies, dass sie zum 01.01.2025 das „regional übliche Entlohnungsniveau“
einzuhalten und umzusetzen haben. In Niedersachsen ist dieses Lohnniveau zum Januar 2025 um
10,45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
Als Kosten- und Leistungsträger sind die gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen verpflichtet, die
hieraus resultierenden Lohn- und Gehaltssteigerungen auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege
zu refinanzieren.
Die Gespräche über diese Refinanzierungspflicht und -verantwortung müssen als gescheitert
betrachtet werden, da die niedersächsischen Krankenkassen unmissverständlich erklärt haben, dass ihnen ein Vergütungsangebot oberhalb der Grundlohn-Veränderungsrate aus rechtlichen, aber auch tatsächlichen Gründen nicht möglich sei.
Ein von uns zwischenzeitlich unterbreitetes Kompromissangebot, das eine zeitnahe und einvernehmliche Beendigung der Verhandlungen hätte herbeiführen können, wurde von den niedersächsischen Krankenkassen kurzerhand zurückgewiesen.
Aus Sicht der Kostenträger ist eine Vergütungssteigerung von faktisch 4,0 Prozent ausreichend, um die oben
genannten Lohnsteigerungen von 10,45 Prozent zu refinanzieren. Diese bundesweit einmalige Argumentation und das hiermit einhergehende Angebot verwundert umso mehr, wenn wir die kompromissfähigen Vergütungsabschlüsse in den angrenzenden Bundesländern betrachten
(die prozentuale Steigerung des regional üblichen Entlohnungsniveaus zum 1. Januar (jeweils erste Zahl in der Auflistung) und die Vergütungssteigerung im Bereich der häuslichen Krankenpflege für Anwender des regional üblichen Entlohnungsniveaus zum 1. Januar (zweite Zahl) werden hier zur besseren Übersicht pro Bundesland gegenübergestellt, d. Red.):
Schleswig-Holstein: 7,18 Prozent / 7,58 Prozent
Hamburg: 9,38 Prozent / 8,71 Prozent
Mecklenburg-Vorpommern: 8,07 Prozent / 10,02 Prozent
Nordrhein-Westfalen: 9,77 Prozent / 9,33 Prozent
Hessen: 6,13 Prozent / 7,19 Prozent
Sachsen-Anhalt: 8,74 Prozent / 8,1 Prozent
Niedersachsen: 10,45 Prozent / 4,0 Prozent (Angebot)
Die Zahlen offenbaren unmissverständlich, dass die niedersächsischen Krankenkassen einen Sonderweg eingeschlagen haben, der sich für die ambulanten Pflegedienste, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Versicherten in Niedersachsen als verheerend darstellt.
Die zahlreichen Alarmstandmeldungen unserer Mitgliedseinrichtungen, die weiterhin hohe Zahl an
Betriebsschließungen und der massive Rückgang an Versorgungsleistungen lässt erkennen, wie sehr
die Pflegeeinrichtungen mit dem Rücken zur Wand und den Füßen am Abgrund stehen!
Unbegreiflich bleibt für uns, wie in dieser prekären Lage eine angebotene Vergütungssteigerung von
vier Prozent eine Lohnsteigerung von 10,45 Prozent refinanzieren soll. Nicht nur, dass hiermit die aktuellen Lohnsteigerungen nicht refinanzierbar sind. Eine solche Umsetzung würde auch den gemeinsam eingeschlagenen Weg, mit dem in den vergangenen Jahren das Vergütungsniveau in der häuslichen Krankenpflege in Niedersachsen merklich und auf ein wirtschaftlich akzeptableres Niveau angehoben wurde, auf einen Schlag zunichtemachen!
Mit Stand heute ist klar, dass für die ambulanten Pflegedienste in Niedersachsen eine ausreichende Refinanzierung der verpflichtend zu zahlenden Lohnkosten auf absehbare Zeit nicht erfolgen wird. Dies
wird die wirtschaftliche Not der ambulanten Pflegedienste in Niedersachsen massiv erhöhen und sich
zwangsläufig auch auf die Versorgungssituation nicht nur im Bereich der Häuslichen Krankenpflege
negativ auswirken!
Mit Bedauern und Unverständnis müssen wir vorerst akzeptieren, dass die niedersächsischen Krankenkassen diesen Kampf auf dem Rücken der ambulanten Pflegedienste und der pflegebedürftigen Menschen im Land austragen! In Ermangelung jeglicher Alternativen werden wir nunmehr den gesetzlich vorgesehenen Weg einschlagen und ein Schiedspersonenverfahren initiieren. Zumindest uns ist hierbei bewusst, dass diese erheblich verzögerte Refinanzierung für schwere Einschnitte in der pflegerischen Versorgung sorgen wird.
Sollten Sie Möglichkeit sehen, auf die aktuelle Situation Einfluss zu nehmen, so ist es jetzt an der Zeit,
diese zu ergreifen!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Herren Minister, im Rahmen der Ihnen obliegenden Rechtsaufsicht, aber auch im Interesse der pflegerischen Versorgung im gesamten Bundesland fordern wir Sie auf, sich für eine schnelle und zielführende Lösung einzusetzen!
Mit freundlichen Grüßen
Timo Stein
APH Arbeitsgemeinschaft Privater Heime und Ambulanter Dienste Bundesverband e.V.
Dr. Nina Fleischmann
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest e.V.
Ricarda Hasch
bpa.Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.
Andreas Kern
Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e.V.
Petra Schülke
Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V.
Malte Stern
Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e.V.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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