Rassismus bekämpfen: WOCHENBLATT-Serie begleitet Online-Veranstaltungen
"Man hat mir den Tod durch Vergasung gewünscht"
tk. Stade. Ein breites Bündnis von verschiedenen Akteuren lädt im Landkreis Stade dazu ein, sich in digitalen Formaten mit dem gesellschaftlichen Problem des Rassismus auseinanderzusetzen (das WOCHENBLATT berichtete). "Solidarität-Grenzenlos" ist der Leitsatz. In den kommenden Wochen schreiben Menschen aus dem Landkreis Stade, wie sie selbst Rassismus erleben und wie sie mit den Herausforderungen einer Gesellschaft umgehen, die sich von Vorurteilen befreien will. Wir drucken die Texte weitgehend im Wortlaut ab. Den Anfang machen Dr. Dunja Sabra und Dr. Meike Heckt.
Dunja Sabra engagiert sich seit vielen Jahren für gelingende Integration. Sie hat unter anderem die "Stadtteileltern" in Buxtehude mit gegründet und ist Initiatorin und Koordinatorin des „Netzwerkes für Vielfalt und Demokratie“. Meike Heckt ist Mitglied der "BI Menschenwürde", die sich um Geflüchtete im Landkreis Stade kümmert. Sie arbeitet am Institut für Bildungsmonitoring in Hamburg und befasst sich dort auch mit interkultureller Bildung.
Dr. Dunja Sabra: "Es gibt sie: Menschen, die einfach nicht in eine Schublade passen. Und sie werden immer mehr. Ich behaupte, so ein Mensch zu sein. Geboren in München als Tochter einer Österreicherin und eines Ägypters, habe ich die ersten zwölf Lebensjahre in Wien verbracht und die anschließende Jugendzeit in Ägypten als Schülerin an einer internationalen deutschen Auslandsschule. Deshalb kenne ich mich mit der deutschen Geschichte besser aus als mit der ägyptischen und liebe Lessing und Goethe.
Äußerlich sehe ich aus wie eine typische muslimisch-arabische Frau, im Inneren habe ich jedoch eine hybride Identität und fühle mich in zwei Kulturen beheimatet, emotional im arabischsprachigen und geistig im deutschsprachigen Kulturraum.
Während meiner Zeit in Braunschweig als Doktorandin und junge Gastwissenschaftlerin an einer der damals renommiertesten biotechnologischen Forschungseinrichtungen wurde mir „Flattertuch“ von einer Gruppe junger Fußballfans der „Tod durch Vergasung“ gewünscht. Man wollte mich „Stück Scheiße“ aus dem Bus treten. Sieben Jahre später, nach beruflichen Aufenthalten in Ägypten und Saudi-Arabien, kam ich nach Buxtehude als Mutter dreier Kinder und war voller Sorge um sie. Es waren nicht mehr naturwissenschaftliche Themen, die meinen Alltag bestimmten, sondern Fragen nach Zugehörigkeit, zugeschriebenen Identitäten und gesellschaftlichen Benachteiligungen und die Frage: Was muss geschehen und verstanden werden, damit jeder Mensch in erster Linie als Mensch mit gleichen Rechten und Pflichten gesehen wird? Für mich ist es eine Frage der Gerechtigkeit und ich stelle die damit verbundenen Forderungen an eine vermeintlich aufgeklärte und fortschrittliche Gesellschaft."
Dr. Meike Heckt: "Auch ich habe Probleme mit Schubladen: Ich fühle mich als mehrheimische Norddeutsche. Über einen Schüleraustausch kam ich mit 13 Jahren nach Mexiko und begann dort Spanisch zu lernen. Später habe ich viele Jahre in Mexiko und Guatemala gelebt. Das ist ein bedeutsamer Teil meines Lebens, auch wenn er unsichtbar ist.
Seit mehr als 30 Jahren beschäftige ich mich mit Rassismus, beruflich und im Alltag. Als ich nach Jahren in Lateinamerika zurück nach Buxtehude kam, genoss ich das Gefühl, 'in der Masse zu verschwinden' und nicht mehr andauernd aufgrund meines Aussehens als 'anders' behandelt zu werden. Obwohl diese 'andere Behandlung' ja in meinem Fall mit Privilegien verbunden war, grenzt sie auch mich ein bzw. aus. In den Schubladen, die mir im Logiksystem des Rassismus zugeschrieben werden, eröffnen sich Türen und Vorteile, die anderen verschlossen werden. Auch wenn ich das ablehne.
In meinem Umfeld sehe ich Situationen, in denen alltäglicher und struktureller Rassismus wirken. Und ich muss entscheiden, ob ich mich 'dagegen wende' oder es ausblende. Es ist anstrengend, zu hinterfragen, was andere als 'normal' oder 'gar nicht so gemeint' empfinden. Mir ist klar, dass es für die von rassistischen Zuschreibungen Betroffenen anstrengender ist, dagegen anzugehen - und sie haben nicht die Wahl, es auszublenden. Die Frage danach, 'woher jemand kommt', gekoppelt mit der Frage, ob jemand hier 'dazugehört' oder eben von gleichwertiger Teilhabe ausgegrenzt wird, ist Alltag für viele Menschen in Deutschland. Auch für mich ist diese Ungerechtigkeit schwer zu ertragen."
Das sind die Ziele von Dunja Sabra und Meike Heckt: "Gemeinsam treten wir ein für eine 'neue Normalität', die Rassismus überwindet. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, denn die Idee eines 'monokulturellen, weißen Deutschland' ist nicht zukunftsfähig. Wir sollten anerkennen, dass wir eine bunte, vielfältige Einwanderungsgesellschaft sind und das Potential unserer Vielfalt wertschätzen. Uns sollte die Zukunft und nicht die Herkunft interessieren! Dann wäre es auch normal, sich 'mehrheimisch' zu fühlen: 'mal so, mal so' – mixed, hybrid, bunt und wir bräuchten uns dafür nicht zu rechtfertigen. Das führt zu Respekt und Offenheit im Umgang miteinander. Weil Gleichberechtigung und Menschenwürde unbestreitbar und selbstverständlich für alle gelten!" Eine neue Normalität: Mixed, hybrid und bunt
• Alle Infos zu den Veranstaltungen auf der WOCHENBLATT-Homepage www.kreiszeitung-wochenblatt.de. mit dem Suchbegriff "Rassismus erkennen und stoppen".
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