Das geheimste Schulbuch Niedersachsens
Ministerlob für ein Buch zur beruflichen Orientierung für Abiturienten, das es nirgendwo zu kaufen gibt
tk. Landkreis. Wer Abitur macht, muss nicht zwangsläufig studieren. Dass auch die duale Ausbildung gute Zukunftsperspektiven bietet, wiederholen - angesichts des Fachkräftemangels fast schon gebetsmühlenartig - Wirtschaftsverbände und Mittelstandsvereinigungen. Gut, dass es ein brandneues Schulbuch gibt, das die berufliche Orientierung von angehenden Abiturienten verbessern soll. Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) stellte es vor und sagte: "Ich betone ausdrücklich, dass die duale Ausbildung auch für Abiturientinnen und Abiturienten eine attraktive Option ist." Kleiner Haken an der Sache: Dieses Buch gibt es nirgendwo zu kaufen.
Ein Lehrer aus dem Landkreis Stade stieß in den offiziellen Mitteilungen aus dem Kultusministerium auf dieses neue Schulbuch. "Mit dem neuen Materialband erhalten Lehrkräfte an Gymnasien, Gesamtschulen und Beruflichen Gymnasien Tipps und Anregungen für berufsorientierenden Unterricht." "Gute Sache, das kaufe ich mir für meine Unterrichtsvorbereitung", sagte sich der Pädagoge - und fand keine einzige Bezugsquelle. Kurios: Selbst beim Versandriesen Amazon ist das Werk gelistet, hat aber den Hinweis: "derzeit nicht verfügbar".
Ein Problem nicht nur für Niedersachsens Lehrer. Das Buch, das von einigen Bundesländern gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit in Auftrag gegeben und von der "Stiftung der deutschen Wirtschaft" (sdw) verfasst wurde, ist zwar republikweit mit Presseerklärungen angekündigt worden, bleibt aber das vermutlich geheimste Schulbuch des Landes.
Die Recherche des Lehrers förderte noch Folgendes zu Tage: Die Buch soll in gesonderten Veranstaltungen der Bundesagentur für Arbeit den Lehrern vorgestellt und dabei übergeben werden.
Nachfrage in Stade bei der Agentur für Arbeit: Infoveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler - auch an Gymnasien - gehören zu den regelmäßigen Aufgaben. Infoveranstaltungen für Lehrer bislang aber nicht. Das so etwas geplant sei, ist zumindest vor Ort noch nicht angekommen. Und wäre auch nicht so einfach umzusetzen.
Denn: Die Beratung von Lehrern gehöre nicht zu den Kernaufgaben der Arbeitsagentur. Sollte das geplant sein, müsse das als neue Aufgabe für die Arbeitsagentur definiert werden. Und zwar in jedem Bundesland, denn Bildungspolitik ist Ländersache. Es wäre daher vielleicht einfacher, einen Satz von zehn Büchern an jedes Gymnasium zu schicken.
Ob das niedersächsische Kultusministerium doch noch eine Bezugsquelle kennt, ist nicht bekannt. Eine am Dienstag schriftliche per Mail gestellte Anfrage wurde bis Redaktionsschluss am Donnerstag nicht beantwortet.
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