WOCHENBLATT fragt Leser ohne Internet
Wer offline ist, wird abgehängt
"Wir fühlen uns abgehängt", "Wir werden nicht gesehen" oder auch "Gut, dass darüber mal öffentlich berichtet und geredet wird." Diese Sätze sind bei fast jedem Gespräch mit Menschen gefallen, die in der heutigen digitalen Welt offline leben, also kein Internet nutzen oder nutzen wollen.
Das Leben ohne Internet
Rund sechs Prozent der Menschen in Deutschland leben ohne Internet. Darüber hatte das WOCHENBLATT am vergangenen Samstag berichtet und die Leser und Leserinnen gefragt, die offline leben, wie sie damit klarkommen. Die Resonanz war sehr groß. Viele Aussagen der "Offliner" fallen ähnlich aus und nicht alle bedauern, dass sie so leben. Hier eine Auswahl der Antworten, wie das Leben ohne Internet funktioniert und wo es Probleme gibt.
Viele Seniorinnen und Senioren, die deutlich über 80 Jahre alt sind, haben schlichtweg keine Lust mehr, sich in die digitale Welt einzuarbeiten. "Das schaffe ich nicht mehr und das will ich auch gar nicht", sagt eine WOCHENBLATT-Leserin (86) aus Meckelfeld. "Vieles soll nur noch übers Internet gehen. Auf uns Alte nimmt dabei keiner Rücksicht", kritisiert sie.
• Fehlende Rücksichtnahme auf Menschen ohne Internet stößt auch Uwe Jührend aus Dollern auf. Der 87-Jährige ist ehemaliger Berufsfeuerwehrmann und rechnet Kosten bei Krankheiten, Arztbesuchen oder für Medikamente über die Beihilfestelle ab. "Kürzlich gab es ein Schreiben, dass ich das unter 'www.soundso.de' machen muss", sagt er. Sich in die Internet- und PC-Welt einzuarbeiten, "schaffe ich nicht mehr", betont der 87-Jährige. "Ich habe ein Festnetztelefon, das war's und das reicht mir."
• "Junge Leute haben überhaupt kein Verständnis mehr für uns, die wir kein Internet und keinen Computer haben", sagt eine WOCHENBLATT-Leserin (81) aus Winsen. Sie sei schon "angepampt" worden, weil angeblich alles nur noch digital funktioniere. Eigentlich vermisse sie das Internet nicht. Doch bisweilen mache ihr das das Leben schwerer. Das Corona-Testzentrum vor ihrer Haustür habe sie abgewiesen. "Das lief alles nur über das Internet."
• Eine 84-jährige Leserin aus Stelle sagt dagegen, dass sie ganz bewusst auf Tablet, Smartphone und damit auch das weltweite Netz verzichte. "Und damit lebe ich eigentlich gut", sagt sie. Wobei es mitunter schon nervig sei, aufs Telefon angewiesen zu sein und ewig in Warteschleifen ausharren zu müssen. Wobei für die 84-Jährige die Vorteile des internetlosen Lebens überwiegen: "Ich habe mehr Zeit, um mit Menschen direkt zu sprechen."
• Ein Leser (74) aus Seevetal war früher online, doch sein alter Rechner bekommt keine Updates mehr für die Programme. Ein neues Gerät für 500 Euro sei ganz schön teuer. Was den Mann aber besonders stört: "Das ist alles viel zu kompliziert." Es schrecke ihn ab, bei den kleinsten Problemen mit Internet und PC Hilfe holen zu müssen. Weil fast alles nur noch online funktioniere, denke er aber darüber nach, sich wieder einen Rechner zu kaufen. "Egal, ob ich bei Firmen oder Behörden anrufe - meistens bekomme ich den Tipp, dass sich die Antworten auf meine Fragen auf der entsprechenden Homepage finden." Mündliche Auskünfte gebe es oft nur "widerwillig".
• Frank Schimank (62), ebenfalls aus Seevetal, hat früher in seiner Firma mit dem PC gearbeitet, privat hat er keinen Internetzugang. "Und das wird für mich zum Problem." Vom Arzttermin bis zu Öffnungszeiten von Geschäften - "alles nur noch online". Er denke darüber nach, sich zumindest ein Smartphone zu kaufen.
• Eine 60-jährige Leserin aus Neu Wulmstorf hat ein gebrauchtes Laptop und Smartphone geschenkt bekommen - lebt aber trotzdem fast nur offline. "Ich gehöre noch zu denen, die Papier anfassen wollen", sagt sie. Dass Menschen ins Internet gezwungen werden, findet diese Leserin "übergriffig". Sie habe überhaupt nichts gegen das Internet - es müsse aber immer "noch einen anderen Weg geben".
• "Ich existiere für die Menschheit nicht mehr", sagt die 89-jährige Edith Kuschick aus Seevetal. Die Seniorin nutzt das Internet nicht und fühlt sich deshalb oft von der Gesellschaft ausgegrenzt. Kuschicks Mann kannte sich im Internet aus, doch vor zwölf Jahren verstarb er. Seither hatte sie versucht, sich mit dem Internet vertraut zu machen, aber es laut eigener Aussage einfach nicht geschafft. Ihr fehle der Zugang dazu. Sie habe auch während ihrer Berufstätigkeit als Köchin und Altenpflegerin kein Internet benötigt. Gibt es keinen anderen Weg, dann hilft eine Bekannte der alleinstehenden Frau, E-Mails zu schreiben.
Zu teuer, zu unpersönlich
• Bei Anja Helm hat es ganz andere Gründe, warum sie das Internet nicht nutzt, teilte sie der Redaktion per Brief mit. Die 54-Jährige will aus ideologischen, ökologischen und finanziellen Motiven offline bleiben. Zum einen seien ihr Anschaffungs- und Unterhaltungskosten zu teuer, zum anderen wolle sie nicht zum großen ökologischen Fußabdruck der Internetnutzer beitragen. Auch sei ihr die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht lieber. Trotz allem habe das ausschließlich analoge Leben auch Nachteile für sie, erklärt Anja Helm. Oft werde vorausgesetzt, dass eine E-Mail-Adresse vorliege oder das Informieren auf Webseiten möglich wäre. "Ich fühle mich abgehängt", so die Buxtehuderin. Sie wünsche sich, die freie Entscheidung darüber zu haben, online oder offline zu sein - ganz ohne Benachteiligung.
Von der Schule vergessen
• Für eine 46-jährige Mutter aus Seevetal ist das Offline-Sein eher ein unfreiwilliger Zustand. Ihr Endgerät ist vor einiger Zeit kaputtgegangen, eine Reparatur ist aus finanzieller Sicht für sie derzeit nicht möglich. Besonders bezüglich Informationen aus der Schule ihres Kindes sei es schwierig, da alles online stattfinde. "Man wird oft vergessen, wenn man kein Internet hat", so die Mutter. Auch bei Unternehmungen, wie einem Ausflug in den Heidepark oder in das Hamburger Dungeon, seien Terminbuchungen oder der Erwerb einer Jahreskarte nur noch digital möglich.
• Auch Hannelore Streckenbach aus Kutenholz ist offline - und das schon ihr Leben lang.
Für die über 70-Jährige hat das aber weniger mit ihrem Alter, als vielmehr mit ihrer alternativen Lebenseinstellung zu tun. "Ich fühle mich jung", sagt die gebürtige Hamburgerin, die der Liebe zur Natur wegen aufs Land gezogen ist. Auch wenn es für Hannelore Streckenbach eine freiwillige Entscheidung ist, kein Internet und übrigens auch keinen Fernseher zu haben, so fühlt auch sie, dass das gesellschaftliche Leben mittlerweile auf Online zugeschnitten ist.
So erzählt sie vom Kauf ihres 49-Euro-Tickets, das es eigentlich nur in digitaler Form geben sollte. Sie habe einen Sonderantrag stellen müssen, um das Ticket auch in Papierform zu erhalten. "Ich habe mich gefühlt wie eine Bittstellerin." Auch beispielsweise für das Kino, so erklärt Streckenbach, gebe es kaum Programminformationen außerhalb des Internets. In ihrer Heimat Hamburg finde gerade das kulturelle Leben bzw. der Austausch darüber vielmehr analog statt. Auch ärgere sie sich, wenn Leute annehmen, dass sie nicht informiert sei, nur weil sie offline ist: Sie beziehe ihre Nachrichten schließlich aus Zeitung und Radio.
• Noch viele weitere Anrufe und Briefe erreichten die Redaktion. Neben den oben genannten Gründen fürs Leben offline wurden auch Datenschutz und die Angst vor betrügerischen Übergriffen aus dem Internet genannt. Gezeigt haben aber alle Rückmeldungen, dass die "Offliner" sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen und ein Leben ohne Internet möglich, aber sehr schwer ist.
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.