"Screening: Jede Frau profitiert"
Seit zehn Jahren im Landkreis: Brustkrebsfrüherkennung per Mammographie / Interview mit Dr. Friedemann Schulz und Dr. Thilo Töllner
nw./os. Buchholz. Alle zwei Jahre werden in Deutschland alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren im Rahmen des Mammographie-Screening-Programms zur Röntgenuntersuchung der Brust eingeladen. So auch im Landkreis Harburg. Die Untersuchungen sind für gesetzlich versicherte Teilnehmerinnen kostenlos. In den Krankenhäusern Buchholz und Winsen ist das Mammographie-Screening-Programm seit zehn Jahren etabliert. Das WOCHENBLATT sprach mit Dr. Friedemann Schulz, Leiter des Brustzentrums an den Krankenhäusern Buchholz und Winsen, und Dr. Thilo Töllner, Radiologe und programmverantwortlicher Arzt im Screening-Programm in der Elbe-Weser-Region.
WOCHENBLATT: Wie wird das Mammographie-Programm im Landkreis angenommen?
Dr. Thilo Töllner: Gut. Rund 63 Prozent der eingeladenen Frauen nehmen teil. Damit liegen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings lässt das Interesse der Anfang 50-Jährigen am Screening-Programm derzeit etwas nach.
WOCHENBLATT: Wie läuft eine Mammographie im Rahmen des Screening-Programms ab?
Dr. Töllner: Im Unterschied zu den Mammographien, die auf Überweisung von Frauenärzten durchgeführt werden, erhalten die Frauen nach der Untersuchung nicht sofort den Befund. Im Screening-Programm muss jede Röntgenaufnahme von zwei speziell ausgebildeten Radiologen unabhängig voneinander befundet werden. Zeigen sich Auffälligkeiten, schaue auch ich mit drauf. Wenn ältere Aufnahmen vorliegen, werden diese mit dem aktuellen Röntgenbild verglichen, um mögliche Abweichungen festzustellen. Gibt es tatsächlich eine Veränderung, wird die Frau zur Abklärung erneut eingeladen. Das betrifft etwa sieben Prozent der Erstteilnehmerinnen sowie drei Prozent der Frauen, die bereits früher im Rahmen des Screening-Programms untersucht wurden und deren Bruststruktur dokumentiert ist.
WOCHENBLATT: Was passiert bei der Abklärungsuntersuchung?
Dr. Töllner: Bei den Abklärungsuntersuchungen werden eventuell weitere Aufnahmen von den auffälligen Bereichen angefertigt und mit Ultraschall untersucht oder eine Gewebeprobe entnommen, um den Verdacht auf eine bösartige Veränderung zu erhärten oder zu entkräften.
WOCHENBLATT: Wie gehen Sie bei Gewebeproben vor? Worauf müssen sich die Frauen einstellen?
Dr. Friedemann Schulz: Die Gewebeproben werden mit einer kleinen Nadel unter örtlicher Betäubung entnommen. Der kleine Eingriff wird meistens gut toleriert. Die Gewebeproben gehen gleich an den Pathologen. Die Frau kann nach kurzer Wartezeit sogar mit dem Auto nach Hause fahren. Den Befund erhält sie einige Tage später bei einem weiteren Termin. Oft stellt sich die Geschwulst als gutartig heraus und muss gar nicht entfernt werden. Hat sich der Verdacht auf einen Tumor bestätigt, kann anhand der Gewebeproben die weitere Behandlung genau geplant werden. Nicht immer wird gleich operiert, vielfach wird auch eine Chemo- oder Hormontherapie vorgeschaltet.
WOCHENBLATT: Wie gehen die Frauen damit um, wenn sie erneut einbestellt werden?
Dr. Töllner: Wir achten im Screening-Programm sehr darauf, dass die Einladungen zu Abkärungsuntersuchungen nie vor einem Wochenende eintreffen und dass zwei bis drei Tage nach der erneuten Einladung auch die Untersuchungen stattfinden können. Dies tun wir, um die Zeit der Unsicherheit so kurz wie möglich zu halten.
Dr. Schulz: Die Ungewissheit ist sicher eine Belastung. Aber wenn die Zusammenhänge genau erklärt werden, sind alle betroffenen Frauen bereit, die notwendigen Zusatzuntersuchungen machen zu lassen. Bei neun von zehn der Frauen, die zur weiteren Untersuchung eingeladen wurden, ist der Befund gutartig, nur bei sechs bis acht von 1000 Frauen, die am Screening-Programm teilnehmen, bestätigt sich der Brustkrebsverdacht.
WOCHENBLATT: Dennoch gibt es Kritik: Das Mammographie-Screening sorge für falsch positive Befunde und Übertherapie.
Dr. Töllner: Das stimmt nicht. Grundsätzlich gilt: Wir diagnostizieren keinen Krebs, den es nicht gibt. Allerdings gibt es spezielle Auffälligkeiten, die sogenannten B3-Läsionen, die zum Zeitpunkt der Entdeckung weder eindeutig gut- noch bösartig sind. Dabei handelt es sich oft um Veränderungen und Verkalkungen in den Milchdrüsen und -gängen. Diese Veränderungen können bei einer Operation in Vollnarkose entfernt werden.
Dr. Schulz: Der Frau bleibt dadurch ein Tumor und seine teils folgenreiche Behandlung erspart. Das ist keine Übertherapie. Unter den 750 Biopsien, die wir bisher in Buchholz und Winsen durchgeführt haben, waren 18 B3-Läsionen. Nach wie vor entdecken wir beim Screening auch ganz kleine Tumore in einem Stadium, in dem sie ohne Bestrahlung, ohne Chemo und ohne große Brustoperation entfernt werden können. Alles, was bleibt, ist ein dünner Strich auf der Haut.
WOCHENBLATT: Gibt es auch belastbares Zahlenmaterial, ob und wie das Mammographie-Screening-Programm die Erkrankungsrate der Teilnehmerinnen beeinflusst?
Dr. Schulz: In Deutschland steigen die Neuerkrankungsraten bei Brustkrebs weiterhin. Dies ist dem westlichen Lebensstil mit reichlicher Ernährung, Bewegungsarmut und wenigen Geburten geschuldet. Und der noch immer verbreiteten Hormongabe bei Wechseljahrsbeschwerden: In den USA, wo Ärzte persönlich haftbar gemacht werden können, werden fast keine Hormone mehr verschrieben und die Brustkrebsrate geht zurück.
Dr. Töllner: Das Mammographie-Screening schützt nicht davor, an einem Brustkrebs zu erkranken. Aber wer regelmäßig zum Screening geht, kann sein Risiko, an einem Brusttumor zu sterben, um bis zu 40 Prozent senken.
Dr. Schulz: Viele Frauen wissen das inzwischen und haben keine Angst mehr, infolge des Krebses ihre Brust zu verlieren oder zu sterben. 70 Prozent aller Patientinnen heutzutage werden geheilt. Bei den Screening-Teilnehmerinnen liegt diese Quote noch deutlich höher.
WOCHENBLATT: Ist die Strahlenbelastung durch die Untersuchung nicht erheblich?
Dr. Töllner: Nein, sie entspricht der Strahlendosis, der jeder Flugpassagier bei einer Atlantiküberquerung ausgesetzt ist. Außerdem ist bei Frauen über 50 das Gewebe der Brust nicht mehr so strahlenempfindlich und die modernen Mammographiegeräte kommen mit einer sehr geringen Strahlendosis aus. Durch das Drücken der Brust bei der Untersuchung brauchen wir noch weniger Strahlen und verbessern das Untersuchungsergebnis.
WOCHENBLATT: Müssen Frauen ihre Brüste überhaupt noch selbst abtasten?
Dr. Schulz: Ich rate allen Frauen dazu, gerade den jüngeren, die noch nicht am Mammographie-Screening-Programm teilnehmen können. So lernen sie ihren Körper besser kennen und können zwischen einer menstruationsbedingten Schwellung und einem echten Knoten unterscheiden. Abtasten allein ist keine ausreichende Früherkennungsmethode. Gerade in dichtem Brustgewebe kann man kleine Knoten meist gar nicht spüren.
WOCHENBLATT: Was ist Ihre Botschaft an die Frauen im Landkreis?
Dr. Schulz, Dr. Töllner: Wir würden uns sehr freuen, wenn alle eingeladenen Frauen am Screening teilnehmen, weil wir sicher wissen, dass jede Frau davon gesundheitlich profitiert. Beim GesundheitsGespräch am Donnerstag, 15. Juni, 19 Uhr, im Krankenhaus Buchholz (Steinbecker Str. 44) berichten Dr. Friedemann Schulz und Dr. Thilo Töllner über das Mammographie-Screening-Programm. Frauen haben die Gelegenheit, Fragen an die beiden Ärzte zu stellen.
GesundheitsGespräch im Krankenhaus
Beim GesundheitsGespräch am Donnerstag, 15. Juni, 19 Uhr, im Krankenhaus Buchholz (Steinbecker Str. 44) berichten Dr. Friedemann Schulz und Dr. Thilo Töllner über das Mammographie-Screening-Programm. Frauen haben die Gelegenheit, Fragen an die beiden Ärzte zu stellen.
Redakteur:Oliver Sander aus Buchholz | |
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