Torsten Wudtke und seine Frau wollen wieder gemeinsam unterwegs sein
Rollifahrer kämpft gegen seine Krankenkasse
Elektroantrieb für Rollstuhl abgelehnt / AOK bietet Kompromiss an
tk. Buxtehude. Dass Torsten Wudtke (55) noch lebt, ist fast ein Wunder. Vor drei Jahren hatte der Buxtehuder einen Hirnschlag erlitten. Ob er am nächsten Tag noch leben würde, sei zweifelhaft, teilten die Ärzte seiner Frau Anja mit. Drei Wochen lag er im Koma und insgesamt zwölf Wochen auf der Intensivstation. Torsten Wudtke hat sich ins Leben zurückgekämpft. "Ich musste alles neu lernen. Sprechen und essen konnte ich nicht mehr", erzählt er dem WOCHENBLATT. Umso unverständlicher erscheint es Anja und Torsten Wudtke, dass ihre Krankenkasse, die AOK, einen Antrag für einen sogenannten E-Fix ablehnt. Das ist ein Zusatzgerät, um den individuell angepassten Rollstuhl von Thorsten Wudtke elektrisch anzutreiben. "Es geht uns dabei um das Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben", sagt seine Frau Anja.
Seit gut einem Jahr führen die Wudtkes einen Kampf gegen die AOK und für den E-Fix. Eine Ärztin hatte dem Buxtehuder während seiner Reha den E-Antrieb verordnet. Ein Traum für das Ehepaar. Denn die zierliche Anja Wudtke kann den Rolli, der mit Thorsten rund 110 Kilo wiegt, nicht über längere Strecken schieben. Gemeinsame Aktivitäten sind daher so gut wie unmöglich. "Es ist so, als ob wir in Altkloster eingesperrt wären", sagt Anja Wudtke. Ein gemeinsamer Besuch des Buxtehuder Wintermärchens ist ebenso unmöglich wie ein Wochenendtrip an die See. Mit dem E-Fix, sagen Anja und Thorsten Wudtke, wäre das alles möglich. Der kleine und kompakte Motor treibt den Rollstuhl an und Torsten Wudtke könnte den Rolli selbst über einen Joystick steuern.
Davon, dass sie bei ihrer Krankenkasse gegen eine Mauer laufen, war das Ehepaar völlig überrascht. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach dem ersten Widerspruch musste ein neurologisches Gutachten her, das bescheinigt, dass Torsten Wudtke in der Lage ist, einen Rollstuhl zu fahren. Der Facharzt hatte das bejaht. Die AOK sagte immer noch Nein und bot schließlich einen E-Scooter an. Damit könnte Torsten Wudtke alleine unterwegs sein. "Wie sollen wir so ein Riesending ins Auto bekommen?", fragte allerdings seine Frau. Beim E-Fix-Antrag sei es doch darum gegangen, gemeinsam wieder am Leben teilzuhaben - und die dafür erforderliche Form der Mobilität muss schließlich klein und handlich sein, so dass sie ins Auto passt.
Die WOCHENBLATT-Recherche bei der AOK-Pressestelle ergibt: Für die Wudtkes wird es kein echtes Happy End geben. Die AOK, so erklärt ihr Sprecher Oliver Giebel, dürfe den Antrag gar nicht genehmigen, weil sie dann gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit nach dem Sozialgesetzbuch verstoßen würde. "So gibt der Gesetzgeber bei einer Behinderung vor, die Grundbedürfnisse des Menschen im Sinne eines Basisausgleichs zu erfüllen – nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten von Gesunden", fasst Giebel einschlägige Urteile zusammen. Und weiter: "Die Bewegungsfreiheit wird dabei als allgemeines Grundbedürfnis auf Entfernungen abgestellt, die im Nahbereich der Wohnung liegen und die ein gesunder Mensch üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt." Der E-Fix falle eindeutig nicht in diese Kategorie.
Als Kompromiss - eine Einzelfallentscheidung nach sorgfältiger Prüfung, so der Sprecher - bietet die AOK aber an, dass sie einen E-Fix genehmigt und dafür die Kosten übernimmt, die ein E-Scooter verursachen würde. Den Differenzbetrag, der nach WOCHENBLATT-Recherchen immer noch bei rund 4.000 Euro liegt, müssten die Wudtkes allerdings aus eigener Tasche bezahlen.
Ob das für die Buxtehuder ein gangbarer Weg ist? "Wir haben schon sehr viel Geld aus eigener Tasche in den Umbau unseres Hauses gesteckt", sagt Anja Wudtke. Hinzu kommt: Ihr Mann bezieht nur noch eine Erwerbsunfähigkeitsrente und sie selbst hat ihren Vollzeitjob reduziert, um mehr Zeit für die Pflege zu haben. Gerecht findet Torsten Wudtke das alles nicht. "30 Jahre lang habe ich eingezahlt und bekomme jetzt nicht das, was ich wirklich benötige."
KOMMENTAR: Das ist kein Luxus
Die Entscheidung der AOK, den E-Fix für Torsten Wudtke nicht zu bezahlen, ist nicht zu beanstanden.
Das Nein ist die logische Konsequenz aus Gesetzen und einschlägigen Urteilen. Und gerade deshalb muss die Entscheidung hinterfragt werden. Denn: Gerecht finde ich sie nicht und Solidarität sieht in meinen Augen anders aus. Die Versicherten in einer Krankenkasse sind eine Solidargemeinschaft. Woraus für mich folgt, dass solidarisches Handeln das Gebot ist. Vor allem dann, wenn es um einen Anspruch geht, der berechtigt ist. Ein Mensch wird mit knapp 50 Jahren aus dem Leben gerissen und kämpft sich zurück. Ich finde es nicht übertrieben, dann die erforderlichen 6.000 Euro zu bezahlen, damit er und seine Frau gemeinsam unterwegs sein können. Das ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.
Tom Kreib
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