„Wir brauchen Leute, die sich einmischen“

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Tag der offenen Gesellschaft: Interview mit Mit-Initiator Prof. Dr. Harald Welzer

(os). Mit sogenannten „Tafeln der Freundschaft“ wird am Samstag, 17. Juni, bundesweit der „Tag der offenen Gesellschaft“ begangen. Die Initiative, die von der Diakonie, dem Bundes-Familienministerium und dem Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) ausgeht, will Bürger dafür begeistern, ab 17 Uhr gemeinsam zu tafeln, um ein international sichtbares Zeichen für Gastfreundschaft, Vielfalt und Freiheit zu setzen. Im WOCHENBLATT-Interview nimmt Prof. Dr. Harald Welzer (58) Stellung zum Aktionstag. Er ist Mitbegründer der Initiative Offene Gesellschaft in Berlin, die besonders viele „Tafeln der Freundschaft“ organisiert.
WOCHENBLATT: Herr Welzer, Sie sorgen sich um die offene Gesellschaft. Glauben Sie, dass die Deutschen immer verschlossener werden?
Harald Welzer: Nein. Ich glaube, dass die große Mehrheit in den vergangenen Jahrzehnten immer offener geworden ist. Aber es gibt diverse neue rechte Angriffe auf die offene Gesellschaft und das sollte Anlass zur Besorgnis geben.
WOCHENBLATT: Was genau verstehen Sie unter einer offenen Gesellschaft?
Welzer: Die offene Gesellschaft ist die Form des demokratischen Verfassungsstaates, wie wir ihn haben. Sie muss nicht erfunden werden, denn es gibt sie auf der Basis des Grundgesetzes. Stattdessen geht es darum, sie stärker zu kommunizieren und zu verteidigen gegen falsche Vorstellungen davon, wie eine moderne Gesellschaft aussieht und funktioniert.
WOCHENBLATT: Welche falschen Vorstellungen meinen Sie?
Welzer: Eine offene Gesellschaft ist nicht eine Multikulti-Bunter-Teller-Gesellschaft, die sich keine Rechenschaft darüber ablegt, was ihre gesetzlichen Standards sind. Sie ist aber auch nicht das, was von rechten Gruppierungen als der „Untergang des Abendlandes“ bezeichnet wird. Die offene Gesellschaft ist die Form von europäischer Nachkriegsgesellschaft, die den Menschen Freiheit und dabei enorm hohe Sicherheit garantiert.
WOCHENBLATT: Heißt offen nicht auch weniger sicher?
Welzer: Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man das historisch betrachtet, haben wir nirgendwo mehr Lebenssicherheit für den Einzelnen. Deshalb ist es total falsch, wenn manche Politiker Freiheit gegen Sicherheit ausspielen. Einfaches Beispiel: Sie leben heute in der Türkei sicherlich wesentlich unsicherer als in der Bundesrepublik – einfach deswegen, weil sie dort jederzeit von staatlicher Willkür getroffen werden können. Das ist im Rechtsstaat nicht möglich.
WOCHENBLATT: Wie ernst nehmen Sie das Sicherheitsbedürfnis der Menschen?
Welzer: Das Sicherheitsbedürfnis ist völlig legitim. Wir haben vom internationalen Terrorismus bis hin zu unterschiedlichen Kriminalitätsraten durchaus Aspekte, die verunsichernd wirken. Aber man muss auch daran erinnern, dass es noch nie so sicher war zu leben wie heute. Häufig entsteht durch mediale Effekte eine große Unsicherheit.
WOCHENBLATT: Warum ist eine offene Gesellschaft so wichtig?
Welzer: Weil wir es als Privileg begreifen können, in so einer Gesellschaft zu leben. Hier hat jeder die Freiheit, zu leben, wie er möchte. Jeder kann mitgestalten – verbunden mit der rechtlichen Sicherheit, dass man keiner Willkür unterworfen ist. Zusätzlich leben wir in einer Gesellschaft mit dem höchsten Lebensstandard, den es je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.
WOCHENBLATT: Wie kann man zum Erhalt der offenen Gesellschaft beitragen?
Welzer: Es gibt in diesem Jahr ein erstaunlich erhöhtes Politikinteresse, was sich an der gesteigerten Wahlbeteiligung deutlich macht, aber auch an Initiativen wie unserer – wahrscheinlich auch angestoßen durch das schlechte Beispiel von Donald Trump. Das braucht eine offene Gesellschaft: Ein aktives politisches Gemeinwesen, Leute, die sich einmischen.
WOCHENBLATT: Welche Rolle spielen Medien in einer offenen Gesellschaft?
Welzer: Medien im modernen Sinne gibt es überhaupt nur in einer offenen Gesellschaft, weil nur dort Meinungs- und Pressefreiheit herrschen. Die Rolle von seriösen Medien ist von zentraler Bedeutung, weil man dort geprüfte und umfassende Informationen, Kommentare und Deutungen bekommt.
WOCHENBLATT: Wie können Anzeigenblätter zu einer offenen Gesellschaft beitragen?
Welzer: Für viele Menschen spielen sich die wesentlichen Teile ihres Lebens im sozialen Nahbereich ab. Anzeigenblätter haben die enorm wichtige Funktion, über das zu berichten, was sich vor Ort abspielt, besonders im Bereich lokaler Politik und des ehrenamtlichen Engagements.
• In der Region beteiligt sich u.a. die FDP Tostedt an der Aktion. Am 17. Juni ab 10.30 Uhr lädt die Partei in den Hindenburgpark ein. Dort wimdet sich der stv. FDP-Vorsitzende Harry Kalinowsky dem Thema offene Gesellschaft u.a. über Karl Poppers Werk „Die offenen Gesellschaft und ihre Feinde“ sowie aktuellen Publikationen von Ulrike Guérot, die für ein offenes Europa streitet.

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Redakteur:

Oliver Sander aus Buchholz

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