Wie Dr. Ursula Ahrens im Alter von 14 Jahren die Besetzung Buxtehudes durch die Engländer erlebte
"Wir sind keine freien Deutschen mehr", schreibt Dr. Ursula (Ulla) Ahrens, damals Duhme, im Alter von 14 Jahren am 22. April 1945 in ihr Tagebuch. Am gleichen Tag hatte der Admiral Siegfried Engel Buxtehude kampflos an die Engländer übergeben. "Ein richtiges Henkerdasein", kommentiert das Mädchen die darauf folgende Ausgangssperre. Wenn ihr Dackel "Nixe" mal in den Garten musste, hielt Ursula die Hündin hoch und wartete auf das Zeichen der Engländer, dass sie die Terrassentür öffnen und Nixe raus lassen durfte. Sie wohnte damals in dem "Turmhaus" an der Ritterstraße 15, die Engländer hatten sich gegenüber im Stadtpark eingegraben.
"Tief, tief ist Deutschland gesunken", notiert Ulla Duhme dann am 6. Mai 1945 im Tagebuch, noch nicht wissend, dass Adolf Hitler Selbstmord begangen hatte: "Unser Führer ist in der Reichskanzlei gefallen." Und am 15. Mai: "Wir haben bedingungslos kapituliert ... Deutschland ist erledigt."
Unglaublich naiv sei sie damals gewesen, sagt die Zahnärztin im Ruhestand heute. Im Alter von etwa 27 Jahren habe sie u.a. bei der Auseinandersetzung mit dem Leben des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer ihre Meinung über Hitler und den Nationalsozialismus geändert. "Als Kind und Mitglied der Hitlerjugend war ich jedoch auf den Führer eingeschworen", sagt sie.
Mit ihrer Mutter, der Zahnärztin Dr. Annelise Duhme-Kämena, war Ursula Ahrens 1940 nach Buxtehude gezogen, wo die Mutter eine Praxis an der Langen Straße 48 übernahm. Am Eröffnungstag kamen 38 Patienten: Die Soldaten in der Buxtehuder Kaserne hatten großen Behandlungsbedarf. Das Bild der im Gleichschritt marschierenden Soldaten durch die Bahnhofstraße hat Ulla Ahrens noch gut vor Augen. Hunger litt sie nicht: Die Bauern aus dem Alten Land zahlten die Zahnarzt-Behandlungen oft mit Naturalien. Weil das Alte Land als Schutz vor Plünderungen bewacht wurde, fuhr das Mädchen - wenn ein ihr wohl gesonnener Polizist Wache schob - mit dem Fahrrad nach Jork, um Äpfel und Kirschen zu holen, die im Keller gelagert wurde.
Den großen Angriff auf Hamburg im Sommer 1943 erlebte sie in St.Peter Ording mit, wo sie damals Urlaub machte. "Uns wurde erzählt, dass die Rauchentwicklung in Buxtehude so groß war, dass es hier gar nicht hell wurde." In Buxtehude erinnert sie sich nur an eine einzige Explosion. "Und das war eine deutsche Granate", sagt Ulla Ahrens. "Nicht alle Dörfer in der Region haben sich den Engländern kampflos ergeben."
In den letzten Kriegsmonaten kamen die Flüchtlinge aus dem Osten. "Unser Wohnhaus war bis unter das Dach voller Flüchtlinge", so Ulla Ahrens, die die Ankömmlinge als Mitglied der Hitlerjugend in Empfang nahm und dabei schreckliche Schicksale mitbekam. Als dann die Engländer vor Buxtehude standen, sollte die Brücke über den Viver gesprengt werden, um den Feind aufzuhalten. "Wir haben die Zahnarztpraxis vorsichtshalber geräumt, aber gesprengt wurde doch nicht", so Ulla Ahrens.
Während die englischen Soldaten in die Kaserne zogen, nahmen die Offiziere auch Quartier in den Wohnhäusern. "Auch in unserer Wohnung erschien ein Offizier, der mehrere kaum angerauchte Zigaretten im Aschenbecher hinterließ - damals ein unvorstellbar wertvolles Geschenk", erinnert sich Ulla Ahrens. Die Mutter schmiss die Zigaretten trotzdem in den Kamin. "Der Engländer zog nicht bei uns ein", erzählt Ulla Ahrens. Im Rahmen der Flüchtlingseinquartierung wurde aber der zweite Raum der Zahnarztpraxis beschlagnahmt. Dort zog der Admiralarzt a.D. Dr. Gerhard Müller mit seiner Praxis ein. "Das Ergebnis war, dass meine Mutter diesen Arzt geheiratet hat", sagt Ulla Ahrens.
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