UNESCO-Weltkulturerbe Reetdachdeckerei: Ein altes Handwerk mit Nachwuchsproblemen
Wie in der Bronzezeit
sla. Buxtehude. Viele alte Handwerksberufe sind heute ausgestorben: Büchsenmacher, Leineweber, Holzrücker - und auch Reetdachdecker gibt es nur noch wenige. Helmut Müller aus Heinbockel gehört zu den Letzten dieser Zunft. Er arbeitet seit 40 Jahren als Reetdachdecker. Momentan deckt der 57-Jährige ein reetgedecktes Haus in Hedendorf an der Bundesstraße. Aufträge gebe es für ihn genug, aber leider zu wenig Nachwuchs, sagt Müller. Dabei hat er noch Glück. Denn Sohn Christoph (28) ist Dachdeckermeister und tritt in seine Fußstapfen. Dennoch könnten sie noch weitere Handwerker beschäftigen. Der Betrieb ist auf Reetdachdeckung spezialisiert, lediglich zwanzig Prozent der Aufträge seien moderne Hartdacheindeckungen.
Vom Alten Land bis nach Cuxhaven deckt das Team aus Heinbockel Reetdachhäuser neu ein. Für das Haus in Hedendorf brauchen sie für die ca. 160 Quadratmeter große Südseite ungefähr drei Wochen, erzählt Müller. Dazu gehören die komplette Entfernung des alten Reets, das Anbringen der neuen Dachlattung und das Einbinden des neuen Reets. Die beiden Reetdachdecker wissen ganz genau, wie man Dächer mit dem natürlichen Rohstoff abdichtet und schützt. Zuvor begutachtet Müller reparaturbedürftige Dächer und entscheidet, wo und in welchem Umfang neues Reet angebracht werden muss. Das bei dem Haus in Hedendorf verwendete Reet kommt aus Rumänien. Aber auch aus China, der Türkei, Ungarn sowie von deutschen Küsten werde Reet geliefert.
Die Reetdachdeckerei gilt als eine der ältesten Handwerkstechniken beim Hausbau. Vom Land Mecklenburg-Vorpommern wurde sie 2014 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO eingereicht und bestätigt. Reet bzw. Schilf war eines der ersten Bedachungsmaterialien der sesshaft gewordenen Menschen. Dies ist vor allem auf seine Eigenschaften als Wasserpflanze und seine lokale Verfügbarkeit zurückzuführen. Die ersten Reetdächer waren einfache Eindachhäuser.
Im Mittelalter wurde aufgrund der Brandgefahr in dicht bebauten Gebieten das Reetdach in den Städten durch Hartdächer ersetzt. Auf dem Lande behielt das Reet jedoch bis in die heutige Zeit eine gewisse Bedeutung. Die ersten nachgewiesenen Reetdächer waren Pfahlbauten am Bodensee um 4000 v. Chr. Damals war es leicht aufgebundenes Reet, das mit Haselnussstöcken als Schachtstange und eingeweichten Weidenstöcken auf den Dachstuhl gepresst wurde. Helmut Müller benutzt für diese Arbeit ein spezielles Holzwerkzeug, den sogenannten Treiber. Damit die einzelnen Enden der Reetbündel bündig abschließen und nichts übersteht, wird das Material von Müller mit dem Klopfbrett gerade und gleichmäßig in Form geklopft. Um die Bündel zu befestigen, bedient sich der Reetdachdecker unterschiedlicher Binde- und Nähtechniken; die Reetbündel werden etwa mit Draht auf der tragenden Holzkonstruktion des Dachstuhls verschraubt oder vernäht. Mehrere Lagen Reet werden aufgetragen, die in einer 30 bis 40 Zentimeter dicken Schicht überlappen, sodass das Reetdach kein Wasser mehr durchlässt.
Vater und Sohn können sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Sie sind zwar bei Wind und Wetter auf dem Dach, es sei zwar keine leichte Arbeit und schwindelfrei müsse man auch sein. Aber dafür seien sie täglich an der frischen Luft. "Es ist dennoch schwer, junge Leute für den Handwerksberuf des Reetdachdeckers zu begeistern." Obgleich Reet ein wunderbares Material sei, so Müller, - ein natürlicher und nachwachsender Rohstoff, ökologisch unbedenklich und optimal für ein gutes Wohnklima, schwärmen die beiden Reetdachdecker.
Redakteur:Susanne Laudien aus Buxtehude |
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