Grausame Tierversuche
Politik schaut weg bei massenhafter Tierquälerei
bim. Neu Wulmstorf. Ein Affe mit gequältem Gesichtsausdruck, festgeschnallt an einer Versuchsapparatur, und ein Hund, der neben einer Pfütze Blut hockt - die Bilder, die die "Soko Tierschutz" und "Cruelty Free International" jetzt bei Undercover- Recherchen in der Tierversuchsanstalt "Laboratory of Pharmacology and Toxicology" (LPT) in Neu Wulmstorf-Mienenbüttel gemacht haben, sind mehr als verstörend. Nach Sichtung der Bilder haben das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) und das Kreisveterinäramt jetzt Strafanzeige gegen das LPT wegen Verstoßes gegen den Tierschutz gestellt. Die Tierschützer der "Soko", die jüngst auch den Schlachthofskandal in Düdenbüttel (Landkreis Stade) aufgedeckt haben, schleusten von Dezember 2018 bis März 2019 einen verdeckten Ermittler als Mitarbeiter im LPT ein. Er lieferte "erschütternde Beweise für das Versagen der deutschen Politik beim Schutz von Versuchstieren" und die "schlechten Zustände in deutschen Tierversuchslabors".
Die "Soko Tierschutz" hat am Freitag eine 20-seitige Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stade eingereicht. In dem Labor in Mienenbüttel würden jeweils rund 100 Hunde und Affen, 30 bis 50 Katzen und eine unbestimmte Anzahl Kaninchen für die Durchführung sogenannter Giftigkeitstests für chemische, agrochemische und pharmazeutische Substanzen für Auftraggeber aus Deutschland und weltweit gehalten, berichtet Friedrich Mülln von der "Soko Tierschutz" auf WOCHENBLATT-Nachfrage. "Die Ermittlungen beweisen unhaltbare Zustände, rechtswidrige Tierhaltung, grausame Versuche und Brutalität gegen die Tiere", so Mülln. Der Ermittler habe mehrfach erlebt, wie Hunde, nachdem ihnen Schläuche oder Kapseln in den Hals gezwungen wurden, entsetzlich bluteten. Die ebenfalls schlecht gehaltenen Affen würden bei Versuchen äußerst grob behandelt: "Es kam zu blutigen Verletzungen, und ein Mitarbeiter schlug einen Affen absichtlich krachend gegen die Türkante", so Friedrich Mülln.
Das Labor agiert völlig abgeschottet. Die Versuchshunde würden aus den USA stammen, die Katzen aus Spanien und die Affen aus China. "Die Hunde gingen teilweise grausam zugrunde und wurden nicht ausreichend überwacht und umsorgt. Die gesamte Hundehaltung verfügt über kein nach EU-Recht vorgeschriebenes Beschäftigungsmaterial. Verhaltensstörungen sind u.a. die Folgen davon. Es ist erschütternd zu sehen, wie sich diese Hunde nach Zuneigung und Fürsorge verzehren und dann so erbärmlich in ihrem Blut sterben müssen", beschreibt Mülln die Szenen. Um ein Antibiotikum für eine Tierarzneimittelfirma zu testen, seien Katzen die Beine an einem einzigen Tag 13 Mal zerstochen worden.
Weil die Politik in Deutschland sich bezüglich Tierversuchslaboren nicht an EU-Direktiven halte, laufe gegen Deutschland nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren, das 26 Punkte umfasse. Es gehe u.a. darum, dass Kontrollen in der Regel angemeldet werden und dass in den Laboren nicht ausreichend ausgebildete Leute beschäftigt seien, erläutert Mülln.
Widerstand gegen solche Übergriffe ist sinnlos
Widerstand gegen solche Übergriffe ist nach Aussagen eines Mitarbeiters sinnlos. Die Person habe es versucht, es sei den Vorgesetzten egal. Unter den zahlreichen Arbeitern der Einrichtung habe sich nur ein ausgebildeter Tierpfleger befunden. Der Rest der Arbeiter rekrutiere sich z.B aus Schlachtern, Mechanikern und einem Militärmusikanten.
„Jedes Jahr werden hunderttausende Tiere in Europa für regulatorische, toxikologische Tests vorsätzlich vergiftet. Unsere Recherche enthüllt entsetzliches Tierleid, unzulängliche Pflege der Tiere, schlechte Praktiken und Brüche europäischen und deutschen Rechts. Wir fordern eine umfassende Aufarbeitung dieses Falls und allgemein solcher Tierversuche in Europa“, so Michelle Thew von "Cruelty Free International".
In Deutschland würden jedes Jahr mindestens 2,8 Millionen Tiere an Tierversuchen sterben. „Es ist unverantwortlich, dass der Staat diese Versuche zwar anordnet, aber Giftigkeitstests, z.B. an Hunden oder Kaninchen, nicht genehmigungs-, sondern nur meldepflichtig sind. Hier zieht sich Deutschland aus der Verantwortung. Die angeblichen Sicherheitstests bringen zudem keine Sicherheit für den Menschen und den Tieren nur einen grausamen Tod. 92 Prozent der Substanzen, die in regulatorischen, toxikologischen Tests an Tieren erprobt werden, fallen in klinischen Studien an Menschen durch. 20 Prozent aller Medikamente müssen nach Großversuchen zurückgenommen werden“, sagt "Soko"-Sprecher Friedrich Mülln.
"Soko Tierschutz" und "Cruelty Free International" fordern ein sofortiges Ende der veralteten, gefährlichen und grausamen Giftigkeitstests an Tieren und die Schließung des Labors durch die Behörden.
Was das EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angeht, rechnet Friedrich Mülln noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung, ob vor dem EU-Gerichtshof geklagt wird.
Das sagt "Lobby pro Tier"
Die Video- und Fotoaufnahmen der Tierquälereien seien schlimmer, als die Neu Wulmstorfer Initiative "Lobby pro Tier" bisher vermutet habe, sagt Sabine Brauer. Sie hatte die Initiative aufgrund eines WOCHENBLATT-Artikels vor zehn Jahren ins Leben gerufen und kämpft seither mit weiteren Tierfreunden gegen die Tierversuche und für die Schließung des LPT - mit Demonstrationen, Unterschriftenlisten sowie Anfragen an das Kreisveterinäramt und das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves). Bislang blieben alle Bemühungen ohne Erfolg. Die Behörden hätten nur "kleine Beanstandungen" gehabt und sich desinteressiert und ignorant gezeigt. Bestätigt habe der Landkreis Harburg aber bereits vor zehn Jahren, dass kein Tier das Labor lebend verlässt. Dass die "Soko Tierschutz" die Grausamkeiten im LPT nun öffentlich gemacht hat, sei "das Beste, das wir uns wünschen können", sagt Sabine Brauer. "Endlich haben wir eine Handhabe, auch gegenüber den Behörden." Denn was sich hinter den Mauern des LPT abspielt, unterliegt der allergrößten Geheimhaltung. Das LPT-Gelände ist hermetisch abgeriegelt, selbst Neu Wulmstorfs Bürgermeister Wolf-Egbert Rosenzweig wurde der Zutritt bisher verweigert. Nähere Informationen über das Unternehmen und seine "Dienstleistungen" sind auf der Homepage nur für Nutzer mit Passwort zu lesen.
Das teilt der Landkreis Harburg nun in seiner Stellungnahme mit:
"Das große mediale und öffentliche Interesse nehmen wir zum Anlass, um über den aktuellen Sachstand zu informieren.
Die Veterinärbehörde des Landkreises Harburg hat bei vier Kontrollen des Tierversuchslabors LPT seit 2018, die von wechselnden Veterinären und zum Teil gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Laves durchgeführt wurden, bis zur Kenntnis des vorliegenden Videomaterials keine gravierenden Verstöße gegen die Tierschutz- und Haltungsbestimmungen festgestellt. Seit 2015 fanden insgesamt neun Kontrollen statt, davon sieben unangekündigt. Eine Veterinärbehörde ist an Recht und Gesetz gebunden und verfügt mit ihren stichprobenartigen Schwerpunktkontrollen in der Praxis selbst bei unangemeldeten Kontrollen nicht über die Möglichkeiten eines internen Informanten, der wie hier durch die 'Soko Tierschutz' und 'Cruelty Free International' geschehen, unerkannt jederzeit Einblick in die Haltung der Tiere und die Durchführung von Tierversuchen erhalten und diese per Video dokumentieren kann.
Das Veterinäramt hat unverzüglich reagiert, nachdem wir auf das Videomaterial hingewiesen wurden, das auf erhebliche Missstände beim LPT hindeutet und noch bevor uns dieses Material zur Sichtung zur Verfügung gestellt wurde, eine umfassende und unangekündigte weitere Kontrolle des Betriebs durchgeführt, die den konkreten Verdacht strafrechtlich relevanter Handlungen ergaben. Aus diesem Grund hat der Landkreis Harburg Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Stade gestellt. Wir bedauern das Leid, das Tiere durch nicht gesetzeskonforme Haltungsbedingungen erlitten haben und werden alle festgestellten Missstände in enger Abstimmung mit dem zuständigen Laves konsequent mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln abstellen.
Auf Grundlage des uns vorlegten Materials und unserer unangekündigten Vor-Ort-Kontrollen am Dienstag, 8. Oktober 2019 (direkt nach der Information über die in den Videos dokumentierten Verstöße gegen den Tierschutz), und am heutigen Dienstag, 15. Oktober 2019, werden wir in enger Abstimmung mit dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, der Staatsanwaltschaft und dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um die notwendigen Maßnahmen unverzüglich einzuleiten, um Missstände zu beheben und Verstöße in Zukunft zu verhindern.
So haben wir, wie auch das Laves, bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Stade Anzeige erstattet wegen Verstößen gegen den Tierschutz – der bei unseren aktuellen Kontrollen festgestellten Haltung von 44 Affen in deutlich zu kleinen Käfigen. Durch diese Haltung wurde den Affen nach Einschätzung des Veterinärdiensts anhaltendes und erhebliches Leid zugefügt. Zudem waren die Affen zum Zeitpunkt unserer aktuellen Kontrolle nicht als Versuchstiere eingesetzt. Sie hätten demnach nach den Regelungen des Tierschutzes und nicht nach den Regelungen für Tierversuche gehalten werden müssen.
Aufgrund der durch die Anzeigen des Laves und des Landkreises Harburg eingeleiteten laufenden Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Stade und den Ermittlungen der zuständigen Behörden zu möglichen weiteren Verstößen, bitten wir um Verständnis, dass wir keine weiteren Angaben zu Einzelheiten machen können. Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass nicht alle veröffentlichen Videos und Bilder, die von der Öffentlichkeit zu Recht als grausam empfunden werden, Rechtsverstöße dokumentieren. Die Herausforderung für die zuständigen Behörden besteht darin, zu prüfen, was im Rahmen der derzeitigen Gesetzgebung zur Durchführung von Tierversuchen und zur Haltung von Tieren für Tierversuche zulässig ist und was nicht."
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.