Gebürtige Buxtehuderin hat ein Problem
Erst Syrerin werden, um dann Deutsche zu sein
tk. Buxtehude. Eine in Buxtehude geborene junge Frau (18) muss erst mit einem Pass nachweisen, dass sie von der familiären Abstammung Syrerin ist, bevor sie offiziell Deutsche werden kann und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vor der Einbürgerung bekommt. Was sich wie ein Stück aus dem bürokratischen Tollhaus anhört, ist Pass- und Staatenrecht und für Nermin ein Problem. "Deutschland ist meine Heimat", sagt sie. "Woanders habe ich noch nie gelebt." Ihre fünf Brüder sind alle eingebürgert, Nermin noch nicht.
"Für mich sind deutsche Behörden die Ansprechpartner und nicht die syrische Botschaft in Berlin", sagt die junge Frau. Nermin strebt ihren erweiterten Realschulabschluss an und will anschließend ihr Fachabitur in Stade machen oder eine Ausbildung im Gesundheitswesen starten. Und sie will endlich Deutsche werden und vorher die unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Dazu, so das Ausländeramt in Stade, müsse sie zur syrischen Botschaft nach Berlin reisen und dort einen syrischen Pass beantragen. Etwas, das Nermin und ihr Bruder Mohamed bei einer gebürtigen Buxtehuderin überflüssig finden. Zumal aufgrund ihrer Geburtsurkunde aus Buxtehude und der feststehenden Herkunft ihrer Eltern doch alle entscheidenden Fakten bekannt seien.
Hinzu kommt: "In Zeiten von Corona soll meine Schwester nicht in die Botschaft fahren", so ihr Bruder. Nermin gehört mit Asthma bronchiale zu einer Risikogruppe, die sich keinesfalls mit COVID-19 infizieren sollte. In der Botschaft, so habe die Familie gehört, werden die Corona-Schutzmaßnahmen nicht so ernst genommen wie im Stader Kreishaus.
Das WOCHENBLATT hat beim Landkreis nachgefragt. Die ernüchternde Antwort: Um den Trip nach Berlin wird Nermin nicht herumkommen. Sie hat die Behörde von der Schweigepflicht entbunden, so dass Dezernentin Nicole Streitz detailliert antworten kann. Das Grundproblem in diesem Fall: Als Nermins Eltern einen Asylantrag gestellt haben, wurden die Brüder, aber nicht die Tochter einbezogen. Damit gilt die gebürtige Buxtehuderin als staatenlos. "An ihren Angaben haben wir aber keine Zweifel", sagt Nicole Streitz. Hier greife auch nicht das Ausländer-, sondern Pass- und Staatenrecht. Vor einer Einbürgerung - oder unbefristeten Aufenthaltserlaubnis - müsse jeder und jede die Passpflicht erfüllen.
Ausnahmen gebe es nur wenige. Etwa dann, wenn jungen Männern in ihrem Heimatstaat der Militärdienst droht. Im Fall von Nermin greife keine. In Deutschland, so die Dezernentin, gelte das Abstammungsprinzip. Nur mit einem Nachweis darüber, etwa einem Pass, könne ein Einbürgerungsverfahren beantragt werden. Die immerhin gute Nachricht: Nach fester Überzeugung von Nicole Streitz wäre das in Stade dann folgende Verfahren ein "Selbstläufer".
Kommentar: Ein Fehler im System
Alles richtig, getreu den Buchstaben des Gesetzes, im Fall von Nermin. Staatsrecht, Passpflicht - so muss das sein. So kann man diesen Fall betrachten - oder auch anders und durchaus zu der Schlussfolgerung kommen, dass es einen Fehler im System gibt. Für mich ist die Buxtehuderin eine junge Frau aus Deutschland. Übrigens eine, die das Land dringend braucht. Uns fehlen viele junge Fachkräfte.
Geburt, Herkunft der Eltern und Geschwister - alles ist mit bürokratischer Gründlichkeit bereits dokumentiert und erfasst. Dass eine junge Frau erst auf dem Papier zur offiziellen Syrerin werden muss, um anschließend problemlos Deutsche zu werden, finde ich gelinde gesagt befremdlich.
Hier müsste der Staat Regelungen schaffen, die eine Einbürgerung mit einem Automatismus versehen. Wer hier geboren wurde, wer hier integriert ist und in Deutschland seine Zukunft sieht, sollte zum 18. Geburtstag ohne Umwege und Antrag ein Angebot der Einbürgerung bekommen. Das wäre aus staatlichem Egoismus heraus - Stichworte demografischer Wandel und fehlende Fachkräfte - wichtiger als pass- und staatsrechtliche Grundsatzfragen.
Tom Kreib
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