Das WOCHENBLATT fragt seine Leser und die Stadt
Ist das Märchen von Has' und Igel rassistisch?
tk/sv. Buxtehude. Sie sind die prominentesten Buxtehuder: Hase und Igel. Die beiden Fabelgesellen stehen als lebensgroße Figuren aus Plastik vor vielen Geschäften der Hansestadt. Und die Buxtehuder Heide, wo der Hase nach dem Wettlauf mit dem Igel jämmerlich krepierte, hat den Stadtnamen weltweit bekannt gemacht. Also ein Supermarketing ohne finanzielles Engagement - dank der Brüder Grimm, die diese Geschichte 1843 in ihre "Kinder- und Hausmärchen" aufgenommen haben.
Wenn da im Jahr 2022 nicht ein echter Stolperstein wäre: Das Ende der Geschichte lässt sich - auch ohne bösen Willen - als rassistisch interpretieren. Eine Beziehung bitte nur mit Partner gleicher Herkunft und gleichen Aussehens. Eine Moral von der Geschichte, die heutzutage Fragen aufwirft.
Mit diesen Sätzen endet das Märchen: "Zweitens, es ist gut, wenn einer heiraten will, dass er sich eine Frau von gleicher Herkunft wählt und die genauso aussieht wie er selber. Wer also ein Igel ist, muss sehen, dass seine Frau auch ein Igel ist." Mit den beiden Fabeltieren ist es angesichts der Debatte um gerechte Sprache ohne Ausgrenzung so wie mit Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf, wo das "N-Wort" vorkommt. Das WOCHENBLATT stellt die Frage: Akzeptieren, umschreiben oder erklären? "Das geht gar nicht", sagen zwei WOCHENBLATT-Leserinnen, beide Mitte 20, die das Märchen zufällig in die Hand bekamen. Und zwar als Teil der Neubürgertüte, die jeder nach seiner Anmeldung im Stadthaus erhält. Wer Hase und Igel googelt, findet mit vorderer Platzierung auch die Geschichte als PDF-Download auf der Stadthomepage. Bislang im Original und ohne erklärende Einordnung.
Ob das so bleibt? Das sagt die Stadt: "Wir sind dankbar, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein. Die Fachgruppe 41, die für die Zusammenstellung des Stadtguides zuständig ist, wird darüber beraten, ob die Fabel mit einem entsprechenden Hinweis versehen wird oder ob die Textpassage ganz gestrichen werden sollte", sagt Stadtsprecher Thomas Bücher. Jedenfalls soll die Fabel bald auf der Stadt-Homepage und in der nächsten Ausgabe des Stadtführers entsprechend geändert erscheinen.
Ach ja, wenn über Inhalte diskutiert wird, könnte auch folgender Satz auf die Liste der Überprüfung stehen: "Halt den Mund, Weib", sagt der Igel zu seiner Frau, als sie sein Rennvorhaben gegen den Hasen kritisiert. #MeToo geht anders.
Jetzt sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, gefragt. Sollte das Märchen von Hase und Igel mit einem Hinweis versehen, gekürzt oder gar nicht verändert werden? Nehmen Sie an der WOCHENBLATT-Umfrage teil. Entweder über den QR-Code oder auf www.kreiszeitung-wochenblatt.de, Stichwort Märchen-Umfrage. Gerne können Sie uns auch einen Leserbrief an red-bux@kreiszeitung.net schreiben!
Im Ursprung auf Plattdeutsch
Fabeln, die von einem Wettlauf zwischen langsamen und schnellen Tieren erzählen, gibt es seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt. Die Version der Brüder Grimm geht vermutlich auf Wilhelm Schröder zurück, der das Märchen 1840 als plattdeutsches Volksmärchen in einer Sammlung veröffentlicht hatte.
Die Moral von der Geschicht' ist durchaus eine moderne: Hochmut, Arroganz und vermeintliche Überlegenheit gehen nach hinten los. Der pfeilschnelle Hase scheitert am cleveren Igel und seiner Frau.
Disney: Hinweis
auf Diskriminierung
So gut wie alle Märchen, Filme und Geschichten enthalten aus heutiger Sicht diskriminierende Elemente. Dass das kein Grund ist, eine Geschichte ganz zu streichen, zeigt Disney auf seiner Streaming-Plattform: Vor Filmen wie Dumbo, Peter Pan und dem Dschungelbuch wird ein Warnhinweis eingeblendet: "Dieses Programm enthält negative Darstellungen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen."
Kommentar: Dieses Märchen darf
nicht unkommentiert bleiben
Zunächst einmal: Märchen sollten weiter märchenhaft bleiben, das ist gar keine Frage. Dennoch, in so gut wie allen Märchen werden Frauen, andere Kulturen und soziale Minderheiten diskriminierend dargestellt. Dass es einer historischen Einordnung bedarf, hat selbst Disney erkannt. In dieser Zeit die zweite Lehre bei "Hase und Igel" so viele Jahre unkommentiert stehen zu lassen und das in einer Stadt, die einen Teil ihrer Marketingstrategie auf diesem Märchen aufgebaut hat und eine Willkommenstüte samt Fabel sogar an alle Neubürger schickt, ist eine gesellschaftliche Verfehlung.
Und darum ist es gut, dass die Stadt Buxtehude das Märchen einordnen will, ohne großes Aufheben zu machen. Die einfache Nachfrage des WOCHENBLATT genügte in diesem Fall. So macht man es richtig.
Svenja Adamski
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