Unterhaltsvorschuss: Mehr Fälle, weniger Rückzahler
Niedrige Rückholquote sorgte für Schlagzeilen / Wie sieht es in den Kreisen Stade und Harburg aus?
tk. Landkreis. Säumige Zahler, meistens Väter, haben derzeit noch gute Chancen, sich vor ihren finanziellen Verpflichtungen zu drücken. Es geht um den Unterhaltsvorschuss, den Jugendämter übernehmen, wenn ein Elternteil nicht zahlen kann - oder auch nicht will. Nach einer Gesetzesreform Mitte 2017 haben deutlich mehr Kinder und Jugendliche Anspruch auf diese Hilfe. Im Gegenzug ist die sogenannte Rückholquote, also das Geld, das die Jugendämter wieder eintreiben, gesunken. Deutschlandweit werden derzeit nur 13 Prozent eingetrieben. Diese niedrige Zahl sorgte am Wochenanfang für Schlagzeilen. Andrea Lange-Reichardt, die den Fachbereich Jugend und Familie in Buxtehude leitet, sagt dazu: "Es ist manchmal richtige Detektivarbeit erforderlich, um an das Geld heranzukommen."
Das ist der Hintergrund: Mitte 2017 wurde das Gesetz zum Unterhaltsvorschuss geändert. Das Geld wird jetzt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt und länger als maximal sechs Jahre. Davor endeten die Zahlungen mit dem zwölften Lebensjahr und gewährt wurde die Unterstützung maximal 72 Monate. Die Folge: Der Kreis der Berechtigten hat sich in Deutschland nahezu verdoppelt. Auch In den Jugendämtern in Winsen, Stade und Buxtehude gibt es doppelt so viele Anträge und auch dort ist die Rückholquote auf rund 13 Prozent abgesunken.
Dass nicht sofort nach der Gesetzesänderung der Fokus in den Jugendämtern aufs Rückholen der Gelder lag, ist für Andrea Lange-Reichardt richtig: "Es geht schließlich um Einzelschicksale von Kindern." Daher sei der Schwerpunkt auf eine zügige Bearbeitung und Bewilligung gelegt worden. Sowohl in Buxtehude als auch im Winsener Kreishaus ist das Personal für den Unterhaltsvorschuss seit 2017 beinahe verdoppelt worden.
Am Beispiel des Landkreises Harburg wird deutlich, dass es beim Unterhaltsvorschuss um sehr viel Geld geht: Vor 2017 wurden jährlich rund 1,7 Millionen Euro ausgezahlt, 2018 waren es schon fünf Millionen Euro. Insgesamt hat der Staat deutschlandweit im Jahr 2018 rund 2,1 Milliarden Euro an Unterhaltsvorschuss gewährt.
Angesichts der hohen Ausgaben und der niedrigen Rückholquote hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) gegenüber überregionalen Medien betont, dass es jetzt wichtig sei, die säumigen Zahler heranzuziehen. Das aber ist leichter gesagt als getan. Rainer Kaminski, Sozialdezernent beim Landkreis Harburg, verweist darauf, dass das Unterhaltsrecht sehr komplex und umfangreich sei. Wer damit zu tun habe, benötige eine längere Einarbeitungszeit. Hinzu kommt, dass auch die Verwaltungen vom Fachkräftemangel betroffen sind. Andrea Lange-Reichardt: "Wir müssen das Fachpersonal auch finden."
Stades Sozialdezernentin Susanne Brahmst will zudem verhindern, dass alle Väter, deren Kinder Unterhaltsvorschuss bekommen, als Zahlungsverweigerer gebrandmarkt werden. "Viele haben schlicht und ergreifend selbst kein Geld." Dort sei also nichts zurückzuholen.
Experten wie Winsens Sozialdezernent Rainer Kaminski sehen das größte Problem beim Unterhaltsvorschuss derzeit auch nicht bei der niedrigen Rückholquote, sondern ganz woanders: Für viele Kinder und Jugendliche verbessere sich die Situation nicht, weil der Unterhaltsvorschuss als Einkommen auf Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) angerechnet werde. "Hier wurde lediglich zusätzliche Bürokratie geschaffen." Denn bearbeitet werden müssen diese Anträge auch - obwohl sich für die Betroffenen nichts verbessert.
Zahlen zum Unterhaltsvorschuss
(tk). Im Landkreis Harburg bekamen vor der Gesetzesänderung 873 Kinder Unterhaltsvorschuss. Ende 2018 waren es 1.854. Bis zu den neuen Regeln lag die Rückholquote bei rund 30 Prozent, jetzt beträgt sie 11,46 Prozent.
Das Jugendamt des Landkreises Stade hat bis Mitte 2017 im Durchschnitt 940 Fälle betreut, heute sind es 1.800.
Die Rückholquote betrug früher 20 und heute zwölf Prozent.
Die Rückholquote im Buxtehuder Jugendamt ist ebenfalls von früher 20 auf jetzt 13 Prozent gesunken. Bis Mitte 2017 wurden 589 Fälle betreut, jetzt sind es 851.
Die Experten in den Jugendämtern verweisen unisono darauf, dass viele Rückhol-Verfahren zeitaufwendig sind - bis hin zu Gerichtsverfahren -, so dass zum Beispiel für 2017 gewährte Vorauszahlungen die Verfahren noch gar nicht abgeschlossen sind. Bei den Rückholungen handelt es sich um Fälle, bei denen noch gezahlt wird, aber auch um solche, bei denen die Kommunen aktuell keine Zahlungen mehr leisten. Beim Landkreis Stade gibt es derzeit 3.000 Verfahren zur Rückholung.
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