Buxtehuderin sauer auf Medizinischen Dienst
Einstufung für Pflegegrad: Es geht um Menschen nicht um Akten
Dieser Satz macht Thoren Björkholm wütend: "Die vorliegenden Informationen ermöglichen eine Stellungnahme nach Aktenlage." Dieser Satz steht in einem Pflegegutachten vom Medizinischen Dienst (MD) Niedersachsen Bremen. Die Buxtehuderin hatte im Namen ihrer Mutter (83) einen Antrag auf Höhereinstufung beim Pflegegrad beantragt. Sie hatte bei der Antragstellung betont, dass ein Termin vor Ort mit ihrer Mutter wichtig sei. Nur dann könne ein Gutachten den rapiden Verfall dokumentieren. Stattdessen wurde am Schreibtisch entschieden. Von Pflegegrad eins auf Pflegegrad zwei. Das war im Januar. Mittlerweile lebt Thoren Björkholms Mutter als Pflegefall in einem Buxtehuder Seniorenheim.
"So geht man nicht mit Menschen um", sagt die WOCHENBLATT-Leserin. Seit November 2022 habe sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter kontinuierlich verschlechtert. "Sie hat nicht mehr gegessen und getrunken." Haushalt, Einkäufe und Putzen - all das hat die Tochter übernommen. Immer freitags war Thoren Björkholm bei ihrer Mutter in Neu Wulmstorf. Wäre sie nicht vor Kurzem außer der Reihe an einem Dienstag gekommen - "meine Mutter wäre wahrscheinlich schon tot", sagt die Buxtehuderin. Dehydriert sei sie gewesen. Die alte Dame kam ins Krankenhaus und von dort in die Vollzeitpflege.
Im Vorfeld hatte Thoren Björkholm bei der Pflegekasse ihrer Mutter den Antrag auf einen höheren Pflegegrad gestellt. Auch die Pflegekasse ging davon aus, dass für das Gutachten ein Termin vor Ort notwendig sei. Das geht aus einem Brief hervor, der dem WOCHENBLATT vorliegt. "Ein Pflegegutachter des MD wird sich bei Ihnen melden, um einen Termin zu vereinbaren." Das war Mitte Januar.
Arztberichte waren zwei Jahre alt
Am 25. Januar traf das Gutachten des MD bei Thoren Björkholm ein. Von Grad eins sollte es auf Grad zwei bei der Pflegestufe gehen. Angesichts des Gesamtzustands der Seniorin eine krasse Fehleinschätzung,findet die Buxtehuderin.
Sie fragt beim MD persönlich nach: Die Entscheidung nach Aktenlage sei vertretbar gewesen, weil Arztberichte vorliegen, erinnert sie Thoren Björkholm an die Begründung. Das brachte für sie das Fass zum Überlaufen: "Diese Berichte sind zwei bis drei Jahre alt. Sie haben nichts mit dem aktuellen Zustand meiner Mutter zu tun." Inzwischen, so die Tochter, habe ihre Mutter auch geistig stark abgebaut. "Als sie im Krankenhaus lag, wollte sie plötzlich aufstehen, um zur Schule zu gehen."
"Das war kein Einzelfall"
Die WOCHENBLATT-Leserin geht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit, weil sie überzeugt ist, dass ihre Erlebnisse mit dem MD kein Einzelfall sind. Thoren Björkholm hat die Sachbearbeiterin beim MD angezeigt. Erfolg werde das wohl kaum haben, doch ihr geht es ums Prinzip: "Das System muss sich ändern. Der betroffene Mensch und nicht eine Akte muss Grundlage für eine Entscheidung sein."
Medizinischer Dienst entschuldigt sich
(tk). Kurz vor Redaktionschluss meldet sich Thoren Björkholm noch einmal beim WOCHENBLATT: Am Mittwoch hat ein leitender Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes (MD) bei ihr angerufen und sich für das Ergebnis der Pflegegrad-Eingruppierung bei ihr entschuldigt. Der MD, so habe er erklärt, entscheide mitunter nach Aktenlage, um schnell zu Ergebnissen zu kommen, weil er eine Flut von Anträgen bewältigen müsse. Der MD-Mitarbeiter kündigte zudem an, dass er sich mit dem Pflegeheim in Verbindung setzen wolle und Thoren Björkholms Mutter sehr schnell auf Pflegegrad vier oder fünf hochgestuft werde.
Ein Sprecher des MD, bei dem die Redaktion angefragt hatte, erklärt, dass der Fall aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht im Detail erklärt werden könne. Die Entscheidungen nach Aktenlage begründet er ebenfalls mit dem Tempo, das notwendig sei, um Anträge schnell abzuarbeiten. Wenn es Nachfragen oder Widersprüche gebe, nehme der MD das zum Anlass, den konkreten Fall erneut zu überprüfen.
Grundsätzlich könne der Wunsch nach persönlicher Begutachtung an den Medizinischen Dienst übermittelt werden. Dies werde im System vermerkt und bei der Planung der Gutachten nach Möglichkeit berücksichtigt, so der Sprecher.
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