Elternlose Flüchtlinge: Eine neue Heimat in Stade
bc. Stade. Unbegleitete minderjährige Asylbewerber (UMA) haben einen schlechten Ruf. Warum eigentlich? Steigt man tiefer in die Materie ein, muss man zu einer anderen Ansicht gelangen.
Das WOCHENBLATT traf sich mit dem Jugendhilfe-Anbieter „B+S Soziale Dienste“ in deren 700 Quadratmeter großen Zentrale in Stade-Ottenbeck. „B+S“ kümmert sich im Auftrag der Kreisverwaltung um elternlose Jugendliche. Von den etwas mehr als 130 minderjährigen Flüchtlingen, die derzeit im Landkreis Stade leben, betreut „B+S“ rund 110.
Betreuen bedeutet dabei nicht nur unterbringen. Vor allem bei der Integration leisten die 70 „B+S“-Mitarbeiter im Landkreis - überwiegend Pädagogen und Kulturmittler - wertvolle Arbeit. „Wir sind mit der Integration unserer Flüchtlinge sehr zufrieden“, sagt Sebastian Beck, einer der „B+S“-Geschäftsführer.
Nach wie vor dient die Sporthalle der Fröbelschule in Stade-Campe als Notunterkunft. Von den dort 64 Plätzen für männliche Minderjährige sind 57 belegt, außerdem leben vier Mädchen in der Halle in einem extra Bereich. Die meisten Jugendlichen sind 16 oder 17 Jahre alt. Sie leben in der Halle in Doppelzimmern, die voneinander mit Leichtbauwänden getrennt, ca. 16 Quadratmeter groß und nach oben mit einem Netz gesichert sind.
„B+S“ verfügt in Stade über eine sogenannte Clearingstation, in der unbegleitete Flüchtlinge nach ihrer Ankunft von Psychologen aufgenommen werden, um ihnen eine erste Orientierung im neuen kulturellen Umfeld zu verschaffen. Nach der großen Welle Ende 2015 und Anfang 2016 kommen mittlerweile nur noch wenige neue UMA nach Stade.
Dass die Einbindung ins neue Umfeld von Erfolg gekrönt ist, zeigt nicht nur die funktionierende Nachbarschaft mit den Anwohnern der Fröbelschule. Ein guter Indikator ist auch die Tatsache, dass mittlerweile 40 Jungs und alle vier Mädchen aus der Halle eine Regelschule besuchen.
Genauso ist es bei den 28 jugendlichen Flüchtlingen, die in betreuten Wohngemeinschaften leben und bei den 13 UMA, die anderweitig untergekommen sind und im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft betreut werden. Einige wenige haben auch eine Lehre begonnen, z. B. als Bäcker. Der Rest wird in Sprachförderklassen auf die nächsten Schritte vorbereitet.
Normalerweise entspringen all diese Jugendliche mit 18 Jahren dem UMA-Status. Sofern aber Bedarf der Jugendhilfe erkannt wird, kann die Begleitung auch bis zum 21. Lebensjahr andauern.
In der Fröbelhalle sind rund um die Uhr „B+S“-Pädagogen und Kulturmittler präsent - tagsüber mehr als zehn Betreuer. Sie gestalten zusammen mit den Jugendlichen ihre Freizeit, Ausflüge werden gemeinsam organisiert, Fahrradtouren unternommen. Es gibt diverse Kooperationen mit Sportvereinen. Beck: „Es ist ein Füreinander, keiner gefährdet den anderen. Jugendliche finden hier Geborgenheit. Für einige ist Stade zur neuen Heimat geworden.“ Manch einer, der Stade zunächst den Rücken gekehrt habe, sei sogar zurückgekommen.
Gibt es denn überhaupt keine Probleme? „Doch, die gibt es“, so Beck. Es sei zu Taschendiebstählen und anderen Diebstahldelikten gekommen, die zusammengerechnet jedoch an einer Hand abgezählt werden können. Probleme sollten keinesfalls unter den Tisch gekehrt werden. Ziel ist es, eine größtmögliche Transparenz herzustellen.
Die aktuelle Diskussion ist bekannt. Menschen in Dornbusch und Kutenholz machen sich Sorgen angesichts der Planungen von „B+S“, UMA in diesen Dörfern unterzubringen. Der Ball liege derzeit in den Gemeinden, so Firmengründer Thomas Betzin. Die Unterkünfte müssten gewollt sein. In Buxtehude seien die Planungen für eine UMA-Unterkunft letztlich an überhöhten Preisforderungen gescheitert.
Bei der Suche nach Grundstücken oder leerstehenden Gebäuden drängt die Zeit. Ende April 2018 läuft die Betriebserlaubnis für die Fröbelhalle aus. Dann müssen alle UMA woanders untergebracht sein. Eine Verlängerung ist ausgeschlossen.
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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