In Schulen im Kreis Stade und Harburg nachgefragt
6,2 Prozent der Hauptschüler schaffen Abschluss nicht
In Deutschland beenden jedes Jahr rund 6,2 Prozent aller Jugendlichen die Schule ohne einen Hauptschulabschluss. 2021 waren das rund 47.500 Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss. Diese Zahlen hat die Bertelsmann-Stiftung aktuell veröffentlicht. Sie bewegen sich seit Jahren auf diesem hohen Niveau.
Wie kann das sein?, wollte das WOCHENBLATT exemplarisch von zwei Hauptschulleiterinnen wissen. Schließlich stehen Förderung und Differenzierung seit Jahren im Fokus von Bildungspolitik und Bildungspraktikern.
"Das Ergebnis der Studie überrascht mich nicht", sagt Jutta Mangelmann, Leiterin der Hauptschule Süd in Buxtehude. Es habe schon Jahrgänge gegeben, bei denen bis zu 20 Prozent ohne Abschluss gegangen sind.
Es gebe nicht "den einen Grund", warum Jugendliche ohne Hauptschulabschluss dastehen, sagt die Schulleiterin. Wenn sie auf ihre Schule schaut, dann sieht sie vielschichtige Gründe für die fehlenden Abschlüsse. Grundsätzlich und auch an ihrer Schule seien junge Männer stärker betroffen als junge Frauen.
Schüler mit langer Fluchtbiographie
Seit 2015 sei der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund sehr stark angestiegen. Es gebe Schülerinnen und Schüler mit einer teils sehr langen Fluchtbiographie. Ein Beispiel: Ein Jugendlicher sei drei Jahre in seinem Heimatland zur Grundschule gegangenen, dann fünf Jahre gar nicht und lande dann in Klasse sieben bis acht an der Hauptschule - ohne Deutschkenntnisse. Es sei "mehr als anspruchsvoll", den Abschluss dann in drei Jahren zu schaffen. Grundsätzlich, das betont Jutta Mangelmann, sei die kulturelle Vielfalt an ihrer Schule aber ein großer Gewinn.
Ein weiterer Grund, den sie für fehlende Abschlüsse sieht: Die Zahl der Kinder, die aus bildungsfernen Familien kommen, nehme zu. Manchen Eltern sei die Bildung ihrer Kinder egal und andere können ihnen nicht helfen, weil sie selbst überfordert seien. Mitunter seien es in der zweiten Generation von Familien mit Migrationshintergrund auch sprachliche Barrieren, die die Unterstützung der Kinder auf ihrem Bildungsweg für Eltern erschwere.
Hinzu komme schließlich auch die Pubertät - vor allem bei jungen Männern. "Die finden vieles deutlich interessanter als Schule." Wenn das anhalte, dann seien Probleme beim Abschluss programmiert. "Wir sprechen dann von Schulmüdigkeit", sagt Jutta Mangelmann. Oder salopp ausgedrückt: Lieber Influencer als Maurer oder Dachdecker werden.
Jutta Mangelmann sieht die Probleme, will aber keine Schwarzmalerei oder Pessimismus verbreiten: "Viele bekommen den Abschluss trotz Problemen super hin." Es gebe von außerschulischen Lernorten bis hin zu Angeboten zum Nachholen des Hauptschulabschlusses zudem gute Wege, das Abschlusszeugnis doch noch zu bekommen.
"Schule ist nur vormittags"
Zudem höre das Problem nicht mit dem Schulabschluss auf. Nach ihrer Beobachtung nehme die Zahl derer zu, die keine positiven Vorbilder in der eigenen Familie haben. Also keine Eltern, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Es zeige sich zum Beispiel in Praktika, dass einige Schülerinnen und Schüler sechs Stunden am Stück nicht durchhalten können.
"Wir in der Schule sind und wollen für die Jugendlichen Vorbilder sein", sagt Jutta Mangelmann und fügt hinzu: "Schule ist aber nur vormittags und ein Baustein im Leben der Kinder." Sie könne nicht alles auffangen und reparieren. Um die hohe Zahl der Abgängerinnen und Abgänger ohne Hauptschulabschluss zu senken, "darf der Fokus nicht nur auf Abitur und Studium liegen". Es braucht auch mittlere und untere Bildungsabschlüsse, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Wer mit der Schulleiterin und anderen Lehrerinnen und Lehrern darüber spricht, was besser werden muss, bekommt nicht nur Forderungen nach mehr Geld für Bildung zu hören. Praktiker kritisieren zu viel Bürokratie, die Zeit und Geld kostet. Es brauche natürlich mehr Personal, aber auch die Freiheit, dass Schulen kreativ "ihr Ding" machen können, damit alle mitgenommen werden können.
• Ganz andere Erfahrungen macht die Schule am Düvelshöpen in Tostedt. "Glücklicherweise können wir die Zahlen der Bertelsmann-Stiftung an unserer Schule nicht bestätigen", sagt Schulleiterin Anja Scheele.Die Schule biete u.a. den Besuch eines zehnten Jahrgangs an. Schülerinnen und Schüler mit einem erfolgreichen Hauptschulabschluss besuchen diesen, um u.a. einen Realschulabschluss bzw. den erweiterten Realschulabschluss zu erwerben. "Wir schätzen uns glücklich, dass unsere Schülerschaft durch ein engagiertes Kollegium kontinuierlich auf die Berufswelt vorbereitet wird."
Engmaschige Betreuung
Durch die intensive und engmaschige Betreuung durch die Lehrkräfte werde der Schülerschaft verdeutlicht, wie wichtig ein Abschluss für die Berufswahl, die Berufszufriedenheit und den Berufserfolg sei.Durch die dreiwöchigen Praktika in den Klassen 8 und 9 sowie die intensive Kooperation mit den Berufsbildenden Schulen (BBS) Buchholz werde der Schülerschaft die Notwendigkeit eines Abschlusses und das Ziel, einen Beruf erfolgreich zu erlernen, konkret verdeutlicht.
Auch der fachbezogene Unterricht sei eine Säule der Arbeit an der Hauptschule. "Die Einsicht hinsichtlich eines erfolgreichen Schulabschlusses wird ihnen bei uns nahezu täglich vermittelt und vorgelebt", erläutert Anja Scheele. Auch durch die intensive betriebsorientierte Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Region werde die schulische Arbeit ebenfalls von den Handwerksbetrieben unterstützt. (tk/bim)
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