Beratungszentrum Stade: Widersprüche und Klagen
Medizinischer Dienst: SoVD übt Kritik an Gutachten
Es ist erst einige Wochen her, dass Thoren Björkholm im WOCHENBLATT den Medizinischen Dienst (MD) kritisiert hatte. Nur aufgrund von Akten, die zudem noch veraltet waren, wurde die Pflegestufe für ihre Mutter vom MD ermittelt. Die falsche Einordnung wurde inzwischen revidiert - am Grundsatzproblem hat sich aber nichts geändert. Für die Buxtehuder WOCHENBLATT-Leserin steht fest: "Es muss noch andere geben, die von falschen Entscheidungen betroffen sind."
Damit liegt sie richtig. Denn: Der Sozialverband Niedersachsen (SoVD) kritisiert die Pflegebegutachtung durch den MD. Es würden zu viele Fehler passieren, die Situation von Pflegebedürftigen würde zu oft falsch eingeschätzt, es fehle an Zeit bei Hausbesuchen der Betroffenen, fasst der SoVD die Kritik zusammen.
Die Buxtehuder SoVD-Vorsitzende Uschi Reinke kann die grundsätzliche Kritik am MD durch ihre ehrenamtliche Arbeit beim Sozialverband nachvollziehen. "Vor drei Minuten hatte ich einen Anruf, weil der MD eine Kur abgelehnt hat." Das werde wohl ein Fall fürs SoVD-Beratungszentrum Stade werden. Widersprüche und mitunter auch Klagen seien dann der Weg, den der SoVD vorschlage. "Wir haben viel zu tun", so Uschi Reinke.
Zahlen der SoVD-Beratungsstelle in Stade: Im Jahr 2022 wurden im Bereich Pflegeversicherung elf Widersprüche und elf Klagen geführt, in diesem Jahr sind es bislang vier Widersprüche und eine Klage. Die Mitglieder entscheiden sich im Rahmen der Beratung häufig dafür, einen neuen Antrag zu stellen, anstatt Klage zu erheben. Der Grund: Klageverfahren dauern in der Regel mehrere Jahre.
Die Buxtehuder SoVD-Vorsitzende bestätigt auch, was die WOCHENBLATT-Leserin kritisiert hatte: Zu oft werde nach Aktenlage entschieden.
Theoretisch ist das System gut
Grundsätzlich, sagt Uschi Reinke, sei das System gut. Eine neutrale Stelle, die weder für noch gegen etwas ist, überprüfe Anträge und Ansprüche. Warum das nicht immer funktioniert, kann sie durch eigenes Erleben erklären. "Vieles ist eine Frage der persönlichen Einschätzung", sagt sie. Die SoVD-Vorsitzende hat eine Sehbehinderung. Auch bei ihr war der MD zu Hause. Die Gutachterin vom MD habe selbst eine Sehbeeinträchtigung gehabt und sich daher sehr gut in ihre Probleme hineinversetzen können. Dass sie etwa nicht die Treppen nutzen könne und sich dabei nur am Geländer festhalte. "Jemand anders hätte vielleicht genau das als Vorschlag gemacht." Es gehe also zu oft um die Frage einer persönlichen Einschätzung, so Reinke.
Übrigens: Bei Thoren Björkholms Mutter hatte der MD seinen Fehler nach der WOCHENBLATT-Recherche schnell und unbürokratisch korrigiert. Statt Pflegegrad zwei hat die alte Dame nun vier.
Die grundsätzliche Kritik vom SoVD Niedersachsen an der Begutachtungspraxis weist der MD zudem zurück: Von 350.000 Gutachten im Jahr 2022 sei nur in 5,5 Prozent der Fälle ein zweites Gutachten erforderlich gewesen, so der MD gegenüber NDR Info.
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