Bei Ausbildung ist Gesellschaft gefordert
Kreishandwerksmeister über Ausbildungslage und Fachkräftemangel
Ohne Handwerker geht gar nichts. Ihre Betriebe prägen als Arbeitgeber die Region und bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. "Gutes Personal ist schwer zu finden", klagen in diesen Zeiten gleichwohl viele Handwerksbetriebe, die dringend sowohl Auszubildende als auch Fachkräfte suchen. Über die Situation der Branche, Auftragslagen und Werbestrategien zur Mitarbeitergewinnung sprach WOCHENBLATT-Redakteur Christoph Ehlermann im Doppelinterview mit den Kreishandwerksmeistern der Landkreise Harburg und Stade, Bernd Hintze und Jörg Klintworth.
WOCHENBLATT: Wie viele Auszubildende gibt es aktuell im Einzugsbereich Ihrer Kreishandwerkerschaften? Mit welcher Tendenz?
Bernd Hintze: Wir haben - wie schon im vergangenen Jahr - insgesamt 1.200 Auszubildende. Die Ausbildungszahlen stellen uns seit Jahren nicht zufrieden und nehmen in den meisten handwerklichen Berufen stetig ab. Der Bedarf an Fachkräften ist riesig! Da perspektivisch viele Gesellen in den Ruhestand gehen, wird die Lücke entsprechend größer und kann nur durch die Ausbildung junger Leute geschlossen werden. Wir müssen aber noch eine andere Lücke schließen.
WOCHENBLATT: Welche?
Hintze: Es kommt erschwerend dazu, dass immer weniger Betriebe bereit sind, auszubilden. Und wir suchen junge Handwerker, die sich zutrauen, eines der vielen alteingesessenen Unternehmen zu übernehmen, wo nach jetzigem Stand die Nachfolge nicht geklärt ist. Wir müssen jungen Leuten Mut machen und ihnen das Vertrauen schenken, einen Betrieb auf ihre Weise in die Zukunft zu führen.
Jörg Klintworth: Derzeit gibt es etwa 1.800 Auszubildende im Gebiet der Kreishandwerkerschaft Stade. Die Tendenz war bis einschließlich 2020 steigend, 2021 leicht sinkend, und 2022 gehen wir wieder von steigenden Zahlen aus. Somit bewegen wir uns auf einem insgesamt guten Niveau. Gut sieht es traditionell in den Bereichen Kfz, Landmaschinen und Elektro aus, schleppend eher bei den Friseuren.
WOCHENBLATT: Inwieweit ist bei den Handwerksbetrieben der Fachkräftemangel zu spüren?
Hintze: Die bestehenden Fachkräfte, die wir vor Jahren ausgebildet haben, gibt es ja grundsätzlich. Womöglich haben wir sie aber nicht ausreichend ausgebildet und mit genug Fachwissen ausgestattet. Die Ausbildung in den Handwerksbetrieben übernehmen vorwiegend die guten, gestandenen Gesellen. Ihnen muss im Arbeitsalltag aber auch die Zeit dazu gegeben werden. Aus meiner Sicht könnte hier in einigen Betrieben – sofern es wirtschaftlich möglich ist – noch nachgebessert werden.
Klintworth: Der Fachkräftemangel ist durch die Bank bei allen Handwerksbetrieben deutlich spürbar- ganz gleich, ob Friseur oder Tischler, Elektroniker oder Maler. Das wird sich noch weiter verschärfen, denn eine ganze Generation der 1960er-Babyboomer wird in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Nachfolger fehlen. Es fehlt dann nicht nur an Man- bzw. Womanpower, sondern auch am Know-how.
WOCHENBLATT: Inwiefern?
Klintworth: Es fehlt an den Daniel Düsentriebs unseres Landes, Erfindern, Entwicklern - an Game-Changern für das Handwerk von morgen, an kreativen Köpfen und mutigen Händen. Um das auszugleichen, müsste deutlich mehr Nachwuchs nachkommen. Auch wenn die Zahlen noch recht positiv sind, geht die Schere zu weit auseinander. Die Herausforderungen, die sich aus den letzten Jahren zusätzlich ergeben haben, werden mit dem Mangel an deutschen Fachkräften nicht umsetzbar sein - weder für die deutsche Infrastruktur, noch für die Energiewende. Ein Anwerben aus dem Ausland ist auch für uns von großer Bedeutung.
WOCHENBLATT: Wie ist die momentane Auftragslage in den Unternehmen?
Hintze: Die Auftragsbücher waren vor und während der Pandemie voll und sind aktuell voll. Ob dieser Trend sich weiterhin fortsetzt, ist aufgrund der Material- und Energiekosten schwer einzuschätzen. Zumindest im Bereich der Energieeinsparung wird es reichlich Aufgaben geben.
WOCHENBLATT: Inwieweit grätscht Materialmangel infolge des Ukraine-Krieges ins Geschäft?
Hintze: Unter anderen ist auch die sibirische Lärche ein Fensterholz und viele Sperrhölzer wie z.B. Birke Multiplex für Möbel in den Kindergärten, was als Material derzeit fast komplett wegfällt. Metalle und Glas sind in der Herstellung stark von Energie abhängig und daher teuer. Selbst Chemieprodukte wie Farben, Dicht- und Dämmstoffe sind in den Lägern nicht so vorhanden, wie wir es gewohnt waren.
Klintworth: Die Auftragslage ist bei uns in allen Branchen gut bis sehr gut. Es fehlt in erster Linie an Mitarbeitern. Material ist verfügbar, in Teilen aber mit langen Lieferzeiten oder zu immer noch hohen Preisen verbunden. Die Inflation und die gestiegenen Energiepreise treffen natürlich auch die Betriebe direkt. Auch das müssen sie über kurz oder lang an den Kunden weitergeben.
WOCHENBLATT: Welche Betriebe trifft es besonders hart?
Klintworth: Besonders die Betriebe, die für die Produktion einen hohen Energieverbrauch haben - wie beispielsweise Bäcker -, haben enorm zu kämpfen. Werden die Produktpreise dadurch weiter anziehen, ist zu Recht zu fragen, wer sich das als Endkunde noch leisten kann. Die hohen Energiepreise treffen aber auch Betriebe mit hohen Ausgaben für Kraftstoffe, etwa für den Fuhrpark. Aber reden wir weniger von Brot und lieber davon, dass fast alle Handwerke unersetzbar sind - Wohnungsbau, Straßennetz, Elektrik, Beförderung durch KFZ oder ÖPNV, Heizung, Klima. Wie sollen wir die Energiewende wuppen, wenn wir heute davor stehen, schon das Minimum kaum abdecken zu können?
WOCHENBLATT: Auf welche Werbestrategien setzen Sie zur Gewinnung neuer Auszubildender und Fachkräfte?
Hintze: Wir haben kürzlich eine Kooperationsvereinbarung mit Landkreis, Kreishandwerkerschaft, Berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen, Arbeitsagenturen, Handwerkskammer sowie Industrie- und Handelskammer geschlossen. Zudem haben wir uns unter anderem auf dem jüngsten Zeltlager der Kreis-Jugendfeuerwehren mit knapp 1.500 Teilnehmern präsentiert. Wir hoffen, dass wir auch da junge Leute fürs Handwerk begeistern können. Von den Schulen aus sollten die Heranwachsenden bei Praktika in möglichst viele Berufe hineinschnuppern können. Wir alle müssen jungen Leuten die Chance bieten, sich vielfältig auszuprobieren. Auch in den sozialen Medien sind wir vertreten, was sich noch mehr herumsprechen muss. Die gesamte Gesellschaft ist gefordert.
Klintworth: Innungen, Landes- und Bundesverbände der Gewerke sind durchweg auf allen bekannten Plattformen vertreten. "Das Handwerk", als Werbeinstrument des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), investiert Millionen in Imagekampagnen, die die Stärke, Vielfalt und Zukunftschancen des Handwerks präsentieren.
WOCHENBLATT: Und was geschieht auf regionaler Ebene?
Klintworth: Wir als Kreishandwerkerschaft Stade und auch einzelne Betriebe unserer Innungen nutzen Facebook, Instagram, Podcasts, eigene und aktuelle Webseiten, Messen, gehen direkt als Botschafter in die Schulen, laden in Betriebe ein, bieten Schnupperpraktika und Ferienaktionen an. Wir bringen die jungen Handwerker unseres Bezirks mit ihren Geschichten und Gesichtern auf Instagram und Facebook, übertragen Veranstaltungen live oder produzieren Videos mit unseren Innungsbetrieben. Wir richten jährlich unser Handwerksforum aus, um die jungen Absolventen nochmals besonders zu ehren für ihre Leistungen in Gesellen- und Meisterprüfungen. Auf dem Forum bekommen sie seit drei Jahren den Stader Handwerkspreis überreicht, der auch sinnbildlich für ihren Stolz und ihre Leistungen stehen soll.
Wir setzen auf unsere regionalen Gesichter und deren bunte Geschichten, die hoffentlich als Vorbild dienen und andere motivieren, ins Handwerk zu starten oder im ersten Schritt sich einfach zutrauen, es auszuprobieren - auch Quereinsteiger jeden Alters. Diversität ist uns hier besonders wichtig, damit sich genau das bunte Bild zeigt, das Handwerk wirklich malt: Hier zählt der Mensch und sein Engagement.
Für das Marketing haben wir zudem seit zwei Jahren eine Stelle in unserer Organisation geschaffen. Diese Mitarbeiterin bedient unsere Kanäle, steht auch den Innungsbetrieben beratend zur Seite und ist Schaltstelle zwischen Verbänden, Handwerkskammern und Presse.
WOCHENBLATT: Herr Klintworth, Herr Hintze, vielen Dank für das Gespräch.
Redakteur:Christoph Ehlermann aus Salzhausen |
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