Interview mit Axel Gedaschko
EU-Beschluss zu Haus-Zwangssanierungen erntet scharfe Kritik vom Spitzenverband der Wohnungswirtschaft
Millionen Hausbesitzer blicken voller Zorn und Angst um ihre Existenz nach Brüssel, nachdem das EU-Parlament beschlossen hat, dass viele Immobilien aus Klimaschutzgründen zwangssaniert werden müssen. In Deutschland sollen Wohnhäuser bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse E erreichen. Rund sechs Millionen Häuser müssten für dieses Ziel für oft horrende Summen saniert werden. Das WOCHENBLATT sprach mit Axel Gedaschko (63), in Buchholz lebender ehemaliger Landrat des Landkreises Harburg und seit 2011 Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, über die verheerenden Folgen des EU-Beschlusses für Hauseigentümer und Wohnungswirtschaft.
WOCHENBLATT: Herr Gedaschko, was sagen Sie zum Votum des EU-Parlaments?
Axel Gedaschko: Die Vorschläge des Europaparlaments sind absurd. In gerade einmal neun Jahren müsste fast die Hälfte aller Gebäude in der gesamten EU saniert werden. Dabei herrscht schon jetzt ein massiver Material- und Fachkräftemangel, die Preise rund um das Bauen und Sanieren explodieren, und auch die Zinsen steigen weiter. Die pro Jahr mindestens notwendigen Investitionen von 125 Milliarden Euro wären eine Verdreifachung der bisherigen Summe. Die ganz große und absolut unbeantwortete Frage ist, wer das finanzieren und wo dieses Geld herkommen soll.
WOCHENBLATT: Wen trifft es am härtesten?
Gedaschko: Die sozial orientierten Wohnungsunternehmen, aber insbesondere auch die vielen Einzeleigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern können das finanziell nicht stemmen. Vielen Wohnungsunternehmen würde das Geld ausgehen, weil sie nicht über ausreichend Eigenkapital verfügen und die Zinsen für Kredite steigen. Kurz gesagt: Die Zwangssanierungen kosten unendlich viel Geld, und es ist nicht ansatzweise klar, wie die EU und die Bundesregierung das angemessen unterstützen könnten, um zahllose Besitzer und Mieter nicht völlig zu überfordern. Die Ersparnisse bei den Energierechnungen kompensieren die Sanierungskosten nicht annähernd.
WOCHENBLATT: Wird Ihr Verband gegen diese Entscheidung angehen?
Gedaschko: Wir werden weiterhin alles dafür tun, den Machern von realitätsferner Politik zu verdeutlichen, wie eine machbare und sozial verträgliche Energiewende aussieht. Nämlich technologieoffen, unter Einbeziehung ganzer Wohnquartiere und durch die Nutzung der Maßnahmen mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Verbote und horrend teure Zwangsmaßnahmen mit einseitigem Tunnelblick beispielsweise auf bestimmte Heizungsarten oder wenige kostspielige Gebäudemaßnahmen sind sozialer Sprengstoff und Gift für das Gemeinschaftsprojekt Klimaschutz.
WOCHENBLATT: Hat Ihr Appell an die Bundesbauministerin Klara Geywitz, auf die EU-Entscheidung einzuwirken, schon Wirkung gezeigt?
Gedaschko: Die Bundesbauministerin hat sich bereits sehr kritisch zu den EU-Sanierungszwängen geäußert und Nachbesserungsbedarf angemeldet. Sie hält die Pläne für unverhältnismäßig und daher nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie hat absolut Recht, wenn sie sagt, dass immer vom Machbaren und nicht allein vom Wünschbaren ausgegangen werden muss. Damit liegt es jetzt vor allem an den Mitgliedern des Rates der Europäischen Union und an Minister Habeck, das Ruder noch herumzureißen und für machbaren, finanzierbaren und sozial gerechten Klimaschutz zu sorgen. Wir werden uns als Stimme der sozial orientierten Wohnungswirtschaft weiter dafür einsetzen.
WOCHENBLATT: Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung angekündigt, mindestens 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen zu wollen. Anfang dieses Jahres machte die Bauministerin einen Rückzieher, indem sie erklärte, das hochgesteckte Ziel sei frühestens 2024 zu erreichen.
Gedaschko: Auch diese Prognose ist leider nicht realistisch und wird sich als nicht haltbar erweisen. Schon seit dem vergangenen Frühjahr wurde klar, dass das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen jährlich nicht zu halten sein wird. Denn zu Corona-bedingten Lieferschwierigkeiten von Material kamen Materialmangel und Preisexplosionen infolge des Kriegs gegen die Ukraine hinzu. Fachkräftemangel und Zinsanstieg verschlimmern und verteuern die Situation seither weiter. Doch statt einer wirksamen Strategie hat die Regierung vor allem ein Förderfiasko beim bezahlbaren Wohnungsbau hingelegt. Für die Bauwilligen gibt es weder Planungssicherheit noch eine auch nur annähernd angemessene Förderung zum Erreichen der sehr hochgesteckten Bau- und Klimaziele. Die Situation ist dramatisch.
WOCHENBLATT: Wie viele neue Wohnungen wird es nach Ihrer Einschätzung zeitnah geben?
Gedaschko: Wir rechnen für das abgelaufene Jahr 2022 noch mit etwa 280.000 Wohnungsfertigstellungen, für 2023 mit lediglich rund 240.000 und für 2024 nur noch mit 214.000 neuen Wohnungen. Mittelfristig werden jährlich also eher nur um die 200.000 statt der eigentlich gewollten 400.000 gebaut werden können.
WOCHENBLATT: Wie ist es generell um den Wohnungsmarkt in Deutschland bestellt?
Gedaschko: Der Wohnungsmarkt ist gerade in den beliebten Ballungsregionen seit rund zehn Jahren sehr angespannt, und es ist keine Besserung in Sicht. Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen werden länger und länger. Hauptgrund ist, dass die Politik es auf allen staatlichen Ebenen versäumt hat, alles dafür zu tun, den Bau bezahlbarer Wohnungen mit Nachdruck voranzutreiben. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum wird aber weiter ansteigen, auch weil wir in den kommenden Jahren angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels einen massiven Schub an Zuwanderung brauchen. Und diese Menschen benötigen attraktive Lebensmöglichkeiten. Sonst kommen sie erst gar nicht. Die Welt wartet nicht auf uns. Aber nur mit zusätzlichen qualifizierten Arbeitskräften werden wir unseren starken Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten können. Und damit auch einen Staat, der die vielen sozialen Leistungen finanzieren kann. Ansonsten wird es sehr schwierig für uns im internationalen Wettbewerb.
WOCHENBLATT: Gibt es denn im Bauwesen momentan genügend Arbeitskräfte?
Gedaschko: Gerade auch im gesamten Bausektor brauchen wir viele zusätzliche Arbeitskräfte. Denn neben dem Neubau muss auch der Altbestand angepackt werden, um ihn klimatauglich hinzubekommen. Auch dafür fehlen uns viel zu viele Menschen.
WOCHENBLATT: In welchen Gebieten Deutschlands ist die Wohnungsnot aktuell am größten?
Gedaschko: Sowohl in Nord- als auch in Süddeutschland sind alle Menschen, die eine Wohnung suchen, schwerpunktmäßig in den beliebten Großstädten von der Wohnungsnot betroffen. Insgesamt wurde in den vergangenen Jahren angesichts der hohen Zuwanderung viel zu wenig neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen. Die Baubedingungen waren, auch durch politische Untätigkeit, lange zu schlecht. Jetzt überlagern sich mit dem Krieg gegen die Ukraine, den Folgen der Corona-Pandemie, Preisexplosionen, dem Fachkräftemangel und dem massiven Zinsanstieg mehrere Krisen in einem Ausmaß, dass einfach kein bezahlbarer Wohnungsbau mehr möglich ist. Projekte werden seit rund einem Jahr reihenweise abgesagt und eingestampft. Doch statt zu handeln, schaut die Politik bislang weiterhin tatenlos zu. Und sie beseitigt nicht einmal das selbst verursachte Förderfiasko.
WOCHENBLATT: Welche Personengruppen sind die Leidtragenden?
Gedaschko: Die Leidtragenden sind Familien, Singles und alle, die auf eine neue bezahlbare Wohnung insbesondere in Deutschlands beliebten Städten angewiesen sind. Sie finden schlicht keine Bleibe mehr. Die Politik muss endlich aufwachen und alles dafür tun, dass die soziale Frage unserer Zeit gelöst wird und alle Menschen in Deutschland gut und sicher wohnen können.
WOCHENBLATT: Herr Gedaschko, vielen Dank für das Gespräch.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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