Abordnungen von Gymnasiallehrern an andere Schulen: "Jetzt wird aus Freiwilligkeit Zwang"
tk. Landkreis. "Niedersachsen sucht zurzeit ca. 20 Sonderpädagogen, 40 Lehrkräfte für Gymnasien (auch IGS) und noch 220 Lehrkräfte für Grund-, Haupt- und Realschulen, davon 140 für Grundschulen. Der Unterricht beginnt in drei Tagen", diesen Stoßzeufer hat ein Lehrer vor Kurzem in einen Internetblog (new4teachters) geschrieben, in dem die Zwangsabordnung von Gymnasiallehrern an Grundschulen diskutiert wurde. Das Kultusministerium in Hannover hat Anfang der Woche per Anordnung eine bislang nicht kommunizierte Zahl von Pädagogen vorübergehend von Gymnasien an Grundschulen abgeordnet. Der Verband der Elternräte der Gymnasien Niedersachsens schätzt, dass davon rund 400 Vollzeitlehrerstellen betroffen sind.
Begründung des Kultusministeriums für diese kurzfristige Maßnahme, von der die Betroffenen häufig überrascht wurden: Grundschulen haben in der Unterrichtsversorgung Vorrang, weil dort die verlässliche Betreuung bis 13 Uhr gewährleistet sein müsse.
Der Verband der Elternräte bezeichnet diese Maßnahme "als hilflosen Akt der Verzweiflung". Anfang 2016 habe das Kultusministerium noch versucht, Löcher an Grundschulen mit freiwilligen Abordnungen zu stopfen. "Jetzt wird aus Freiwilligkeit Zwang", kritisiert der Verband. Eine ähnliche Kritik kommt auch vom Philologenverband.
Zu den Abordnungen an Grundschulen kommen noch weitere hinzu, die vorher auf freiwilliger Basis oder per Anordnung der Landesschulbehörde dazu führten, dass Gymnasien in Niedersachsen Lehrer an andere Schulen abgeben mussten. So tat es das Albert-Einstein-Gymnasium (AEG) in Buchholz, das in Absprache mit der benachbarten IGS Lehrerstunden zur Verfügung stellte. "Diese Absprache ist unter den Schulen Usus, deshalb hätte es des jetzigen Rundumschlags gar nicht bedurft", erklärt AEG-Leiter Hans-Ludwig Hennig. Da durch die Umstellung auf das Abitur nach 13 Jahren die zehnten Klassen künftig wieder der Mittelstufe zugerechnet werden und aus bis zu 30 Schülern bestehen dürfen (bislang lag die Maximalanzahl der Schüler bei 27), entstand bei dem AEG ein rechnerischer Überhang von 34 Lehrerstunden. Im Entwurf des Kultusministeriums sollte das AEG jetzt 50 Lehrerstunden abordnen, nach Nachfragen von Hennig wurde diese Zahl jetzt auf Null reduziert. "Es wird keine Abordnungsnotwendigkeit mehr gesehen", sagt Hennig.
Kai Seefried, Landtagsabgeordneter aus dem Kreis Stade und schulpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, fühlt sich in seiner Kritik an Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) bestätigt. "Die Ministerin ist mit dem Management der selbst verursachten Krise überfordert." Er befürchtet, dass die Unterrichtsversorgung im neuen Schuljahr noch schlechter wird. Innerhalb von vier Jahren sei die Zahl, die den Grad der Unterrichtsversorgung widerspiegelt, von 102,0 auf 98,9 Prozent gesunken. Aber: Selbst bei 100 Prozent sprechen Schulpraktiker noch nicht von einer guten Versorgung, denn Krankheitsfälle oder Abwesenheit wegen Klassenfahrten benötigen eine Quote von 105 bis 110 Prozent Unterrichtsversorgung.
Was Seefried bei vielen Gesprächen in Schulen auch festgestellt hat: Schulleiter die Kritik äußern, müssen immer häufiger mit negativen Konsequenzen rechnen. "Es ist erschreckend, wie der Druck auf Schulleitungen wächst." So ein Umgang mit Landesbediensteten sei "furchtbar". Hintergrund: Immer mehr Schulleiter wollen ihren Namen nicht veröffentlicht sehen, wenn sie sich kritisch zu Problemen äußern.
Übrigens: Dass Schulleiter von Gymnasien aus der Region über die kurzfristige Abordnung ihrer Kollegen stöhnen, ist verständlich. Anderswo geht es offenbar noch chaotischer zu. Das WOCHENBLATT hat aus der Landespolitik erfahren, dass im Bereich der Landesschulbehörde in Braunschweig erst einen Tag vor Schulstart mit der Akquise fehlender Grundschullehrer begonnen worden sein soll. Die Einschulung ist ja auch erst am heutigen Samstag und der reguläre Unterricht beginnt Montag.
Sollte die CDU die Landtagswahl gewinnen, sollten sich alle Verbände und Interessengruppen, von der GEW bis zum Philologenverband, an einen Tisch setzen, damit eine gemeinsame Analyse zur Arbeits- und Arbeitszeitbelastung von Lehrerinnen und Lehrern vorbereitet werden kann. "Wir könne nur miteinander und nicht gegeneinander etwas verändern", so Kai Seefried.
Das WOCHENBLATT hatte im Kultusministerium per Mail angefragt, wie dort das zeitlich knappe Management der Abordnungen bewertet wird. Und: Sind bei den noch freien Lehrerstellen (siehe Infokasten) die Abordnungen schon eingerechnet? Die Redaktion hatte um Antwort bis Donnerstagmittag gebeten. Die Pressestelle hat nicht reagiert. (
Diese Gymnasien im Landkreis Stade haben freiwillig oder per Anordnung Lehrer an andere Schulen abgegeben:
Die Halepaghenschule in Buxtehude hat im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung acht Lehrerstunden an die IGS Buxtehude abgetreten, bekommt im Gegenzug aber 16 Stunden von der IGS zurück. Das Gymnasium Süd hat ebenfalls freiwillig 26 Stunden an die Realschule Süd abgegeben und dazu 26 Stunden nach Anordnung an die IGS. Das Athenaeum in Stade gibt derzeit acht Stunden an die IGS Stade ab, erhält keine Stunden zurück. Das Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade gibt sieben Stunden an die Elbmarschenschule in Drochtersen ab. Schulleiterin Dr. Jutta Neemann: "Wenn es dabei bleibt, können wir zufrieden sein."
Auf dem landeseigenen Internetportal "Einstellungen in den Schuldienst" (EIS online) ist genau nachzulesen, an welcher Schule welche Stellen unbesetzt sind. Ein Überblick für den Landkreis Stade: Neun Stellen (und eine in Neu Wulmstorf) sind frei. An der Hauptschule Thuner Straße in Stade fehlen zwei Lehrer für Biologie und Erdkunde, Für die Grundschule Assel, im vergangenen Schuljahr das Schlusslicht aller Landkreis-Grundschulen bei der Unterrichtsversorgung, ist eine Stelle für Sachunterricht frei. Weitere Schulen mit Lehrerbedarf: Oberschule Oldendorf, Grundschule Steinkirchen, Grundschule Campe, Grundschule Ahlerstedt und die Förderschule Stade sowie die IGS in Buxtehude. An diesen Schulen fehlen Lehrer
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