Reinhold Messner: „Ich bin kein Religionsstifter“
bc. Stade. Das Unmögliche möglich machen: So wurde Reinhold Messner (71) zu einem der bekanntesten Bergsteiger und Abenteurer der Welt. Das WOCHENBLATT interviewte den Südtiroler vor seinem Auftritt in Stade.
WOCHENBLATT: Herr Messner, Ihr Vortrag wird mit den Worten beworben: vom Südtiroler Bergbuben zum größten Abenteurer unserer Zeit.
Reinhold Messner: Das würde ich selber nie behaupten. Das überlasse ich den Veranstaltern. Aber natürlich habe ich einen hohen Bekanntheitsgrad.
WOCHENBLATT: Werden Sie nicht müde, das x-te Mal von ihrer Besteigung des Mount Everest zu erzählen? Als erster Mensch ohne Sauerstoffgerät.
Messner: In meinem Vortrag geht es ja um viel mehr. Ich erzähle nicht davon, wie viele Tage ich unterwegs war – das interessiert niemanden. Es geht mir unter anderem um die Frage, wann ist ein Leben gelungen. Wobei ich sage, dass es nur ein gelingendes Leben im Hier und Jetzt gibt.
WOCHENBLATT: Welche Erkenntnisse für das Leben zieht man aus einem Leben wie Ihrem?
Messner: Ich trete nicht als Religionsstifter auf die Bühne, der sagt, er weiß wie es geht. Ich versuche nur, meine Geschichten zu erzählen. Die Menschen haben in den vergangenen 10.000 Jahren alles getan, um das Leben sicherer zu machen. Ich bin raus aus dieser Sicherheit in die maximale Gefahr, um zu schauen, wie ich ticke.
WOCHENBLATT: Als 60-Jähriger haben Sie die Wüste Gobi durchquert. Jetzt sind Sie 71 Jahre alt. Wie geht ein Abenteurer mit dem Alter um?
Messner: Ich merke, dass ich nicht mehr so leidensfähig bin. Mittlerweile bin ich froh, aufrecht ins warme Bad gehen zu können und meine Morgentoilette nicht kriechend in der Antarktis zu erledigen.
WOCHENBLATT: Sie saßen bis 2004 fünf Jahre im Europäischen Parlament. Derzeit bauen einige EU-Länder Grenzzäune, um Flüchtlingsrouten zu kappen. Was sagen Sie dazu?
Messner: Grenzen zu schließen, ist eine traurige, politisch-tragische Geschichte. Die Flüchtlinge stehen vor unserer Haustür. Wir haben die Verpflichtung, sie aufzunehmen.
WOCHENBLATT: Aber es fehlt die Solidarität unter den EU-Staaten.
Messner: Wenn Europa auseinander bricht, fallen wir 50 Jahre in der Sozial- und Friedenspolitik zurück. Ich habe großen Respekt vor der Bundeskanzlerin. Sie darf die Deutschen nicht enttäuschen und muss gleichzeitig Europa erhalten.
WOCHENBLATT: Überrascht Sie die Entwicklung der Flüchtlingsströme?
Messner: Nein. Nur ein Beispiel: Vor zehn Jahren war ich mit meinem Sohn in Nordafrika klettern. Dort trafen wir auf eine Kolonne hunderter Männer, die alle auf dem Weg nach Europa waren.
WOCHENBLATT: Als Gipfelstürmer treffen Sie in Stade auf Flachlandtiroler. Fühlen Sie sich überhaupt wohl in Norddeutschland?
Messner: Ja, aber leben könnte ich hier nicht. Ich brauche die Berge als Anhaltspunkte zur Orientierung. Nur Kirchen und Häuser reichen mir nicht.
Karten zum Live-Vortrag
Zum 70. Geburtstag erschienen im Doppelpack Reinhold Messners neues Buch sowie der dazugehörige Live-Vortrag mit dem durchaus doppeldeutig gemeinten Titel „ÜberLeben“. Hier skizziert er in Wort und Bild seinen Lebensbogen, erzählt, wie Überleben in der archaischen Welt funktioniert und welche Bedeutung dies im Alltag einer bürgerlichen, zivilisierten Welt haben kann. Am Montag, 4. April, ist er mit seinem Programm im Stadeum in Stade (19.45 Uhr). Tickets unter www.stadeum.deund Tel. 04141-409140
Redakteur:Björn Carstens aus Buxtehude |
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