WOCHENBLATT sprach mit Besteller-Autorenduo
Wie Samer Tannous eine neue Heimat findet

Im Wohnzimmer von Samer Tannous (re.) hängen die ersten Leserreaktionen gerahmt an der Wand. Der Dialog ist ihm und seinem Co-Autoren Gerd Hachmöller wichtig | Foto: tk
  • Im Wohnzimmer von Samer Tannous (re.) hängen die ersten Leserreaktionen gerahmt an der Wand. Der Dialog ist ihm und seinem Co-Autoren Gerd Hachmöller wichtig
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tk. Buxtehude. Wäre die Art der Wohnungsbeleuchtung ein Gradmesser für Integration, dann hätte Samer Tannous womöglich schon die deutsche Staatsbürgerschaft. In dem Spiegel-Bestseller "Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)", den Tannous gemeinsam mit Gerd Hachmöller geschrieben hat, geht es in einem Kapitel um die Art und Weise, wie Deutsche und Araber ihr Zuhause ausleuchten. Möglichst hell, also ein kaltes, blaues Licht, bevorzugen Araber. So sah es auch in der Rotenburger Wohnung von Familie Tannous aus. Mittlerweile hat Samer Tannous eine kleine Lampe im Wohnzimmer stehen, die ein "typisch deutsches, gemütliches Licht" verbreitet.  Eine Anekdote nur, aber sie zeigt, was Samer Tannous in seinem Buch und im Gespräch mehrfach sagt: "Ich will hier leben und habe Lust auf Integration." Man müsse zu seiner neuen Heimat Liebe entwickeln, findet er. Die beiden Autoren lesen am Dienstag, 27. Oktober, in Buxtehude.
Das Buch ist eine Gemeinschaftsaktion von Tannous und Gerd Hachmöller. Sie haben eine gleichnamige Kolumne auf "Spiegel-Online plus" und aus den gesammelten Geschichten wurde schließlich ein ganzes Buch. "Samer macht sich ständig Notizen", sagt Gerd Hachmöller. Gemeinsam wurden daraus die anekdotenhaften Geschichten, immer aus Sicht des ehemaligen Literaturprofessors aus Syrien, denen Hachmöller sprachlich den letzten Schliff gab.

Samer Tannous erzählt, wie er sein Leben in Deutschland und vor allem mit den Deutschen sieht, deren Pünktlichkeit und Regeltreue, das ständige Planen und Führen eines Kalenders eher das Gegenteil eines arabischen Laisser-faire ist. "Inzwischen habe ich in jedem Zimmer einen Kalender liegen", sagt Samer Tannous mit einem heiteren Lächeln. Jetzt zu planen, was vielleicht im nächsten Jahr sein könnte, liege ihm aber (noch) nicht. Wie viel der eigenen kulturellen Identität es zu bewahren gelte und wie deutsch eine syrische Familie in Deutschland werden müsse, "ist eine Frage, die meine Frau und ich uns täglich stellen", sagt Tannous.

In Lesungen werden die beiden Autoren häufiger gefragt, ob Deutsche sich nicht ein Stück arabischer Lockerheit abgucken könnten. "Was in einem Land funktioniert, funktioniert in dem anderen nicht", meint Hachmöller.

"Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)" ist kein politisches Buch. Es soll weder den Deutschen noch Geflüchteten einen kritischen Spiegel vorhalten. Gleichwohl sich deutsche wie arabische Leser darin beide sehr gut wiederfinden können. Was die Autoren, die auch gemeinsam Seminare zur Integrationsarbeit geben, immer wieder erstaunt, wenn es um gelingende oder nicht gelingende Integration geht: Wenn es bei der Integration hapert, fragen viele Deutsche, was sie besser machen könnten. "Sie fragen nicht, was die Menschen besser machen müssten, die in Deutschland leben wollen", sagt Gerd Hachmöller. Dass tatsächlich vorhandene Probleme in Sachen Integration von den großen Volksparteien ausgeblendet worden seien, habe nach seiner Überzeugung geholfen, die AfD groß zu machen. "Die wären sonst nicht über fünf Prozent hinausgekommen."

Samer Tannous war in Syrien Hochschuldozent für französische Sprache und Literatur und hat sechs Jahre in Frankreich gelebt. "Natürlich war er interkulturell vorgebildet und das hilft", sagt Gerd Hachmöller über seinen Freund und Co-Autoren. Bildung allein sei aber kein Garant dafür, dass Integration funktioniere. "Jeder Mensch steht vor anderen Problemen", sagt Tannous. Neben Sprache eine wesentliche Voraussetzung, um anzukommen, gebe der Untertitel des Buches wieder: "Versuche, meine neue deutsche Heimat zu verstehen". Gegenseitiges Verstehen und gegenseitige Akzeptanz, davon sind beide Autoren überzeugt, sind die Grundlage für Gemeinsamkeit bei allen unterschiedlichen Herkünften.  

"Den ersten Schritt habe ich geschafft", sagt Samer Tannous über seine ersten fünf Jahre in Deutschland. Er ist als Französischlehrer an einer Schule in Scheeßel festangestellt und über seine Töchter im Grundschulalter sagt er: "Sie sind inzwischen eher Deutsche als Syrer." Jetzt gehe es für ihn und seine Familie weiter. Für Samer Tannous einer der Gradmesser seiner persönlichen Integration: Wenn er amtliche Schreiben auf Anhieb versteht. Ein hohes Ziel, denn das gelingt nicht einmal vielen Menschen, die in Deutschland geboren sind.

• Die beiden Bestseller-Autoren lesen am Dienstag, 27. Oktober, um 19.30 Uhr auf der Halepaghen-Bühne.  Reservierungen und Karten gibt es jeweils für 12 Euro in der Stadtbibliothek Buxtehude, Fischerstraße 2 in Buxtehude, ( 04161-999 060 oder per E-Mail stadtbibliothek@stadt.buxehude.de.
Das Buch "Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)" ist in der Verlagsgruppe Random House erschienen und kostet 18 Euro. Gute Nachricht für alle Fans des Titels: Für 2022 ist eine Fortsetzung geplant.

Redakteur:

Tom Kreib aus Buxtehude

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