"Wir haben der Politik viel zugemutet!"

In knapp eineinhalb Monaten sollen die ersten Bewohner
in den Neubau auf der Jordan-Fläche einziehen
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    in den Neubau auf der Jordan-Fläche einziehen
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WOCHENBLATT-Gespräch mit Bürgermeister Röhse zur Flüchtlingsunterkunft auf der Jordan-Fläche

os. Buchholz. Der Bau der neuen Flüchtlingsunterkunft auf der Jordan-Fläche im Herzen der Stadt Buchholz geht auf die Zielgerade. Der Innenausbau ist in vollem Gang. Ende Dezember soll der Neubau aus drei Baukörpern fertiggestellt sein, in dem bis zu 150 anerkannte Flüchtlinge Platz finden sollen. WOCHENBLATT-Redaktionsleiter Oliver Sander sprach mit Buchholz‘ Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse über das Bauprojekt. Wie berichtet, gab es seit Baubeginn Kritik u.a. von Bürgern aus der Nachbarschaft und vom ehemaligen CDU-Ratsherrn Klaus Gütlbauer an der Umsetzung des Bauprojekts, z.B. zur Übernahme des Kanalanschlusses durch die Stadt Buchholz für rund 200.000 Euro.

Wie kam der Kontakt mit Investor Holger Cassens zustande? Cassens und Reiner Kaminski, als Fachbereichsleiter beim Landkreis Harburg für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig, haben sich zufällig kennen gelernt, berichtet Röhse. Gemeinsam habe man die Idee entwickelt, feste Unterkünfte für Flüchtlinge, die bereits ihre Anerkennung haben und in Deutschland bleiben dürfen, zu bauen. „Mit dieser Idee ist der Kreis auf uns zugekommen“, so Röhse. Man habe sich für das Vorhaben begeistert. Die Jordan-Fläche sei im Herbst 2015, als
der Flüchtlingsdruck besonders hoch war, bereits als Areal für Container im Gespräch gewesen. „Das wäre für uns die letzte Option gewesen, feste Bauten sind uns deutlich lieber.“

Gab es Überlegungen, die stadteigene Jordan-Fläche anderweitig zu nutzen? Hintergrund: Die Stadt hatte die Fläche unter Ex-Bürgermeister Norbert Stein gekauft, u.a. um dort einen Erweiterungsbau für das Standesamt und die Stadtbücherei zu schaffen. „Diese Pläne sind ganz tief in unseren Schubladen“, sagt Röhse. „In den vergangenen Jahren waren sie nie ein ernsthaftes Thema.“
Gab es für die Jordan-Fläche andere Angebote, z.B. von der Privatwirtschaft oder von der Sparkasse Harburg-Buxtehude? Hintergrund: Cassens erwarb das 2.253 Quadratmeter große Grundstück für 556 Euro pro Quadratmeter. Beim Kauf im März 2003 hatte die Stadt für das Areal 520 Euro pro Quadratmeter bezahlt. „Nein, es gab keine anderen Angebote“, sagt Bürgermeister Röhse.

Wie werden die Wohnungen vermietet und wer zahlt die Miete an Investor Cassens? „Die ersten Mieter werden auf jeden Fall anerkannte Flüchtlinge sein“, sagt Röhse. Diese müssten nicht zwangsläufig aus Buchholz kommen. Hintergrund: Derzeit leben rund 450 anerkannte Flüchtlinge im Landkreis Harburg noch in Containern. Ende November ist ein Gespräch mit dem Landkreis Harburg anberaumt, in dem die Belegung abgesprochen werden soll. In Buchholz soll das Bündnis für Flüchtlinge Tipps geben, welche Flüchtlinge den dringendsten Bedarf an Wohnraum haben. Der Landkreis mietet die Gebäude von Investor Cassens. Das Geld wird bei anerkannten Flüchtlingen vom Jobcenter überwiesen, bei noch nicht anerkannten Flüchtlingen, die eine gute Bleibeperspektive haben, vom Land Niedersachsen. Der Mietvertrag läuft zunächst fünf Jahre, mit Option auf fünf weitere Jahre für den Landkreis. Über die Höhe der Miete, die aus Steuergeldern bezahlt wird, schweigt der Landkreis Harburg: „Wir brechen keine Vertraulichkeit“, sagt Kreissprecher Johannes Freudewald. Die Wohnungen dürfen frühestens in 30 Jahren in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. „Nach Ende des Mietvertrages mit dem Landkreis haben wir ein Benennungsrecht, wer in die Wohnungen einzieht“, sagt Röhse. Die Stadt hat eine Liste von Menschen, die einen Bedarf an bezahlbaren Sozialwohnungen haben.

Warum übernimmt die Stadt die Kosten für den Kanalbau in Höhe von 200.000 Euro? „Diese Maßnahme war sowieso seitens der Stadt geplant“, sagt Röhse. Jetzt habe man sie umgesetzt. „Das ist kein Geschenk an den Investor“, betont der Bürgermeister.

Warum muss der Investor auf der Jordan-Fläche zu Beginn nur elf von 24 Parkplätzen umsetzen? „Wir haben auf die Umsetzung aller Parkplätze ausnahmsweise verzichtet, weil die Nutzung so speziell ist“, sagt Röhse. Flüchtlinge hätten häufig noch kein Auto. Deshalb habe Cassens zunächst nur elf Parkplätze nachweisen müssen, die anderen 13 seien aber auf dem Grundstück vorhanden und würden bei Bedarf umgesetzt. „Dann entfallen Gemeinschaftsflächen, die wir im ersten Schritt einrichten“, so Röhse.

Fazit des Bürgermeisters: „Ich halte das Bauprojekt für gut und richtig.“ Es sei allerdings zu Beginn holprig abgelaufen: „In der Nachbetrachtung hätten wir uns mit der Umsetzung mehr Zeit lassen sollen. Wir haben der Politik durch das Tempo sehr viel abverlangt. Daraus haben wir gelernt.“

KOMMENTAR

Mauscheln und Mauern statt transparentes Handeln

„Wir hätten uns mit der Umsetzung mehr Zeit lassen sollen“, sagt Bürgermeister Röhse und benennt damit eines der Hauptprobleme der Bebauung der Jordan-Fläche. Es bleibt bis heute der Eindruck, dass das Projekt im Hauruck-Stil durchgezogen wurde, nur weil es einen Investor gab, der die Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge baut. Ob andere Bauherren Interesse an einem ähnlichen Projekt gehabt hätten, haben Röhse und Baudezernentin Doris Grondke gar nicht ermittelt. Nachhaltige Stadtplanung sieht anders aus. Mit mehr Zeit gäbe es auch die offenen Fragen zu dem Bauprojekt nicht.
Röhse betont, dass die Stadt beim Grundstücksverkauf kein Minus gemacht hat. Das ist faktisch richtig. Richtig ist aber auch, dass die Stadt für das Sahnestück in der Buchholzer Innenstadt weit mehr Geld hätte erlösen können. Nach WOCHENBLATT-Informationen lag dem Bürgermeister ein konkretes Angebot über 800 Euro pro Quadratmeter vor. Sich auf die Bodenrichtwertkarte zurückzuziehen, greift für mich zu kurz. Diese richtet sich an den Grundstücksverkäufen in dem betreffenden Gebiet und nicht an dem tatsächlichen Marktwert. Dass die Jordan-Fläche, wie in der Bodenrichtwertkarte verzeichnet, nur 500 Euro pro Quadratmeter wert sein soll, die Grundstücke rund um das nur wenige Meter entfernte Rathaus schon 850 Euro und das Areal am nur wenige hundert Meter entfernten Thomasweg bereits 1.400 Euro - das ist niemandem zu vermitteln. So löblich das Engagement von Holger Cassens beim Bau der Flüchtlingswohnungen ist: Auf lange Sicht macht der Investor mit dem Bauprojekt einen mehr als guten Schnitt, spätestens wenn er die Wohnungen später selbst vermieten oder verkaufen kann - dann tritt wahrscheinlich im Mietzins der wahre Wert der Jordan-Fläche zu Tage.
Bestenfalls dünn ist die Erklärung, dass die Stadt die Kosten für den Kanalanschluss für rund 200.000 Euro selbst trägt. Dass Röhse die nötige Sanierung ausgerechnet in dem Moment durchführen lässt, in dem das Bauprojekt auf der Jordan-Fläche umgesetzt wird, hinterlässt ein Geschmäckle. Wenn man die Kosten für den Kanalbau von der Kaufsumme für die Jordan-Fläche abzieht, bleibt nur ein Quadratmeterpreis von nicht einmal 470 Euro pro Quadratmeter.
Ebenfalls ungewöhnlich ist die Sondergenehmigung durch Röhse und Baudezernentin Grondke, dass Cassens nicht sofort alle Parkplätze nachweisen muss. Röhse begründet das mit der speziellen Nutzung. Aber sind wir mal ehrlich: Die Bundesregierung gibt, etwa in Person von Bundes-Justizminister Heiko Maas, als Ziel aus, mehr Flüchtlinge für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Wenn das gelingt, werden die Bewohner auf der Jordan-Fläche sehr schnell Autos haben, um zu ihren Arbeitsplätzen zu gelangen.
Schließlich erstaunt das merkwürdige Mauern um die Gesamtkosten und den Mietzins durch den Landkreis Harburg und Bürgermeister Röhse. Auf eine konkrete Nachfrage eines Bürgers bei der konstituierenden Sitzung des Buchholzer Stadtrats nach den Kosten für die Stadt Buchholz entgegnete Röhse nur: „Das werde ich Ihnen nicht sagen!“ Was Röhse und der Landkreis vergessen: Die Miete für die 150 Bewohner der Jordan-Fläche bezahlt der Steuerzahler! Da ist Transparenz angebracht! Oliver Sander

Redakteur:

Oliver Sander aus Buchholz

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